Opium fürs Volk: Die Toten Hosen auf Tournee
Auch wenn das meiste bekannt ist: Eine Show von Campino, Kuddel Co. steht nach wie vor für den großen Partyspaß. Und welche andere Band aus deutschen Landen kann solches schon guten Gewissens von sich selbst behaupten?
Die Magdeburger Stadthalle hat schon eanz andere Veranstaltungen erlebt. Parteitage der SED zum Beispiel. Zu vergangenen DDR-Zeiten, als das Liedgut noch staatstragend, die lugend noch sozialistisch und ‚Opium fürs Volk‘ eine Metapher von Karl Marx war. Die Damen an der Garderobe, so scheint’s, haben dies alles noch miterlebt. Dementsprechend schwankt ihre Mimik /wischen mildem Entsetzen und blanker Panik, als irokesenhafte Gestalten heranpilgern, die ihre kriegsbemalten Lederjacken partout nicht an der Garderobe abgeben wollen. Die Sicherheitskräfte am Eingang tragen mit ihrem Dobermann-Charme auch nicht gerade zu einer entspannteren Stimmung bei. Dabei sind doch Die Toten Hosen in der Stadt. Und das heißt: Familienzusammenführung der besonderen Art. Papis und Mamis samt aufmüpfiger Kids im Teeniealter bevölkern die ersten Reihen. Dann die klassische Funpunk-Klientel, der örtliche Harley Davidson Club-Vorsitzende, ein tätowierter Zwei-Meter-Mann mit Friseusenfreundin und natürlich gestandene Rock-Prolls der „Trink‘ mächtig Bier und hab‘ Spaß‘-Fraktion. Harmonie und Solidarität pur also. Ein Hosen-Konzert heute, das ist nun mal ein generations- und sozialschichtübergreifendes Ereignis. Ein Wunder fast, daß die Tour von Campino und den Seinen nicht vom Bundesfamilienministerium gesponsert wird (Frau Nolte, übernehmen Sie!). Doch bevor die Opelgang auf die Bühne klettert, gibt’s Punk aus Irland, von Campino fachgerecht angekündigt: „Vor zwei Jahren Green Day im Vorprogramm und heute Compulsion!“. Der Onetwothreefour-Gib-Gummi-Set des karottenköpfigen Quartetts von der grünen Insel läßt kaum vermuten, daß Compulsion ein ausgezeichnetes, vielschichtiges Album namens ‚The Future Is Medium‘ veröffentlicht haben. Dem Volk aber ist das sowieso egal, denn letztlich wollen die Leute nur eins: Hosen. Die springen denn auch recht pünktlich auf die Bühne und geben das volle Brett zu einem mönchsgesungenen Vaterunser vom Band. Arme fliegen hoch, die Teens sitzen auf den Schultern ihrer Eltern und doch — die Halle ist nur zu drei Vierteln gefüllt. Was Campi, Kuddel und Co. allerdings kaum kratzt. Rasant geht’s zur Sache, Lind der Set ist randvoll gespickt mit gern gegrölten Hits wie ‚1000 gute Gründe‘ — Riffrock im Breitwandformal. Selbstverständlich können die Allbiertrinker aus Düsseldorf auch in Magdeburg auf die Textsicherheit der hiesigen Fangemeinde zählen. „Es gibt Wichtigeres als Fußball, Leben und Tod“, meint Campino in Anspielung auf die müden Leistungen der Düsseldorfer Fortuna und schmettert ‚Alles aus Liebe‘. Danach tritt die Gang vom Rhein wieder aufs Gas: „Nichts bleibt für die Ewigkeit‘, ‚Es kommt die Zeit‘, ‚Bonnie & Clyde‘. Zwischendurch gibt Campino wertvolle Überlebenshilfe für Stagediver, Kiffer und Kreislaufschwache: „Das ist eine raucherfreundliche Veranstaltung. Leute mit Joints werden absolut bevorzugt: Und ein Tip für alle, die hyperventilieren: einfach hochhalten lassen, Getränk von oben einfüllen, und weiter geht’s.“ Stimmt. Mit ‚Gewissen‘, mit ‚Liebesspieler‘ und mit dem begeistert aufgenommenen ‚Paradies‘. All das ist wahres ‚Opium fürs Volk‘ — ekstatischer Pogo, glückliche Verschwitzte. Und doch fühlt sich der bourgeoise Berichterstatter zunehmend beklommen. Die Hits gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Ob ‚Paradies‘ oder ‚Hier kommt Alex‘, ob G-Dur oder A-Dur, es läuft immer auf nahezu identische Refrains hinaus. Wenn man die Toten Hosen schon mehrfach live gesehen hat, wird das Ganze so vorhersehbar wie ein Fünfjahresplan. Alles geht seinen sozialistischen Gang, allerdings mit kapitalistischer Routine. Aber wen schert das schon, wenn Party und Spaß auf dem Programm stehen?