Interview

Noel Gallagher im ME-Gespräch: „Ich bin besser als Brian Wilson“


Der Ex-Oasis-Chef im großen MUSIKEXPRESS-Gespräch

Für einen Songschreiber, dem prinzipiell daran gelegen ist, eben Songs zu schreiben, hat sich Noel Gallagher auf seinem 2017er-Studioalbum WHO BUILT THE MOON? so weit wie möglich aus seiner Comfort-Zone bewegt. Nach diesem Mondflug gibt’s für ihn nur einen Weg – der Name seines zwischenzeitlich erschienenen Best-Ofs legt ihn nahe: BACK THE WAY WE CAME. Das breite Desinteresse, das seinen drei auf Dance-Beats hopsenden EPs zuletzt entgegengebracht wurde, dürfte ihn auf seinem Schritt zur neuen, retro- wie streicherlastigen Platte COUNCIL SKIES bestärkt haben. Mit einem Bein stand der Ex-„Chief“ von Oasis sowieso stets fest in den 60ern, mit dem anderen ist er noch nicht wieder ganz auf dem Boden der Tatsachen angekommen, schwebt etwas über den Dingen, genauer gesagt in Kindheitsträumen, projiziert auf den titelgebenden Himmel über den Sozialbauten seiner Heimat, dem Manchester- Vorort Burnage.

In starkem Kontrast zu dieser Tristesse treffen wir Gallagher in einem Nobelhotel am Berliner Potsdamer Platz. Draußen sprüht Schneeregen herunter, dann strahlt wieder die Sonne. „You’re my sunshine, you’re my raaayyyiiin“, wie es im Oasis-Song „The Hindu Times“ hieß. Gallagher kommt noch etwas verknittert von seiner Mittagspause, ist nach einer Aufwärmfrage aber so präsent wie eh und je.

Dein neues Album ist wohl dein positivstes bisher, ein Manifest der beiden Botschaften, die sich durch dein ganzes Werk ziehen: Das Leben ist gut – und wenn es das nicht ist, dann wird es das schon noch werden. Gleichzeitig blickst du auf COUNCIL SKIES auf deine Kindheit zurück, die ja nun alles andere als glücklich war: Ihr wurdet von eurem Alkoholiker-Vater geschlagen, eure Mutter musste euch drei Brüder daraufhin mit bescheidenen Mitteln allein großziehen, von der Welt eingeschüchtert konntest du dich nur stotternd mitteilen. Wie hast du dennoch diesen Optimismus entwickelt?

Keine Ahnung (überlegt lange) … nee, keine Ahnung. Ich vermute, dass ich gar keine andere Chance hatte. Wenn du in den Bodensatz der Gesellschaft hineingeboren wirst, dann kannst du dich ja nur nach oben orientieren. Ich glaube, dass Musik mir da ziemlich geholfen hat. Ich habe immer eher aufbauende, energetische Musik gehört.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Am Ende des Videos zu deiner Single „Easy Now“ überwindet die junge, von Milly Alcock gespielte Protagonistin eine Krise, tanzt, läuft über Autos und rennt am Schluss in den Himmel – welche Songs haben dich in deiner Kindheit zum Himmel fahren lassen?

Meinen ersten Zugang zu Musik hatte ich durch Punk und New Wave – das waren allerdings nicht gerade stimmungsaufhellende Songs. Die kamen dann von The Jam in ihrer gebieterischen Phase mit Stücken wie „Town Called Malice“, „Tales From The Riverbank“ und „That’s Entertainment“. Die erste Musik, die mir das Gefühl gegeben hat, unbesiegbar zu sein, war allerdings Acid House.

Noel Gallagher über Arbeit mit Damon Albarn: „Wie ein Messer in die Eier“

… daher auch der Smiley, der sich durch das neue Artwork zieht?

Ja, genau! Diese Musik hatte zwar kaum Text und die Drogen spielten bestimmt auch eine Rolle, aber diese Szene hatte echt einen Wow-Effekt auf mich. The Stone Roses waren auch sehr wichtig. Mir ging’s damals nicht gut, also wollte ich mich besser fühlen. Traurige oder verunsichernde Songs haben mich nie sonderlich angezogen. Bei aller offensichtlichen Liebe für John Lennon – so was wie seine Urschrei-Therapie in „Mother“ hat mich nie interessiert. Andererseits ist ein superfröhlicher Song wie „Maxwell’s Silver Hammer“ auch ein Haufen Scheiße – es muss sich also irgendwo dazwischen abspielen. Das ist eine Art Magnetismus. Ich kann gar nicht anders – auch beim Schreiben. Ich setze mich nicht hin und habe vor, einen Song mit einer bestimmten Botschaft oder einem bestimmten Sound zu schreiben. Bei meinen Songs verhält sich das generell so: 50 Prozent sind Inspiration, 50 Prozent ist zusammengeklautes Material von Stücken, die ich liebe. Und dann passieren die einfach. Ich lasse sie quasi nur zu – das ist ein ganz natürlicher Prozess.

So ähnlich äußern sich auch manche Frauen nach der Geburt eines Kindes.

Für mich ist es in jedem Fall etwas, das mir einfach widerfährt. Keinen Plan, woher diese Eingabe kommt.

Klingt ja fast religiös.

Lass uns Spiritualität von Religion trennen – Religion ist schlechte PR für eine übergeordnete Kraft, die es entweder gibt oder eben nicht. Aber ja, was ist der Ursprung von Inspiration? Ich kann’s dir nicht sagen.

Gab es in deinem Leben einen bestimmten Moment, in dem du von einem Niemand zu jemandem wurdest, der jeder/m etwas bedeuten kann?

Den gab’s, den kann ich dir genau nennen: Als ich „Live Forever“ geschrieben habe. Ich nahm mir einen Moment, um darüber zu reflektieren und wusste, dass das nicht nur ein großartiger Indie-Song oder so was war. Sondern, dass er mit den allergrößten überhaupt mithalten kann. Der Meinung bin ich immer noch.

Nicht umsonst befindet er sich in einer neuen Fassung auf der Bonus-Disc deines neuen Albums – als einziger Oasis-Song.

Die entspringt einer Session, die ich im Sommer 2021 für die BBC aufgenommen habe – in meinem Studio allerdings, deswegen habe ich die Rechte dafür. In dieser neuen Version will ich ihn auch auf den kommenden Konzerten spielen, deswegen dachte ich, so die Fans schon mal damit vertraut machen zu können. Es ist einfach ein Schlüsselsong in meiner Karriere. Nach ihm gab’s für mich kein Zurück mehr. Ab dann sprudelten die Songs nur so aus mir heraus. Dieses Wissen darum, was ich alles in der Hinterhand habe, erlaubte mir auch meine große Klappe damals. Ich war ja nicht der Bassist, ich war der Songwriter, der Regisseur sozusagen. Die anderen Bandmitglieder wussten gar nicht, wie ihnen geschah, aber mir fiel es leicht, zu behaupten, dass wir die größte Gruppe der Welt werden würden, weil ich die Songs kannte, die das wahrmachen würden.

The Masterplan sozusagen. Die Songs der ersten drei Oasis-Alben waren ja schon zu einem großen Teil geschrieben, bevor ihr euren ersten Plattenvertrag hattet.

Genau – übrigens befinde ich mich gerade in einer ganz ähnlichen Situation. Ich habe während der Pandemie riesige Mengen Songs geschrieben – immer dann, wenn alle in meiner Familie im Bett waren, bin ich noch mal ins Wohnzimmer und habe geschrieben. Mittlerweile habe ich auch mein eigenes Studio, Lone Star, in dem ich schnell Demos aufnehmen konnte.

Zwei Demos aus dieser Zeit hast du jeweils zum Jahreswechsel 2020/’21 und ’21/’22 als Mutmacher veröffent- licht, die sich nun auf COUNCIL SKIES in finaler Fassung befinden: „We’re Gonna Get There In The End“ und „Trying To Find A World That’s Been And Gone: Part 1“.

Eine sehr produktive Periode, ja. Was hätte ich auch sonst machen sollen? Gigs gab’s ja keine. Ich habe eigentlich auch schon die Songs für das nächste Album zusammen – und für das übernächste!

Kannst du da schon mehr verraten?

Logo! Das nächste Album wird sehr akustisch, reduziert, back to the basics, in der Art von „Dead In The Water“. Das wiederum danach wird dann reiner Rock’n’Roll. Während der Pandemie habe ich etwa 40 Songs geschrieben. Spätestens in den frühen 30er-Jahren sind die alle fertig. Was ich aus den frühen 90ern allerdings gelernt habe: Ich schreibe keine weiteren Songs mehr bis diese jetzt alle aufgenommen sind. Damals habe ich einfach immer weiter geschrieben und all diese großartigen Songs auf B-Seiten verbraten, was rückblickend absolut geisteskrank war. Sollten mir dennoch neue Songs zufliegen, gebe ich sie einfach jemand anderem oder verbrate sie in einer Fernsehsendung oder so.

COUNCIL SKIES wirkt wie der logische nächste, dialektische Schritt nach dem experimentellen WHO BUILT THE MOON? Große Melodien, Refrains zum Mitsingen.

Eigentlich wollte ich mit meinem Produzenten David Holmes noch ein weiteres, viel abgefahreneres Album machen, aber dann kam Covid und wir waren räumlich getrennt. David schreibt gerne im Studio, ich konnte gar nicht anders als traditionell zu Hause mit meiner Akustikgitarre zu komponieren. Daher haben die wieder einen sehr klassischen Sound. Ich habe mich dann so in diese Stücke verliebt, dass ich das geplante Avantgarde-Album verschoben habe. Möglicherweise wäre es mein bestes überhaupt geworden, wer weiß? Aber meine sowieso schon leidgeplagten Fans hätten wohl mit einem „Was zur Hölle…? Nicht schon wieder!“ reagiert. Das neue Album ist die beste Repräsentation all meines bisherigen Schaffens. Manche Stücke sind sehr Oasis-esk, „Think Of A Number“, „Don’t Stop…“, „Easy Now“ natürlich. „Pretty Boy“ greift die 80s-Electro-PopStücke der letzten EPs auf, „There She Blows“ und „Open The Door, See What You Find“ sind sehr 60s und „Dead To The World“ ist so was wie das neue „The Masterplan“.

„Klingt wie The Cure“: Noel Gallagher teilt Preview von „Pretty Boy”-Remix

Das Cover zeigt dein Live-Equipment auf dem ursprünglichen Mittelpunkt des ehemaligen Fußballstadions Maine Road, in dem ihr 1996 triumphale Homecoming-Konzerte gefeiert habt. Im Booklet sieht man den in „Shakermaker“ besungenen Plattenladen „Sifters Records“ und den Piccadilly-Bahnhof in Manchester, von dem aus du nach London gezogen bist. Ist COUNCIL SKIES dein persönliches „Penny Lane“?

Ich hatte einen Song über meine Jugend. Inspiriert vom Bildband „Council Skies“ des mit mir befreundeten Fotografen Pete McKee nannte ich zuerst den Song so, dann das ganze Album. Danach hatten all die bisherigen Songs dafür eine andere Bedeutung, viele davon kann man interpretieren, als wären sie aus der Perspektive meiner Jugend geschrieben, Autosuggestion. Das war aber nicht die Intention. Die Songs müssen ja auch für sich selbst funktionieren. Ich schreibe keine Konzeptalben.

Aber du kannst es als solches verkaufen!

Darauf kannst du Gift nehmen, dass ich das verkaufen werde!

Als du mit Oasis an eurem 2008er- Album DIG OUT YOUR SOUL gearbeitet hattest, hast du in einem Interview in typischer Manier angekündigt, ihr würdet darauf nicht mit einem, sondern zwei Orchestern arbeiten. Näherst du dich mit den satten Streicher-Arrangements von COUNCIL SKIES der Verwirklichung dieses Vorhabens an?

Ich wollte den direkten Gegenentwurf zu WHO BUILT THE MOON?, das sehr von Drum-Computern und Keyboards geprägt war. Streicher hatte ich nur für „Open The Door, See What You Find“ geplant, da ich dieses Riff hatte und dachte, das klingt von Streichern gespielt bestimmt majestätisch. Davon war ich dann so begeistert, dass ich das weitergedreht habe. Ich glaube, die Fans werden es lieben, dieses opulente Klangbild ist sehr … befriedigend.

Es dürfte vielen gefallen, die sich seit 1994 ein neues „Whatever“ wünschen.

Es stopft dich voll, der Appetit nach Streichern dürfte danach gestillt sein. Eine verdammt große Mahlzeit.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Hätten die Arctic Monkeys nicht das Interesse an Refrains verloren, hätte ihr aktuelles Album so ähnlich klingen können.

Und genau darum geht’s! Jedem, der mich nach Songwriting-Rat fragt, sage ich: Du magst die Looks haben, die richtige Ausrüstung, aber wisst ihr, was am schwierigsten ist? Einen Refrain zu schreiben. Alex Turner ist sehr begabt, aber ich vermisse immer etwas an seinen Songs. Singalongs werden oft abgetan – aber sind das nicht die Songs, die im Gedächtnis blieben? Genau das will man doch. Und ich habe nun mal ein Händchen dafür. Die Leute zum Zuhören zu bringen, ist eine Sache, sie zum Mitsingen zu bringen, etwas ganz anderes.

… auch wenn sie die Texte durcheinanderbringen, wie deine argentinischen Fans, die vor deinem Hotelzimmer deine Songs falsch singen und dich zu „Dead To The World“ beeinflusst haben: „Gonna write you a song / Won’t take me long / You can change all the words / And still get them wrong“.

Texte kann sich niemand merken! Die zweite Strophe von „Whatever“ hat noch nie eine Menge mitsingen können. „Dead To The World“ hat aber auch eine doppelte Bedeutung, es geht dort in erster Linie über das Ende einer Beziehung – ich stecke ja, wie du weißt, gerade in einer turbulenten Zeit. (drei Tage vor Ankündigung des neuen Albums ließ Gallagher mitteilen, dass sich seine Frau Sara MacDonald und er nach 23 gemeinsamen Jahren scheiden lassen; wir sind allerdings dazu angehalten, keine Fragen zu der Thematik zu stellen und schließlich sitzt Gallaghers Manager während des Interviews im Raum – Anm.)

Es dürfte dein bisher zärtlichster Song sein – musstest du dafür Mut aufbringen?

Wenn etwas von Herzen kommt, kannst du nichts dagegen machen. Er mag einem nicht gefallen, aber er ist absolut authentisch – die Wahrheit ist nicht verhandelbar. Vielleicht entspricht er nicht deiner Wahrheit, aber meiner. Hoffentlich hilft er Menschen in ähnlichen Lebenslagen.

Auch in den romantischsten Liedern der ersten drei Oasis-Alben kommt nie das Wort „Love“ vor. Seitdem findet man es überall in deinem Werk – in „There She Blows“ singst du sogar „I love you more than love“. Ein Wort, um das du lange Zeit einen bewussten Bogen gemacht hast?

Echt? Ach, wir waren einfach Burschen, weißt du? So ein Wort hätte man wohl nicht in den Mund genommen. Mit zunehmendem Alter wird man da entspannter. Aber „There She Blows“ ist textlich auch absoluter Nonsens. Keine verdammte Idee, worum’s da geht. Um ein Schiff? Keinen Plan. Ich war high in L.A., als ich das geschrieben habe.

Die große Hymne des Albums ist „Easy Now“ – in den 90ern wäre er ein Welthit geworden, heutzutage chartet so etwas nicht mal.

Ja, die Spielregeln haben sich geändert, aber ich setze da voll auf live: Der Song wird die Leute zerstören. Geschrieben habe ich ihn eigentlich, zusammen mit „We’re On Our Way Now“ und „Flying On The Ground“ für das Best-of Album 2021, aber den habe ich zurückgehalten. Ich wusste, dass er der Mittelpunkt der nächsten Platte sein muss.

Mit „Mucky Fingers“ hast du dich 2005 bewusst dem Gesangsstil Bob Dylans angenähert, mittlerweile spielst du live „The Mighty Quinn“ und im Bonusmaterial des neuen Albums findet sich ein Cover seines „You Ain’t Goin’ Nowhere“. Ich hätte dich nie als Dylan-Fan eingeschätzt – generell erwähnst du so gut wie nie US-Acts als Einfluss.

Auch so eine Frage des Alters – in den 90ern hat er mich nicht interessiert. Aber wenn du dich mal mit ihm beschäftigst, ist das ein Fass ohne Boden. Die Texte sind einfach überirdisch. Aber ja, Amerika hat mir musikalisch nie viel bedeutet – mal abgesehen von Motown, Smokey Robinson, The Doors vielleicht …

Deren „Roadhouse Blues“ hast du zumindest 2000 auf „Put Yer Money Where Yer Mouth Is“ aufgegriffen. Die Beach Boys hast du mal als am meisten überbewertete Band bezeichnet.

Wie viele gute Songs haben die? Sechs? Ich hab’ mindestens zwölf! Also bin ich besser als Brian Wilson! (lacht) Einzig ihre alphabetische Nähe zu den Beatles hat sie so erfolgreich gemacht. Und von denen mochte sie nur Paul McCartney. John Lennon, George Harrison haben sich nie zu denen geäußert. Nur McCartney und schon dachten alle, die müssten brillant sein.

Hast du Angst davor, dass Künstliche Intelligenzen dir irgendwann den Job wegnehmen?

Null. Ich weiß zwar, wie Algorithmen heutzutage Pop steuern, aber ich bemühe ja noch nicht mal externe Songwriter …

… anders als ein gewisser Liam.

Eben. Ich mache weiter mein Ding, ich schreibe, spiele und singe. Wenn du gerne die Texte eines Roboters singst, viel Glück mit dem Scheiß! Wird niemandem etwas bedeuten – außer anderen Robotern, die fahren da bestimmt drauf ab.

Nach Champions-League-Aus: Liam Gallagher nimmt FC Bayern auf den Arm