nix ist fix


Der Film der Zukunft? Vielleicht dieser: Marilyn Monroe, nackt im Bett. Humphrey Bogart kommt herein, staunt und verwandelt sich freundlich lächelnd in John F. Kennedy. Marilyn wird zum grunzenden schwarzen Panther, im Hintergrund tanzen 15 nackte Neger Ballett, ihre Gesichtszüge verändern sich im Takt der Musik. Schöne neue Welt?

„Wir sind schon bald in der Lage, Gott vergib uns, einen Film mit Ingrid Bergmann und Arnold Schwarzenegger zu inszenieren. Die Zuschauer würden überhaupt nichts merken“, meint Scott Ross. Vizepräsident des soeben erneut (für „Terminator 2“) Oscar-gekrönten Trick-Studios iLM („Industrial Light and Magic“, Besitzer: „Krieg der Sterne„-Regisseur George Lucas).

Möglich ist (fast) alles. „Terminator 2“, „Star Wars VI* und Michael Jacksons „Black And White“-Video sind erste Vorboten der neuen Computerwelt. Die Technik für die revolutionären Bilder heißt „Morphing“, und erzeugt erstaunlichere Veränderungen als plastische Chirurgie (was im Falle Jackson wahrhaft unglaublich erscheint), im 11-Minuten-Kurzfilm zu „Black & White“ verwandelt sich ein Gesicht zwölf Mal vom Sumo-Ringer zur Rothaarigen zum Rastamann zum undsoweiter. Es ist die längste „Morphing“-Sequenz, die es je gab. Die Technik: Zwei vollkommen verschiedene Standbilder werden in einen Mega-Computer eingespeist, man gibt die

Menschen werden Panther, Cyborgs werden Menschen. Amerikas Trickspezialisten erschaffen am Computer die Zukunftsvision laufender Bilder. Fließen- de Formen und falsche Wahrheiten — „Morphing“ macht alles möglich und läßt die Realität dabei alt aussehen.

Reihenfolge der Veränderungen vor — erst die Augenbrauen, dann das Kinn, zuletzt die Haare — und, zack, bastelt die Workstation den Film. Der Unterschied zur simplen Überblend-Technik: Es werden nicht zwei Bilder überlagert, sondern sie werden tatsächlich Computergrafikpunkt für -punkt ineinander ausgetauscht. Und daraus entsteht statt einer Zweikomponentenansicht tatsächlich ein Bild, daß es eigentlich nicht gibt.

Für derart fiktive Attraktionen eingesetzt, mag „Morphing“ noch als nette Spielerei durchgehen, glaubt man allerdings den Schandmaulern Hollywoods, tun sich mit der neuen Tricktechnik ungeahnte Möglichkeiten und Abgründe auf. Paula Abdul etwa ist seit ihrem relativ schwergewichtigen Auftritt bei den MTV-Awards Zielscheibe diverser Boshaftigkeiten, hüpft sie doch in ihren Videos vergleichsweise leichtfüßig durchs Bild. Meinung der Gerüchteküche: Dieselbe Technik, die den gespaltenen Kopf des Schwarzenegger Feinds „T 1000“ heilt, schnitt aus Paula Abduls Mitte ein prächtiges Stück heraus und servierte sie als schmucken Appetithappen.

Ist inzwischen alles Lüge? Ein Auto wird zum Tiger („Esso“-Werbung), ein Männergesicht zum Steinblock (US-Naßrasierer-Spot). Stahlseile aus Stuntszenen werden per PC entfernt (Julia Roberts in „Hook“), doch auch das sind nur Nebensächlichkeiten gegen ILM’s gegenwärtig ehrgeizigstes Projekt: Für Steven Spielbergs „Jurrassic Park“, die Verfilmung von Michael Christons Urzeit-Thriller „Dino Park“, werden mechanische Dinosaurier in einem High-Tech Studio gefilmt, in Computercodes umgesetzt und später in den fertigen Realfilm einkopiert. „Roger Rabbit“ ohne Zeichner sozusagen. Naheliegend, daß die Umsetzer solcher Projekte eher Künstlerköpfe als strenge Informatikerhirne tragen. Im Hochsicherheitstrakt der Illusionisten auf George Lucas‘ „Skywalker Ranch“ nördlich von San Francisco vertreibt man sich die Arbeitspausen mit Spielzeugmonstern und Wasserpistolen. Die Methode scheint effektiv: 63 Prozent aller weltweit verwandten Special-Effects werden hier realisiert. Der achte Oscar für ILM war demzufolge nicht überraschend. Nominiert waren mit „Hook“, „Backdraft“ und „Terminator 2“ ohnehin nur Wunderwerke aus dem Hause Lucas. Der fiese Mutant „T 1000“ war der Jury dann das begehrte Goldmännchen wert. Für den quecksilberartig flutenden Körper wurden die Bewegungen von Schauspieler Robert Patrick in einem 150-Gigabyte-Gerät digitalisiert und in eine Art dreidimensionale Computer-Knetmasse umgewandelt. So kann aus einer Bodenfliese oder einer Feuersbrunst jederzeit der eisig dreinblickende Kinderjäger werden.

Das alles ist nach Aussage von ILM-Effekt-Supervisor Dennis Muren, einem weißhaarigen Riesen mit würdevollem Antlitz, jedoch „erst der Anfang“. Der Neuzeit-Merlin: „Es wird Bilder geben, die sich heutzutage noch niemand vorzustellen wagt. Man wird sich fragen:, Wie wirklich ist die WirkIkhkeit?'“ Oder: Wer braucht denn noch echtes Leben, wenn es ILM gibt?

„Die Natur haben wir schon voll im Griff“, meint ILM Chef-Animator Steve Williams, .raschelnde Gräser, tropfendes Wasser — das ist alles Schnee von gestern. Unser aktuelles Problem ist die menschliche Haut. “ In Großaufnahmen sieht Computerhaut eher wie Pudding denn wie erotisch verwertbare Oberflächenabdeckung aus. „Aber auch das ist nur eine Frage der Zeit. “ Wie geht es dann weiter?

„Längst verstorbene Schauspieler werden neue Film drehen. Tote Präsidenten werden Reden halten. Wir können perfekte Darsteller im Computer entstehen lassen — die wollen weder Gage noch Prozente!“

Eine HonoT-Vision? Nachwuchs-Frankenstein Williams glaubt dennoch an die Zukunft des künstlerischwertvollen Films: .Wir können hier die Optik der Filme verbessern. Aber wir können keine besseren Filme machen. Genaugenommen ist ein Computer nicht mehr als ein neuartiger Bleistift. Wenn jemand davor sitzt, der nicht zeichnen kann, kommt auch kein gutes Bild raus. „