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Papst, der; nach anderthalb Jahren Pontifikat von Benedikt XVI . muss – mal abgesehen von theologischen und kirchen- und weltpolitischen Streitpunkten – die Nachfrage erlaubt sein: Wann kümmert sich eigentlich mal jemandum ein Update des Spaß-T-Shirt-Klassikers „I Like the Pope, the Pope Smokes Dope“? Wahlweise könnte man den Slogan ändern in „I like the pope, the pope hates pop“. Das läge näher an der Wahrheit, verlautete doch Anfang Juli aus dem Vatikan, Benedikt lehne die Verwendung von Popmusik zur Untermalung der Heiligen Messe strikt ab. „Updating sacred music ispossible“, so der polyglotte Bayer, „but Ms carmothappen unless it follows the tradition of Gregorianchantsor sacred polyphony.“ Und hier wird ihm wohl jeder, der schon einmal das steinerweichende Gedödel eines „modernen“ Jugendgottesdienstes über sich hat ergehen lassen müssen – einmal ungeachtet theologischer und kirchen- und weltpolitischer Streitpunkte – empathisch zustimmen.

Petry, Wolfgang; Nach 30 Bühnenjahren macht der erfolgreichste deutsche Schlagersänger Feierabend. Die Stimme: im Eimer. Der Körper: am Ende. Die Schnauze: voll. Das ganze Starding: eine einzige Plage. Im „letzten Interview“ auf seiner Homepage warnt Petry vor dem Showbiz: „Heute wird den jungen Leuten vorgegaukelt, es ist geil ein Star zu sein. (…) Dass in weiteren drei Monaten aller Wahrscheinlichkeit nach der Traum zu Ende ist, sagt denen keiner. Die Jugendlichen werden benutzt, sind Teil einer gigantischen Unterhaltungsindustrie, die sich einen Dreck um den Einzelnen schert und was aus ihm ioirrf.“Wordup, Wolle!

Pfeifen, das; drehte sich während der – Fifa™ WM™2Oo6™ noch alles darum, wer welches Spiel wie pfeifen respektive verpfeifen würde, zählte später im Jahr nur noch, was gepfiffen wurde: nämlich in allen Fluren und Gassen das genialische Ohrwurm-Lick des Jahres aus dem Indiepop-Smasher „Young Folks“ von Peter Björn & John. Und warum ist das so eingängig und seltsam vertraut, dass jeder, der’s eineinhalb mal gehört hat, nicht mehr aus dem Ohr kriegt? Sicher nicht zuletzt deswegen, weil die Tonfolge -anders phrasiert- im kollektiven musikalischen Gedächtnis verankert ist als prototypisch klischierte „chinesische“ Melodie. Mal ausprobieren.

Pharrell; erfolgreichster Singles-Produzent und mostfeatured Video-Gaststar unserer Tage; Stil-Ikone. Nachdem die Single „Can I Have It Like That“ (feat. Gwen Stefani) im Herbst 2005 floppte, schob der Bastelmeister sein Solodebüt vor sich her, vergeigte kommerziell aber auch die Single „Angle“ und erntete mit dem überarbeiteten, Ende Juli endlich erscheinenden Album in my mind nur mäßige Kritiken. Die Erwartungen: riesig. DasTiming: katastrophal. Die Musik: nicht mehr als nett. Can I have it like that? Bedaure, nein.

Pink; mit ihrer Single „Stupid Girl“ w,andte sich Pink gegen das „Phänomen der oberflächlichen Popkultur-Vorbilder“. Imzugehörigen Video parodierte sie hierfür u a. Hilary £ Duff, Jessica Simpson, Paris Hilton, Mary-Kate Olsen und andere schmerzfreie Klischee-Girls, Die Moral von dem Video: Das kleine Mädchen, welches vor dem Fernseher mit Engelchen (Pink) und Teufelchen (Pink) auf der Schulter 12 sitzt, greift am Ende nicht zur Puppe sondern zum Football und geht nach draußen: Talent, Instinkt, dem eigenen Kopf folgend. Botschaft: angekommen.Theoretisch.

Pluto; noch ein Opfer von Umstrukturierungsmaßnahmen: Mit der Neufassung des Begriffes „Planet“ durch die Internationale Astronomische Union am 24. August wurde der 1930 entdeckte Himmelskörper Pluto auf den Status eines Zwergplaneten degradiert. Pluto ist kein Planet mehr! Aber wenigstens noch ein Hund. Und der Gott der Unterwelt- und als solcher ja wohl total rock!

Podcasting; Sendungen „on demand“, Internet-Hype. Deutschland ist zwar keine Podcasting-Wüste mehr – 2006 wurde hier das größte Aufkommen nach den USA und China registriert -, berauschend aber ist die Szene nicht. Neben der regelmäßigen und wunderbar steifen Podcast-Ansprache der Bundeskanzlerin, die seit Juni damit versucht, die Politik der Koalition zu erklären, gehört „Die Sendung mit der Maus“ zu den beliebtesten Angeboten – zum relevanten Medium für Shows gewitzter Privatpersonen hat sich Podcasting noch nicht entwickelt. Vielleicht kommt ja 2007 der große Durchbruch? Wer bis dahin Sehnsucht hat nach Sendungen mit Namen wie „Ohrenblikke“, „Gschmarri“ oder „Chicks On Tour“ (die nichts mit Chicks On Speed zu tun hat, sondern aus weitgehend sinnfreiem Geschwafel von „zwei Sängerinnen am Rande des Wahnsinns „

besteht), kann diese ja abonnieren.

Poker; Trend-Spiel des Jahres. DSF und Eurosport haben mit dem zum trendigen Strategiespiel gemauserten Poker eine quotenträchtige Marktlücke aufgetan. Geld wird dabei durch das großzügige Sponsering durch Online-Casinos wie Partypoker verdient; diese wiederum scheffeln Millionen (geschätzter globaler Spieleinsatz 2005:60 Milliarden Dollar) damit, dass auf ihren Internetseiten Millionen (z.T. spielsüchtige) Amateure und zahlreiche Onlineprofis den amerikanischen Traum leben: von der PC-Nachteule zum Millionär. In Deutschland ist dieser Internet-Bluff verboten; kontrolliert werden kann die Zockerei im www jedoch kaum. Und die Markeringmaschine läuft immer heißer: Schon pokert Stefan Raab im —->

Event-TV mit Promis, DSF startet eine „Poker-Schule“, Spielzeugmärkte schichten immer mehr Spielesets in die Regale.

Politisches aus Hollywood; George Clooney hat es in good night, and good luck vorgemacht: Politisches Engagement tut Not. Vielleicht ist das jetzt, wo alle Welt weiß, dass der Irakkrieg ein Griffins Klo war, leichter als noch vor drei Jahren, weil man kaum mehr eine patriotisch aufgeheizte Öffentlichkeit furchten muss. In jedem Fall ist aufrichtiges Bemühen um Verständnis für Missstände förmlich zu spüren: der ewige gartner, babel und brokeback Mountain kommt eine Vorreiterstellung zu für diese neue Haltung. Dass es sich dabei nicht um Lippenbekenntnisse einer intellektuellen Elite handelt, stellen zahlreiche Stars (u.a. Clooney, Brad Pitt, Angelina olie, Matt Dämon) unter Beweis, die ihre Popularität nutzen, um auf Umweltschutzfragen oder Probleme der Dritten Welt aufmerksam zu machen. Wenn man die Popularität von AI Gores filmischem Lehrvortrag eine unbequeme Wahrheit als Messlatte nimmt, werden wiruns daran gewöhnen müssen, dass Unterhaltung die politische Komponente künftig nicht mehr ausklammern wird.

Popetown; zwischen Dänemark und dem Morgenland tobte der ->

Karikaturenstreit, doch auch hierzulande gab es Diskussionen um die Verletzung religiöser Gefühle. So versuchte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Ausstrahlung der Serie „Popetown“ zu verhindern. MTV hatte mit ganzseitigen Anzeigen für die Serie geworben, die unter dem Slogan „Lachen statt rumhängen“ ein leeres Kreuz zeigten, vor dem Christus mit Dornenkrone vor einem Fernsehgerät sitzt und lacht. Das ZdK wertete die Serie, in deren Mittelpunkt u.a. laut MTV ein „durchgehiallter —y Papst‘ stand, als eine „schwerwiegende Störung des öffentlichen Friedens „, konnte sich aber vor Gericht nicht durchsetzen.

„Positiver Patriotismus“; Schwarz-Rot-Gold auf Mädchenwangen, SRG das Fähnchen am Auto deines Chefs, SRG -enes —>

Public Viewing. Erst hat sich die Nation mit dem schweren historischen Marschgepäck unter Rot-Grün „entspannt“, jetzt hisst sie schon Flaggen im Meer, schmettert Hymne. Ein Grusel durchzuckt jene, die selbst dem „positiven Patriotismus“ nichts Positives abgewinnen können. Doch auch wenn sich Funktionäre und Politiker, die es mögen, wenn ein Volk nicht distanziert herum tut, sondern „mitzieht“, sich schon die Hände reiben: Das Volk feiert nur Volksfest, die in Styles und Klassen ausdifferenzierte Jugend will sich nur mal aneinanderreihen. Der Fußball-Nationalismus as usual greift einfach nur weiter um sich, weil die -> Fifa™ WM™ 2006 rM vor der Haustür stattfindet. Kurze Zeit später wird schon wieder distanziert getan, man reibt sich beim -> Papst aneinander, nur die Kfz-Beflaggungvom Chef flattertnoch.

Post-9/11-Horror; Der Tabubruch, das Zeigen des Verbotenen ist entscheidendes Merkmal des Horrorfilms. Dass das Genre durch 9/11 und Abu Ghraib von der Realität mit Bildern, die an Ungeheuerlichkeit und Grausamkeit nicht zu überbieten sind, überholt wurde, machte den Filmemachern zu schaffen. Lediglich ausgewählte Zombtefilme (28 days LATER, DAWN OFTHE DEAD) Wagten Ausbrüche aus der Isolation des harmlosen Teenie-Horrors. Aber genau darum ging es 2006. Weshalb sich der harte Horror zurückmeldete, mit Filmen, die wenig mehr machten als die Vorbilder aus den zoern, die als Reaktion auf Vietnam Schmerzen im Kino zum spürbaren Erlebnis machten: Expliziteste Gewaltdarstellungund Fokerszenarien füllen die Leinwand bei s AW II , dem verkannten Hostel und the hills have eyes. Es sind Filme, die sich fasziniert zeigen vom Abgebildeten, aber auch versinnbildlichen, dass wir in einer Welt leben, in der jeder jederzeitzum Opferwerden kann. Der entscheidende Unterschied zu den Splatterfilmen von einst ist: Heute machen nicht die Indies sondern große Studio damit viel Geld.

Prekariat, das; Worthülse, die 2006 unverdient und unverhofft Karriere gemacht hat. Kommt aus der Soziologie und verbindet die Bezeichnungen prekär und Proletariat. Prekär geht auf das lat. „precarius“ zurück = „schwierig, heikel , misslich“. Gemeint war damit die seit den Soern wachsende Zahl „untypischer Beschäftigungsverhältnisse“ und deren wirtschaftliche, soziale und psychologische Folgen für Arbeitslose, Hartz-I V-Empfänger, gering Qualifizierte und chronisch Kranke. Diese gesellschaftliche Gruppe darf- auch dank -*¿ Harald Schmidts häufiger Verwendung des Wortes – wieder un gerührt-> Unterschicht genannt werden. Unterschicht aber riecht nach Bier, Kippen, Scheidung. Dauerpraktikanten, Selbstständige und andere Noch-Nicht-Angekommene aber wollen nach Bionade, Deo, Zukunft duften. Deshalb erinnerten sie sich an das schicke „Prekariat“. Als großstädtische Spezialeinheit des Prekariats fühlen sich die -> „Urbanen Pennet“.

Priory, die; britische Privatklinik-Kette, spezialisiert auf psychische Störungen und Suchtprobleme. Die Londoner Zweigstelle hatte 2006 enormen Rockstar-Zulauf. Zu Dauer-Sorgenkind Pete Doherty gesellten sich The-Darkness-Frontmann Justin Hawkins und Tom Chaplin von Keane. Insider munkelten, die drei planten ein gemeinsames musikalisches Projekt, bislang ist dieses Gerücht aber unbestätigt. Weiterer Gossip: -—> Kate’n’Pete wurden im Garten der Klinik von Patienten beim Fummeln erwischt, (vr) Prog, der; Nun sind sie also alle wieder da, die waghalsigen Rhythmuswechsel (The Mars Volta), die ungewöhnlichen Songstrukturen (Arcade Fire), die endlosen Soli (Muse), die verrätselten Lyrics (The Decemberists), die überbordenden Ornamente (Animal Collective), die ausgefeilten Songzyklen (Joanna Newsom) mit den ausufernden Songtiteln (Sufjan Stevens), all die frischen und vor allem furchtlosen Jungs und Mädels aus Pop und Rock und Folk und Indie und Avantgarde, die nach 25 Jahren coolnesstechnischer Diaspora den Zwang zu handwerklichem Dilettantismus und konformer Geradlinigkeit abschütteln, um ohne den Ballast der Banalität zu kreativen Horizonten aufzubrechen, hinter denen sie neue Ufer vermuten, die fernen Küsten eines unentdeckten Kontinents, wild und reich und bereit, von kommenden Generationen besiedelt zu werden, die ihm dann hoffentlich irgendwann einen passenderen, stolzeren Namen geben werden als ausgerechnet: Prog.

Public Viewing; vormals „alle Spiele aufGroßleimuand“. „Geht ihr zum PublicViewing?“ Was für ein ekliger Satz, aber während der -> Fifa™WM™2Oo6™ war vieles egal und ein doofer Anglizismus mehr ging dann auch noch rein. Neu war die Idee, Fußballfernsehübertragungen an öffentlich zugänglichen Orten für ein zahlendes bzw. konsumierendes Publikum zu zeigen, ja nicht gerade; das gab’s schon 1954. Ungekannt waren nur die Ausmaße, die das öffentliche Glotzen im Rahmen der -> Fifa™WM™2oo6™ annahm. Wie die Lemminge strömten die im Zuge des kuscheligen -> Fifa™WM™2Oo6™-Wir-Gefühls Massenevents nur noch mehr zugetanen Eventmassen auf die Fanmeilen, in die Biergärten und Partyzelte, bis man kaum mehr was von Leinwand und Spiel sah und sich nicht nur fragte, warum man sich diesen Freizeitstress eigentlich zumutete (A: Weil’s lustig war!), sondern auch rätselte, wie die hohen Einschaltquoten von ARD und ZDF zustande kamen: Wer saß eigentlich noch zu Hause an den Fernsehern? Es hopste doch ganz Deutschland fähnchenschwenkend hier vor einem im Freien rum.