No sex please
Eine ehrliche Haut wie sie im Buche steht: ANITA BAKER, der neue Stern am Soul-Himmel, liebt Klavier, haßt Streicherteppiche und Synthesizer, mag keine eindeutig zweideutigen Texte und singt am liebsten live. Soul as soul can...
Beim Namen Anita Baker bekommt selbst Profi-Schandmaul Chaka Khan liebevoll glänzende Augen: „Anita! She’s my baby. We love the fuck out of each other. “ Miss Baker nennt ihre berühmte Kollegin respektvoller „eine Veteranin“. ME/Sounds hätte die beiden schwarzen Ladies gern zusammen an einen Tisch gesetzt, zumal sie auf dem RÜckweg vom Jazzfestival in Montreux am selben Tag im selben München im selben Hotel wohnten. Leider konnten die zuständigen Managements der Idee eines solchen Gipfeltreffens rein gar nichts abgewinnen — Chaka und Anita durften sich erst beim gemeinsamen Abendessen in die Arme fallen.
„Schade, ich hätte Chaka gerne interviewt. Aber mich hat natürlich keiner gefragt“, ärgert sich Anita Baker. Nicht gefragt zu werden, gehört zu den Dingen, die die zierliche 28jährige gar nicht schätzt —- sie ist es gewöhnt, die Fäden selbst in der Hand zu halten.
Die dürftigen Credits auf dem Cover ihres vielgelobten zweiten Albums nennen die Sängerin auch als „executive producer“: „In meinem Fall heißt das, daß ich für den gesamten Gehalt von RAPTURE verantwortlich bin. Ich mußte entscheiden, was gemacht wird, ob ich up-tempo, mid-tempo oder Balladen mache, Funk oder Rock ’n‘ Roll. Und weil ich die Songs ausgesucht habe, war’s auch mein Job, die Musikverlage abzuklappern. Pflastertreten. Zum Verrücktwerden, ich rief extra vorher an und erklärte den Leuten haargenau, was ich wollte -— stimmungsvolle Lovesongs. Alle meinten: ,Au ja. davon haben wir jede Menge‘.
Aber als ich dann hinkam, spielten sie mir alles mögliche vor, bloß nicht das, was ich suchte. Und die meisten fragten auch noch: ‚Sagen Sie mal, wann kommt denn Ihr Manager vorbei, um sich das anzuhören? Oder Ihr Assistent…?‘
Anita schickte weder den einen noch den anderen —- „das, was ich nicht finden konnte, habe ich halt selber geschrieben“.
Doch nicht nur, wo Anita Baker draufsteht, ist Anita Baker drin: mit so was nimmt’s die Dame sehr genau:
„Ich kenne Leute, die sich Schreiber nennen, dabei besteht alles, was sie machen, darin: Sie spielen ihrem Produzenten mit einem Finger eine Baßfigur vor und sagen: ‚Hier, das ist mein Song!‘ Wenn ich meinen Namen unter einen Song setze, habe ich ihn nicht nur geschrieben und komponiert, sondern kann ihn dir auch vorspielen. Deshalb steht mein Name auch nur unter zweieinhalb Nummern.
Ich habe allerdings einiges umgeschrieben, den Titelsong zum Beispiel. Der Song war schon da, die Melodie war wunderschön, der Aufbau perfekt, bloß hatte ‚Rapture‘ einen echt scharfen Text. Und betont sexuelle Sachen singe ich grundsätzlich nicht. Aber wenn ich nur den Text ändere, schreibe ich doch nicht gleich meinen Namen drunter.“
Bei der Stimme hat es die Detroiterin mit Wohnsitz in Los Angeles auch gar nicht nötig, sich mit fremden Federn zu schmücken. Als 12jährige stand Anita Baker zum erstenmal auf der Bühne: „Ich würde ja gern was anderes erzählen, aber es war die übliche Geschichte: Ich habe in der Kirche angefangen, mit Gospel. Mein erstes Idol war natürlich Mahalia Jackson. Später hörte ich mit einem Ohr Sarah Vaughn und Nancy Wilson, die meine Mutter immer in der Küche spielte, und mit dem anderen Ohr das, was meine Schwestern auflegten: Motown, Temptations, Gladys Knight und Aretha Franklin. Ich bin ein Mischmasch aus all diesen Leuten, aber am meisten stand ich schließlich auf Sarah Vaughn.
Natürlich hatte ich auch meine Beatles-Periode und meine Vanilla Fudge-Periode und stehe immer noch auf Bands mit Bläsern, aber in den letzten vier Jahren verlagert sich das mehr und mehr zum Jazz. „
In diesem Umfeld sieht sie auch das Material von RAPTURE: „Wenn man das unbedingt kategorisieren will, müßte man sagen: Liebeslieder mit deutlichem Jazz-Einschlag. Die Jazzer werden es wahrscheinlich eher als bluesig bezeichnen …“
Aber derartige Spitzfindigkeiten sind Anita letztlich egal: ihr geht es darum, daß das „Energie-Niveau“ stimmt. Die meisten Nummern hat sie im Studio gleich live mit der Band gesungen und nicht erst nachträglich auf vorgefertigte Instrumental-Spuren.
„Wenn ich zum Tonband singe, gehts überhaupt nicht ab, dann ist mir viel zu sehr bewußt, daß ich im Studio bin und eine Aufnahme mache, die für immer auf Vinyl sein wird. Ich kann keine Emotionen rüberbringen, wenn ich darüber nachdenken muß, was ich gerade mache. „
Kritiker rund um die Welt belohnen ihr Bemühen um ungekünstelte Gefühlsseligkeit mit Schwärmereien wie „ein sanft überzeugender Appell an die traditionellen Tugenden des Soul“, (so „Time Out“ aus London).
Und „traditionell“ wirkt ihr Album auch in puncto Arrangements und Instrumentierungen. Im Gegensatz zum Gros der neue schwarzen Platten verzichtet RAPTURE völlig auf den Einsatz von Drum-Computern, Scratch-Effekten oder vollfetten Synthie-Sounds. „Ich mag keine über-produzierte Musik, ich halte die Dinge gern so einfach wie möglich. Wenn die Produktion zu groß und die Arrangements zu sophisticated sind, geht das sofort auf Kosten der Emotion: die kommt dann plötzlich aus dem Kopf statt von Herzen. „