Noch mehr Lehrgeld zahlen
Keane, ein klarer Fall für Vorurteilssichere: Das sind privilegierte Internatsjüngelchen, zu weich sogar für Stromgitarren. In Interviews haben sie schon oft versucht, an ihrem Image etwas zu drehen. Musikalisch unternehmen sie nun den zweiten Anlauf, weiterhin ohne Gitarre. Text Hanspeter Künzler
Keane sind das Gegenteil von Pete Doherty: tadellos höfliche Menschen mit fleckenloser Weste und Liedern, in denen die Sünde nicht vorkommt. Aber böses, böses Popbusiness: Der Erfolg hat selbst diese wackeren Jünglinge an den Rand des Ruins getrieben. „Hairy Sheep“ steht als Überschrift auf den Zetteln mit den Lyrics, die uns in die Hand gedrückt werden, ehe wir zur Hörprobe des zweiten Keane-Albums in ein bizarres, mit handgemalter Tapete dekoriertes Hinterzimmer von Dave Stewarts Privatklub The Hospital gesperrt werden. „Ein Konzeptalbum, da muß man sich Song für Song in der richtigen Reihenfolge anhören „, sagt die Dame von der Plattenfirma, zur Erklärung dafür, warum die CD erst gestartet werden kann, als die Schreiberlinge vollzählig sind. Ein Konzeptalbum über haarige Schafe also. Originell. Und ein passionierter Aufruf zum Vegetarismus, heißt es doch im jazzigen Walzer „Broken Toy“: „I want to stay another season – seesummer upon this sorry land. So don ‚t dust off your gun withouta reason you understand.“ Das „Meat Is Murder“ von Keane.
Putzige Interpretation, doch leider falsch. Denn wie sich herausstellt, ist „Hairy Sheep“ der Bandname, der auf die Vorab-CDs geschrieben wurde, um „Musikpiraten“ irrezuführen. Außerdem ist „Hairy Sheep“ ein Stück Keane-Geschichte: Es sei einer der vielen Bandnamen gewesen, mit denen ihr Gitarrist- er stieg vor drei Jahren wegen Erfolgsmangel aus-einst aufgewartet hatte. „Von vielen dummen Namen der dümmste“, sagt Tim Rice- Oxley, der Keyboarder und Songschreiber der Band, ehe erden wahren CD-Titel verrät: UNDERTHE iron SEA. Er kann sich dabei einen ironischen, dramatisch überhöhten Unterton nicht verkneifen. Große Worte passen ihm offenbar nicht, auch wenn er sie gut schreiben kann. „The Iron Sea“ ist ein Instrumentalstück, das klingt, als wäre es von einem Orchester in Abbey Road eingespielt worden, dabei wurde es von Rice-Oxley in Kleinarbeit aus dem Computer gekitzelt. Es setzt eine Zäsur und prägt die Atmosphäre der nachfolgenden Stucke, ähnlich wie es die Instrumentaltracks auf der Keane bestens bekannten LP BRYTER LAYTER von Nick Drake tun. „Für mich ist es das Schlüsselstück der CD“, sagt Rice-Oxley: „Seine Stimmung ist intensiv, stickig und surreal. Man fühlt sich wie in einem bösen, surrealen Märchen.“
Über fünf Millionen Exemplare gingen vom 2004 erschienen Debüt über den Ladentisch. Ihr „Live8“-Auftritt unter den topsten Topstars war absatztechnisch also absolut verdient. Aber die Storys über die Band handelten immer nurvon einem Thema: der gemeinsamen Internatszeit. Derchorbubenhafte Sänger Tom Chaplin, Rice-Oxley sowie Drummer Richard Hughes ließen sich partout keine Sensationen aus der Nase ziehen. Und ihr Debütalbum warauch rasch beschrieben: sahnige Singer/Songwriter-Kost mit vielen Ohrwürmern und keiner Gitarre.
Mangels anderer griffiger Schlagzeilen stürzte sich zumindest die britische Presse auf das eine Merkmal, das ihr an Keane noch auffiel: ihre privilegierte Herkunft. Das ist insofern kurios, als sich die britische Rockgeschichte allen Klischeevorstellungen zum Trotz keineswegs nur in der Gosse abgespielt hat. Ohne die Kunstschulen, an denen es von Ex-Internatschülern wimmelte, wären weder die englischen Sixties noch die Seventies, nicht einmal Punk oder New Wave vorstellbar gewesen.
Eine mögliche Erklärung dafür, warum diese Tatsache gerade bei Keane dermaßen in den Vordergrund gerückt wurde, fällt einem beim Gespräch mit den drei Jungs ein: Alle drei sind sie zwar freundlich, leger, gesprächig und darauf bedacht, sich präzise auszudrücken. Erst beim Abtippen des Interviews fällt aber auf, daß sie fast nichts von sich preisgegeben haben. Sie haben die steife Oberlippe (die „stiffupper lip „gilt als britisches Symbolfiir Unverwüstlichkeit ~Anm. d. Red.) so perfekt inszeniert, daß man es in ihrer Gegenwart nicht einmal merkte.
„Am Anfang hat es uns total genervt, dieses Gerede über unsere Schule“, seufzt Hughes. „Es ist halt eines von einer Million Dingen, aus denen man uns einen Strick drehen kann, I couldn’t give a fuck anymore about it. Leid tun mir nur unsere Eltern. Sie haben viele Entbehrungen auf sich genommen, um uns eine gute Schulbildung zu gewährleisten. Und jetzt klingt es so, als wäre uns das alles unfairerwehe in die Wiege gelegt worden.“ Die ewigen Geschichten über Keane und ihre Schule (Vinehall School in Robertsbridge, East Sussex) hatten einen kuriosen Nebeneffekt: Es entstand der Eindruck, die Band sei direkt aus dem Musikunterricht in die Hitparaden getrabt. Dabei hat sie durchaus ihr Lehrgeld bezahlt. Gegründet 1997, rackerten sich die Jungs jahrelang ohne zählbare Resultate ab.
Dann nahm sich das feine Außenseiter-Label Fierce Panda ihrer an und verlegte 500 Exemplare der Single „Everybody’s Changing“. „Wir waren zwar immer der Überzeugung, daßTim ein paar echt gute Songs geschrieben hatte“, erinnert sich Hughes, „aber als ich diesen Berg CDs sah, dachte ich mir: Wer zum Kuckuck soll all die CDs taufen?. 1 “ Eine wurde im Radio gespielt, und im Nu waren sie alle weg. Wie praktisches jedes Debüt enthielt hopes and fears die Früchte eines jahrelangen kreativen Prozesses. Mit dem Erfolg kam nun der Zwang, für das zweite Album Songs auf Bestellung abliefern zu müssen. „Die meisten entstanden on the road“, sagt Rice-Oxley. „Der Durchbruch dabei kam, als ich mich dazu zwang, mir keine Sorgen darüber zu machen, was andere Leute über die Lieder denken könnten. Am Schluß ergab sich alles wie von allein, einfach weil sich so viel Frust aufgestaut hatte, daß es endlich das Ventil rausjagte und all diese Lieder aus mir herausplatzten.“
underthe iron sea wurde dennoch nicht einfach eine Sammlung von Liedern über Rockstars und ihre Hotelzimmer. „Es geht um uns als Menschen, nicht um uns als Popstars“, sagt Chaplin. „Mitte letzten Jahres fühlten wir uns auf einmal sehr leer. Wir fühlten uns als Menschen überflüssig. In dieser Stimmungfängt man an, alles zu hinterfragen. “ Keane hinterfragten auch ihren eigenen Sound. Chaplin: „Wir wollten zurück zu unseren Wurzeln als Gitarrenband. Schließlich haben wir Gitarrenrock immer sehr geschätzt. Die Dynamik, die wir live bringen können, wurde vom ersten Album nicht so richtig eingefangen, und das hat bestimmt auch dazugefiihrt, daßman uns in diefalsche Schublade gelegt hat.“
Richard Hughes zeichnet ein etwas genaueres Bild von der Stimmung in der Band, die zu den Aufnahmen von UNDER The IRON SEA führte. „Es gab Zeiten, da konnten wir uns nicht mehr riechen“, erzählter. „Wir besoffen uns alle, aber wir besoffen uns in verschiedenen Bars. Da sind wir 25 Jahre die besten Freunde, und dann wird man auf einmal in diese surreale Weltgestürzt, wo man daheim sitzt und ‚Neighbours‘ schaut, und am Nachmittag ist man auf der Bühne von ,Live8′ und plaudert mit Paul McCartney. Diese Erfahrungen teilt man zwar als Freunde, aber wenn man so intensiv zusammen ist, bricht die Kommunikation zusammen. Wir hatten viel mehr zu verlieren als die meisten anderen Bands. Wir sind nicht nur Bandkollegen, sondern beste Kumpels.“ www.keane.co.uk