Nobody said it was easy


..aber so richtig schwierig schien es auch nicht: Am Anfang war alles gelb und die verliebten Pärchen schmachteten, dann dauerte es nicht mehr lange, bis vier Londoner Ex-Studenten mit "very heavy soft rock" (Chris Martin)die Welt eroberten. Und erst zuletzt leicht ins Straucheln gerieten.

Am Anfang der Geschichte stand ein Song. Am Anfang der Geschichte lief ein Song. Im Radio. Es war der Sommer 2000. Noel Gallagher ließ sich nach Hause kutschieren – der gute Mann hat ja keinen Führerschein – und der Rundfunk konfrontierte ihn mit „Yellow“, der zweiten Single einer neuen Londoner Band, einer Post-Britpopband. Der Oasis-Kopf war restlos begeistert. Und das passiert bei Material, dass nicht entweder von seiner eigenen Band oder den Beatles kommt, eher selten. Cast, die Nachfolger der legendären The La’s, fand er gut. Kurz nach seiner Seligsprechung rumpelten sie die Hitlisten hoch. So geschah es auch mit Ocean Colour Scene und mit Travis. Auf das Urteil des Königs war Verlass. Der NME hatte hierzu bereits 1996 den Genrebegriff „Noelrock“ eingeführt: Was der Regent von Cool Britannia empfahl, konnte blind gekauft werden. Und das wurde es dann auch, millionenfach. Doch was Gallagher diesmal mit seinem Fingerzeig auslöste, konnte er nicht ahnen. Nichts weniger als ein Machtwechsel stand bevor. Die 90er waren vorbei. Das letzte Oasis-Album verkaufte sich schleppend bis katastrophal schlecht. Eine Jahrzehntband hatte ausgedient. Aber die nächste stand in den Startlöchern.

Das Video zum Song zeigte ein rothaariges Milchgesicht patschnass am Strand von der Nacht in den Tag (ohne Schnitt!) waten. Dass dieser Chris

Martin mit seinen aufdringlichen Lippen je zum Cover-Helden quer durch den Blätterwald taugen würde, gar eine der umschwärmtesten Hollywood-Schauspielerinnen ihrer Generation ehelichen würde, zu solchen Vorstellungen hätte es schon einer sehr tabulosen Fantasie bedurft. Coldplay, vier Jungs um die 20, hatten für den Moment eine Hit-Single, die in Indieclubs aus verlegenen Pärchen in spe richtige Pärchen machte und die mit Wonne auch in die Rotationen der Formatradios gepflanzt wurde. Doch dieser Moment wollte nicht enden. Als „Yellow“ das erste Video war, das MTV nach seiner 9/11-bedingten Programmunterbrechung ausstrahlte, war es längst eine Hymne mit Klassiker-Anspruch. Das zugehörige Album parachutes hatte 33 Wochen in den Top Ten der britischen Albumcharts verbracht. Zu Beginn schien es, als würden Coldplay lediglich auf der von Travis losgetretenen Erfolgswelle des Ruhe-Rocks mitschwimmen (das ausschließlich als Ballade identifizierbare „Yellow“ stellte neben dem unaufgeregten „Shiver“ den „wildesten“ Song auf parachutes dar). Doch nach der gehetzten Millenniumsangst und als Gegenentwurf zum chauvinistisch-reaktionären NuMetal brauchte die Welt diese „Parachutes“, diese Fallschirme und machte Coldplay zu den ersten ihrer Liga.

Trotz ursprünglicher Skepsis der Medien mauserte sich Chris Martin rasch zum als Interviewpartner begehrten Gesicht der Band. Eine Hierarchie, die mit dem Innenleben der Gruppe indes nichts gemein hatte. Nach Spannungen in den Anfangstagen, die einmal so weit eskalierten, dass Martin kurzzeitig Drummer Will Champion aus der Band warf, errichtete man eine stabile bandinterne Demokratie und einen Grundsatzkatalog: Alle Einnahmen der Band werden gleichmäßig durch vier geteilt, der Konsum harter Drogen hat den Ausschluss zur Folge – ein Ansatz, den bereits Bands wie R.E.M. und U2 jahrelang praktizierten. Die bis heute wachsenden Parallelen wurzeln tief.

Als das Debüt Ende 2000 die heimischen Bestenlisten emporkletterte, wurden auch die USA auf das Quartett aufmerksam. Dies geschah aus keinem mystischen Zufall. Da war kein begeisterter Austauschschüler, der sein Souvenir aus London einem Collegeradio-DJ in die Hand drückte und so den Schneeball ins Rollen brachte. Ihren US-Erfolg musste sich die Band redlich erarbeiten: mit einer ausgiebigen Clubtour und Auftritten bei allen relevanten Late-Night-Talkshows. 2001 stand parachutes bei zwei Millionen Nordamerikanern im Regal. Hier von einem Achtungserfolg zu sprechen wäre ungenierte Untertreibung, führt man sich vor Augen, wie kläglich die meisten europäischen Superstars an der Eroberung des US-Markts scheitern.

Unter Kritikern hatten Coldplay zu dieser Zeit in etwa ein Standing wie Radiohead ca. the bends. Dass da noch was passieren würde, war keine Frage. Doch das überirdische Meisterwerk OK Computer sah ebenso keiner kommen wie den nächsten Schlag Coldplays. Zwei Jahre nach dem Debüt erschien im August 2002 A RUSH OF BLOOD TO THE HEAD und bestieg direkt die Nr. 1 im UK und Platz fünf in den USA. Ein weltweites Instant-Konsenswerk. Mit der Dramatik der ersten Single „In My Place“ erlitten die letzten, von Freunden härterer Töne errichteten Barrieren empfindliche Risse, mit „The Scientist“ stürzten sie vollends ein. Im Sommer 2002 waren Coldplay unfehlbar. Jeder der elf Songs von a rush … wurde zu irgend jemands All-Time-Lieblingslied. Headliner-Auftritte bei den größten europäischen Festivals waren Selbstverständlichkeit. Wem angesichts der moralischen Mächtigkeit des Set-Openers „Politik“ die U2-Werdung zu offensichtlich voranschritt, der wurde zumindest hierzulande bei Konzerten mit Martins charmanter Interpretation von „Alle meine Entchen“ wieder versöhnt. Das hässliche Entlein von einst wuchs in seiner neu gefundenen Entertainerrolle über sich hinaus. Die Dringlichkeit, mit der er im Refrain von „In My Place“ mit Unterstützungaller aufblitzenden Stadionlichter zum Singalong animierte („Singen Sie! Singen Sie!“), ergriff auch das Herz des um Lässigkeit Bemühtesten.

Über ein Jahr waren Coldplay auf Tournee. Die CD/DVD „Live 2003“ dokumentierte den Siegeszug, während sich die dritte Single-Auskopplung, die simple Klavier-Endlosschleife „Clocks“, zum bis dahin kommerziell erfolgreichsten Hit ihrer Laufbahn entwickelte und 2004 mit einem Grammy als „Record Of The Year“ (bei hochhaushoher Konkurrenz von Outkasts Generationenzusammenführung „Hey Ya!“) veredelt wurde. Martin widmete den Preis Johnny Cash und dem damaligen Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten John Kerry. Mit seinem Kommentar, dass Kerry „hoffentlich eines Tages euer Präsident sein wird“ untermauerte Martin sein neues Selbstverständnis als politischer Aktivist. Bereits im Vorjahr hatte er anlässlich einer Dankesrede bei den Brit Awards ins Mikro geraunt, Preise seien doch eigentlich „Nonsens, aber nachdem wir alle sterben werden, wenn George Bush sein Ding durchzieht, ist es doch gut, mit einem Knall von der Bildfläche zu verschwinden“.

Mit dem Erfolg kam also die Verantwortung.

Martin empfand sie besonders für die „Make Trade Fair“-Kampagne der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam. Ein mit Filzer auf den Handrücken gekritzeltes „Make Trade Fair“ symbolisierte sein Engagement und wurde zu seinem bald verballhornten Markenzeichen. Noch nicht so weit zum Bono seiner Generation mutiert, um es nicht mehr zu merken, sah Martin die heraufziehenden Spottwolken und zog sich etwa mit seinem Cameo-Auftritt in der Zombiekomödie „Shaun Of The Dead“ selbst durch den ökologisch einwandfrei hergestellten Kakao: Zusammen mit Gitarrist Jonny Buckland

spielte er sich selbst als couragierten Unterstützer der Initiative „ZombAid“. Doch auch mit Aktionen wie dieser ließ sich das Ruder nicht mehr herumreißen. Für Leute, deren Coolness-Begriff sich über inkorrektes Verhalten definiert, war Martin unten durch. „Schuld“ daran war auch seine Eheschließung mit der Schauspielerin und Käseblatt-Größe Gwyneth Paltrow. Liebesbekundungen ihrerseits, wonach sie so in den Sänger vernarrt sei, dass sie sogar an seinen getragenen Socken schnüffle, ernteten Augenrollen. Anstatt sich über die Frucht dieser florierenden Beziehung zu freuen, rümpfte man missgünstig die Nase ob der Namenswahl für das erste Kind der beiden, Apple – und fuhr dann fort, den eigenen Nachwuchs Justin, Dustin, Lea und Leah zu taufen. Schon erstaunlich, dass die Liebe für einen speziellen Menschen und die Liebesmüh‘ für den Lebenserhalt aller Menschen zur roten Karte auf dem Rock’n’Roll-Spielfeld werden können.

Dann doch lieber das bewerten, was tatsächlich und legitimerweise der Bewertung bedurfte: die Taktik und die Musik. Nach all der Übereinstimmung, all dem Überschwang und all dem Über-Erfolg taten Coldplay zwar das einzig richtige und pausierten fast das ganze Jahr 2004, um sich und die Welt wieder lange Atemzüge zu gönnen – und nicht zuletzt um dem im System der Popkultur angelegten Backlash vorzubeugen. Dennoch kam x&y im Juni 2005 zu früh. Der Hunger auf neues Coldplay-Material war nach der Völlerei der ersten beiden Alben noch gut gestillt. Chris Martin war von den Klatschreportern zum bloßen Anhängsel seiner Gattin degradiert worden und fiel bisweilen als gewaltbereiter Paparazzi-Jäger auf. Die Stimmung ähnelte der kurz vor Veröffentlichung des dritten Oasis-Albums. In ihren Effekten sollte sich das Muster fortsetzen: Wie be here now wurde x&y insbesondere in seinen ersten Verkaufswochen wie irre über die Ladentische und aus den Downloadplattformen gezogen. Spitzenposition in 16 Ländern, zum ersten Mal seit den Spiee Girls stieg mit der Lead-Single „Speed Of Sound“ wieder ein britisches Erzeugnis direkt in die Top Ten der US-Singlescharts ein. x&y wurde zum bestverkauften Album des Jahres 2005. Doch die Kritiken fielen vermehrt durchwachsen bis schlecht aus. Die die Band seit jeher begleitenden U2-Vergleiche wucherten zu U2-Abkupferungsvorwürfen aus. Bombast statt Basis. Unisono war man der Meinung, die Platte werde den Erwartungen nicht gerecht. „Der Band scheint vor Übermotivation ein wenig das Händchen für entwaffnende, stringente Songs erlahmt“ (ME), „hörenswert, aber nicht denkwürdig“ (Pitchfork), „überraschend viele der Songs wollen einfach nicht abheben“ (Rolling Stone USA), „überflutet von Klischees und billigem Existentialismus“ (Mojo). Vor allem Martin dürfte die Kritik stark gebeutelt haben, hatte er doch bereits Jahre zuvor proklamiert:

„Da wir manchmal eher ruhiges Zeug spielen, ist es schwierig so zu klingen, als würden wir wirklich etwas verändern wollen. Aber alles, was wir je wollten war, eine Reaktion auf all den seelenlosen Müll zusein“. Nun plötzlich schienen Coldplay auf der Seiten derer gelandet, die es zu bekämpfen galt. Für die Indiewelt waren sie erledigt.

Martin tat alles, Um die Vom Glauben abgekommenen Jünger zurückzugewinnen und umgab sich mit deren Helden. Doch die Anbiederung geriet zu offensichtlich: 2005 lud er beim Live8-Auftritt Coldplays mit den Worten „Das ist wahrscheinlich der beste Song, der je geschrieben wurde und hier ist der beste Sänger der Welt „Richard Ashcroft zu einer gemeinsamen Version von „Bittersweet Symphony“ ein. Im selben Jahr bestieg er während eines Konzerts einen viereinhalb Meter hohen Verstärkerturm, um den darüber in einem Balkon thronenden Noel Gallagher per Backenbussi wissen zu lassen, wie sehr er ihn verehrt.

Drei Jahre sind seither vergangen. Drei Jahre, in denen ökologisches Bewusstsein „dank“ zunehmender Angst vor der globalen Erwärmung zum guten Ton avancierte und, ja, sogar cool wurde. Drei Jahre, in denen sich Indie und Mainstream zusehends vermengten. Drei Jahre, in denen Pete Doherty eine viel be(ob)achtete Beziehung zu einem Supermodel führen konnte, ohne sein Image dauerhaft zu ramponieren. Drei Jahre, in denen Chris Martin von den Kings of Cool, Jay-Z und Kanye West, um Gastauftritte auf ihren jeweiligen Platten gebeten wurde und Bravourstücke ablieferte.

Die erste Single aus dem kommenden Coldplay-Album viva la vida or death and all of his friends stellte die Band eine Woche lang als kostenlosen Download auf ihre Homepage. Innerhalb der ersten 24 Stunden wurde „Violet Hill“ über 600.000 mal heruntergeladen. Die Popularität von Coldplay ist ungebrochen und auch ihr Ansehen könnte sich dank gewandeltem Verantwortungsempfinden wieder erholt haben. Ihre Zeichen stehen gut. Mögen Coldplay sie weise nutzen.