Nirvana: Auf der Flucht vor dem Erfolg


„Schon die schlechten Nachrichten gehört? Wir sind jetzt auf vier in den Charts!“ Zwei Drittel Nirvana schütteln entnervt den Kopf, als ihr Sänger Kurt Cobain fluchtartig den Raum verläßt. Er gibt auf dieser Tour keine Interviews mehr, hat schon zuviel geredet, und will außerdem kein Popstar sein. Bassist Chris Novoselic und Drummer Dave Grohl machen noch gute Miene zum bösen Spiel, denn mit dem plötzlichen Charterfolg ihrer zweiten LP NEVER-MIND in der Heimat durchlebt das Trio aus Washington die Identitätskrise des bisherigen Daseins.

„Wir, eine Goldplatte, kannst du dir das vorstellen?“

Flehende Blicke aus zwei Augenpaaren — nein, natürlich nicht. Als Band des Seattle-Labels Sub Pop im allgemeinen Städtehype mit Kollegen wie Mudhoney oder Tad zu berechtigten Insider-Ehren gekommen, ist die unverschämt frische Musik-Mischung aus Pop, Punk und der obligaten Prise Hardcore nicht die Gemeinkost, die man hinter Megasellern vermutet. Entsprechend die Verwirrung im eigenen Lager. „Was zum Teufel passiert hier eigentlich? Das ist doch alles komplett verrückt!“ meint Dave Grohl kopfschüttelnd und Kollege Chris „will gar nicht wissen, mit welchem Mainstream-Müll wir da oben rangieren. “ Doch Erfolg kommt nicht von ungefähr, Nirvana rüttelt an den glaftpolierten Pfeilern des kalkulierten Geschäfts mit einer Mischung aus Gefühlen, die tatsächlich das sein könnte, auf das die Kids gerade warten. Liebe und Anarchie in wilden, spontanen Popsongs — laut genug, um Mütter zu ärgern, und zu schön, um nur aggressiv zu sein.

Also gar kein positives Denken im Hinterzimmer einer ausverkauften Halle? „Doch, vielleicht sind wir tatsächlich ein Riesenarschtritt für die aufgeblasene Industrie, und die Leute merken jetzt, daß wahre Musik nur im Untergrund passiert. Vielleicht können wir so anderen Bands helfen, die es schon lange verdient hätten, ein paar Platten mehr zu verkaufen. Vielleicht ändern sich jetzt alle Maßstäbe.“ Na, also — schön wär’s.