Patti Smith – Star gegen den Strich
Ihre größten Kultfiguren hat die Rockmusik in denen, die sich nicht einordnen lassen. In Personen, die sich nicht einmal selbst einordnen können und / oder wollen. Nur: Wer sich unverfroren über Spielregeln hinwegsetzt, erreicht zwar oft vor der Konkurrenz das Ziel, landet aber auch leicht zwischen den Frontal. Patti Smith’s Verehrer saßen / sitzen in Punk-Kreisen, bei Studenten, unter Hippie-Mystikern und der Kultur-Schickeria. Spätestens seit „Because The Night“ aber herrscht Ratlosigkeit. Und der Grund? Patti smith stellt alle Schablonen in Frage, sie machte es leicht zu sagen „Klasse, ich verstehe zwar nicht, was es ist, aber ich glaube, es ist was dran.“
Patti Smith, 1946 in Chicago geboren, ist ein häßliches Mädchen, kaum mehr als Haut und Knochen. Eine Straßengöre, die am liebsten mit den Jungs rumhängt.
Und sie ist nicht nur häßlich, sondern auch aufsässig. In der Schule liest sie unter dem Tisch in den Werken Arthur Rimbauds, dessen Bücher selbst bei der kulturellen Europa-Hörigkeit der Amerikaner nicht unumstritten sind. Später erzählt sie einmal, daß sie auf einem ihrer zahllosen Jobs „von Frau zu Frau“ die Fresse poliert bekam, als ein paar Arbeitskolleginnen sie mit diesem „Kommunistenschund“ auf dem Damenklo erwischten. Trotz oder gerade wegen solcher Erlebnisse träumt sie davon, in die Welt der Künstler Einlaß zu finden. South Jersey, wohin ihre Eltern gezogen waren, war da völlig unmöglich: zu wenig Menschen, zu viel Patti Smith.
New York war genau das Richtige: Eine Stadt, in der man untertauchen und „Drop-Out“ sein kann, eine Stadt, in der es von allem zu viel gibt, alles grotesk und überzeichnet ist, eine Stadt, in der der Einzelne sich in seiner Anonymität ungestört großen Phantasien hingeben kann. Als 1974 Pattis erste Töne auf Platte erscheinen, da rechnet sie mit South Jersey in knapp fünf Minuten ab.
„16 and time to pay off. I get this job in a piss factory… These bitches were just too lame to understand, too goddamn gratefull to get this job.“.but I wasn’t sane too much neither I was more schoolgirl hard-working asshole…
I got something to hide called desire, and I will get out of here … gonna get on the train to New York City, and I’m gonna be somebody … I’m gonna be a big star, and I’ll never return … to this piss… factory.“
Vorher versuchte sie sich noch als Lehrerstudentin (mit Stiperidium), flog aber von der Schule, als sie schwanger wurde. Dem ungeborenen Kind spielte sie in ihrer Strandhütte Dylans BLONDE ON BLONDE vor, bevor sie es nach der Entbindung zur Adoption freigab.
Die junge Patti Smith hatte nicht nur Rimbaud gelesen und ihre eigenen „schmutzigen, epischen Tragödien“ geschrieben. Sie schmuggelte sich auf verschlungenen Wegen in die magischen Konzert-Arenen des Rock’n’Roll, dessen Ausstrahlung sie auf ähnliche Weise faszinierte wie die geheimnisvollen Symbole der französischen Lyriker und die zeitgenössischen Epen der amerikanischen Underground-Kultur.
In Patti Smith lebt der Mythos des amerikanischen Pioniergeistes: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Ein unbeugsamer Wille wird jedes Hindernis überwinden. Und: Mein Wille ist Gesetz. Ein Mensch, der nichts und niemanden fürchtet, der sich über Konventionen hinwegsetzt und das Unbekannte liebt, entwickelt oft zwangsläufig einen Hang zur düsteren Romantik. Das, was Rimbaud in seinem „Trunkenen Schiff“ schildert, was Jimi Hendrix in den letzten Minuten seines Lebens durchlebt, was William Burroughs in seinen Junk-Romanen ins Bewußtsein bringt, was im Gesicht Jim Morrisons zu lesen war all das war für Patti Smith präsent und es wurde täglich mehr.
Pattis Ego, ihr Wille und ihr Geschmack funktionierten wie eine Brille, die alles rot aufleuchten ließ, was ihrer romantischen Seele entsprach. Es konnte eine simple E-Gitarre sein, das geheimnisvolle Nordafrika von RADIO ETHIOPIA oder die Pop-Sehnsucht von Songs wie „Be My Baby“. Die Helden, die es verstanden hatten, Patti derartig zu beeindrucken, waren mit Ausnahme von Janis Joplin – ausschließlich Männer. Pattis Vorliebe für das männliche daß sie kurz vor ihrer Abreise nach New York noch die Haßtirade „Female“ schrieb: „Female. Feel male. Ever since I felt the need to choose I’d choose male …In anger I cut off all my hair and knelt glassy eyed before god. I begged him to place me in my own barbaric race. The male race …In answer he injected me with all the characteristics of my gender … Bloated. Pregnant. I crawl thru the sand. Like a lame dog… Pull my fat baby belly to the sea… Roll and drag and claw like a bitch. Like a bitch…“
Ihr erster guter Freund in New York wurde Robert Mapplethorpe, ein Fotograf, der sie später für das Cover von HORSES brillant in Szene setzte. Gemeinsam beschlossen die beiden, „Kunst zu begehen“. Patti hatte es ihrer unbändigen Energie zu verdanken, daß sie damit sogar Geld genug zusammenbekam, um sich nach Paris absetzen zu können. „Ich wollte dorthin, wo Soutine gesessen hat. Ich wollte sein, wo Rimbaud sein „Trunkenes Schiff“ schrieb, meine Romantik war unerbittlich.“
In Paris schlug sie sich als Schaustellergehilfin durch, machte bei einem Musiktheater mit und mischte sich unter die örtliche Künstlerszene. Eine Woche lang träumte sie angeblich ununterbrochen, Brian Jones würde in einem sintflutartigen Regen ertrinken, ging nach London, um ihm die Warnung zukommen zu lassen, doch da waren die Zeitungen schon voll von seinem Tod im Swimming-Pool.
Zurück in New York schrieb sie eine schwarze Rock’n’Roll-Messe mit allerlei magischen Symbolen und Anspielungen, in der sich die Aggression der Rockmusik mit mittelalterlicher Sprache mischte. 1971 war Patti Smith in New York einigermaßen bekannt. Wo auch immer sich die Chance bot, in ein Projekt einzusteigen oder Kontakte zu knüpfen -Patti war immer aktiv, immer wach. In Zusammenarbeit mit Sam Shepard entstand das Theaterstück „Cowboy Mouth“, sie schrieb für das New Yorker Magazin „Rock“, wurde aber gefeuert, nachdem sie Eric Clapton beim Interview zu sehr brüskiert hatte.
Auch ihr Schreibstil hatte sich verändert. New York hatte alle archaischen Wendungen in ihrer Sprache unwiderbringlich weggeschwemmt und sie durch die Dynamik des ebenso vieldeutigen Straßenjargons ersetzt. In dieser Zeit erscheint mit „Seventh Heaven“ auch das erste in einer ganzen Reihe von Gedicht und Prosabänden, die in Europa erst viel später und sporadisch erhaltlich sind.
Patti Smith gibt erste Auftritte, allein mit ihrer „Rock Poetry“. Den Hörer erreicht ein schier endloser Wortschwall assoziativer Satzfragmente, der ihn schwindelig werden läßt ob der rasenden Geschwindigkeit freier Sprachrhythmen, deren Zügel Patti selbst oft nicht ganz in der Hand zu haben scheint.
Das eigentliche Neue an Patti Smith war hierbei, daß sie sich nicht in die nebulösen Abgründe „freier“ Assoziationen abgleiten ließ, sondern Versatzstücke aus bekannten Gemeinplätzen der Patti mit ihrem getreuen Gefolgsmann Lenny Kaye; mit Richard Sohl und Alan Bangs nach dem umstrittenen Rockpalast-Auftritt; mit Bobby Z. im Umkleideraum des New Yorker „Bitter End“.
Rock-Geschichte geschickt in ihre Ausbrüche einflocht. Diese Songfragmente waren in ihrer emotionalen Aussage dem Hörer meist so geläufig, daß es Patti gelang, ihre eigenen verschrobenen Texte auf dieser Basis verständlich zu machen.
Mit Lenny Kaye traf sie 1972 den nächsten wichtigen Mann in ihrer Karriere. Kaye, der einige Zeit für den „Rolling Stone“ geschrieben hatte, spielte leidenschaftlich gern Gitarre und arbeitete in einem Oldie-Plattenladen, wo Patti diverse Wochenenden im Dauertanz verbrachte.
Zwei Tage Proben genügten den beiden, um einen Auftritt in der renommierten Underground-Kultstätte „St. Marks Church“ zu wagen. Kayes verzerrte Läufe und ihre elektrisierende Gegenwart bringen selbst das Hip-Publikum zum kochen. Der Lärm im Nacken treibt Pattis Improvisationen in die Richtung Burroughs’scher Monologe, doch selbst augenfällige Anlehnungen fielen bei ihrer Persönlichkeit nicht ins Gewicht. 1973 gesellt sich bei einer Rimbaud-Lesung der Pianist Richard „DNV“ Sohl dazu, Patti (und auch ihr wachsendes Jet-Set-Publikum) ist begeistert. Patti singt erstmals, lernt, ihre knarrende Stimme variabel einzusetzen. „Ich sehe mich als eine Art menschliches Saxophon“ so die Sängerin selbst. Sohl, klassisch vorgebildet, lieferte die Grundstrukturen für Smith und Kaye. Man sagt, sie hätten wie ein Jazz-Trio geklungen.
Im Juni 1974 nehmen die drei im Electric Ladyland Studio die Single „Hey Joe/Piss Factory“ auf, die kurz darauf auf Robert Mapplethorpes Mer-Label erscheint. „Hey Joe“ ist sowohl eine Huldigung an Pattis altes Idol Jimi Hendrix als auch an Patty Hearst, die damals noch als zu den Terroristen übergelaufen galt. Die merkwürdige Geschichte um die Tochter des amerikanischen Zeitungsverlegers hatte Patti Smith mit ihrer Ader für das Geheimnisvolle natürlich gereizt. Tom Verlaine, ebenfalls neu-New Yorker und gerade mit der Gründung seiner Band Televison beschäftigt, steuert ein kaputtes Gitarren-Solo bei.
Inzwischen spielt das Trio auch an der Westküste, und die zahlreichen Auftritte beflügeln Patti Smith’s Rock’n’Roll-Träume. Und wieder gibt es kein langes Fackeln. Patti holt Jay Dee Daugherty als Schlagzeuger und Ivan Kral als zweiten Gitarristen in die Band. In New York regt sich in dieser Zeit erstmals so etwas wie Punk und es tauchen erste neue Gruppen auf. Patti und ihre „Jungs“, fortgeschrittener und populärer als der Rest, unterschreiben im Sommer 1975 bei Arista. Vor den anstehenden Aufnahmesessions gibt Patti noch ein Konzert im „Other End“. Bob Dylan ist anwesend, aber warm werden die beiden nicht so recht miteinander. Patti über ihren berühmten Kollegen: „Er ist so ruhelos.“ Im September quartiert sich die fünfköpfige Band in den Electric Lady Studios ein. Mit dabei ist Produzent John Cale, dem man die schwere Aufgabe übertragen hatte, Patti Smith’s Persönlichkeit auf Platte zu bannen. Cale macht nicht den Versuch, die wilde Furie zu zügeln. Er ließ ihr vielmehr vier Wochen lang Raum, sich zwischen Exzessen, Pathos und göttlichen Eingebungen treiben zu lassen. John trieb mich immer wieder dazu, zu improvisieren und meine Songs auszudehnen – ‚Birdland‘ war auf der Bühne nur vier Minuten lang, aber im Studio wurde es immer länger.“
Der schließlich auf neun Minuten gebrachte Song ist die einzige Reminiszenz an die schlagzeuglose Vergangenheit der Smith-Musik. Ansonsten enthält HORSES, so Kritiker-Götze Lester Bangs, „Den besten Garagen-Band-Sound, den es bisher in den 70er Jahren gab.“
HORSES schlug ein wie eine Bombe, die Kritik reagierte hysterisch, egal in welche Richtung. Auch in Europa fällt der Name Patti Smith nun des öfteren. Unter Cales sicherer Hand war HORSES zu einem glatten Trip gediehen. Patti Smith verewigte die großen Männerfiguren ihres Lebens: Jim Morrison in „Break It Up“: Wo sie träumt, daß ihn marmorne Flügeln auf einer Opferplatte festhalten, sie ihm „Break it up“ zuruft, er daraufhin fortfliegt und sie allein zurückläßt. Auf „Elegie“, als Widmung am Todestag von Hendrix aufgenommen, bekommt Pattis Freund und Lover Allan Lanier (der von Blue Öyster Cult) einen kurzen Auftritt als Gitarrist. „Birdland“ bezieht sich auf den Philosophen Wilhelm Reich, den die Amerikaner wegen zersetzender Tendenzen oder Ähnlichem im Gefängnis sterben ließen. Auch Tom Verlaine leistet seinen kleinen Beitrag, und Robert Mapplethorpe schließlich schoß das Cover: Eine dünne, zerbrechliche, fast hübsche Patti in kühlem Schwarz-Weiß. Ein Kult. Und ihre vier Jungs sehen aus wie aufgereihte, langhaarige Schulkinder.
HORSES enthält noch eine Reihe sehr guter Pop-Adaptionen („Redondo Beach“, „Free Money“, „Kimberley“) und das phänomenale „Land“, dessen mitreißendes Intro der LP den Titel gab. Über diesen Track und seine Entstehung gibt es Legenden, die sich um die Intensität spiristitischer Sitzungen ranken.
Die LP schafft es in die amerikanischen Top 50, die Single-Auskopplung, „Gloria“, wird auch in Europa ein Hit. Auf der B-Seite gibt es eine wilde Live-Version von „My Generation“, John Cale spielt die Bass-Breaks. Wer die englische Ausgabe dieser Single besitzt, der darf sich über einen Eingriff der Zensur freuen: die Zeile „I don’t need that fuckin‘ shit“ fiel nämlich einer Säuberung zum Opfer.
Was Patti Smith live noch so alles konnte, dokumentieren diverse Platten, die aus dunklen Kanälen leider nie den Weg in allzuviele Haushalte gefunden haben. „Teenage Perversity & Ships in the Night“ zum Beispiel ist mittlerweile allgemein als Klassiker anerkannt, aber leider kaum erhältlich.
Im Frühjahr 76 gibt die Patti Smith Group erste Konzerte in England. Deutschland schläft zu dieser Zeit noch, und es bleibt ein paar Besuchern des Hamburger Onkel Pö vorbehalten, nach einem Konzert von R. Rock & den Schockern mitzuerleben, wie sich die dürre, zottelige Person und ihre Musiker ohne vorherigen Sound-Check der herumstehenden Instrumente bemächtigen und den wohl besten Rock’n’Roll-Set hinlegen, den man hier seit Jahr-(zehnt)-en gehört hat. Pattis kurzer Abstecher war unangekündigt geblieben, das mitternächtliche Konzert erlebten darum nur ca. 20 Punk-Fans und 100 angetrunkene Szene-Wanderer.
Im Sommer kehrt Patti nach New York zurück, um ihr zweites Album aufzunehmen. Nach dem Erfolg von HORSES ist Pattis Selbstbewußtsein noch um einiges angewachsen. Sie verzichtet auf die helfenden Hände John Cales (wahrscheinlich weil sie aus der Exoten-Ecke rauswollte) und holt sich stattdessen den Areosmith-Produzenten Jack Douglas ins Studio, einen gestandenen Hard-Rock-Mann. Das Produkt erscheint im November 1976 und heißt RADIO ETHIOPIA (The Tongue of Love). Douglas verpaßte der Patti Smith Group zwar strafferer Strukturen als Cale es getan hatte, doch ging dies weitgehend auf Kosten der unsicheren Spannung, die HORSES so trefflich wiedergegeben hatte. Dennoch würde aus RADIO ETHIOPIA ein sehr akzeptables Folgewerk, enthielt es mit dem genialen „Ain’t It Strange“ und „Radio Ethiopia/Abyssinia“ doch zwei Bühnenfavoriten im Stile von „Gloria“ oder „Land“.
Diesmal hat die Band auf Coverversionen (oder Andeutungen davon) verzichtet. Stellvertretend gibt es betont konventionelle Songs wie den Rock-Fetzer „Pumping“ und Pattis ersten Versuch, eine echte Hit-Single zu schreiben, nämlich „Ask The Angels“. Ebenfalls gelungen: die leichte Jazz-Erotik von „Poppies“ und das rührende „Pissing In A River“, bewegend gesungen im Stile von „Free Money“. Wichtige Männer zu dieser Zeit: Noch immer Allen Lanier, der Pattis „Distant Fingers“ („When… When will we be landing?“) vertont, Wayne Kramer, Gitarrist der Detroit-Band MC 5, der wegen Drogen im Knast sitzt und befreit werden muß, und Muhammed Ali, der immer noch Champ ist. Pattis Status ist mittlerweile so weit angewachsen, daß sie der Platte ein aufwendiges Text- und Photoblatt beilegen kann, das ihren kosmopolitischen Mystizismus umfangreich dokumentiert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stiegen die Fans des „tollen, unprätentiösen Rock’n’Roll“ aus dem Smith-Movement aus. Noch Jahre später nahm es diese Fraktion übel, daß eine derart aufgeplusterte Künstlerin (Pfui!) sie so hatte hinters licht führen können.
Dafür wurde Patti jetzt für den aufgeschlosseneren Hippie-Flügel interessant. Der spätere Rock-Session-Herausgeber Walter Hartmann ließ es sich jedenfalls nicht nehmen, in seiner Kritik in der Zeitschrift SOUNDS William Burroughs‘ Gedanken zu Carlos Castaneda zu zitieren, um so dem Leser die Platte nahezubringen.
Aber Patti selbst wollte lieber die heroische Pop-Freak-Figur sein. PSG wurde zu einer hardworking-band, eine Tour folgte der anderen, die Jungs um den verständnisvollen Lenny Kaye machten den Sprung vom Amateurlager zu den Profis bereitwillig mit und gaben ihrer Frontfrau jedwede Unterstützung. Lediglich Pianist Ricky Sohl brauchte ab und an ein paar Monate Ruhe, ließ sich aber ohne viele Probleme von Andy Paley oder später Bruce Brody ersetzen. Patti Smith war zu dieser Zeit in New York und Europa voll angesagt, vor allem in Frankreich machte sie gehörig Furore. Dort erscheinen dann auch zwei Singles der PSG: Die Auskopplung „Ask The Angels“ mit „Time Is On My Side“ (wiederum live) auf der B-Seite, und die 12″ mit dem alten „Hey Joe“ und einer frühen Version von „Radio Ethiopia“, inklusive ein paar Takten des bis dato unbekannten Songs „Rock’n’Roll Nigger“, der auch für die geplante dritte LP vorgesehen war.
Doch am 23. Januar 1977 trifft Patti Smith das Dichterschicksal, welches einst auch schon Bob Dylan vor der Stagnation bewahrt hatte. Patti, deren Bühnenshow stellenweise hart an eine Kür im Bodenturnen heranreicht, stürzt in Florida von einer unverhältnismäßig hohen Bühne und bricht sich einen Halswirbel. Alle Tourneen müssen abgesagt und die Aufnahmen für die nächste Platte verschoben werden. Die Band, wieder mit Ricky Sohl, spielt alleine in Clubs. Lenny Kaye singt sich durch ein Oldie-Repertoire. Im März 1978 erscheint schließlich EASTER, Pattis Album der „Auferstehung“. „Ich mußte ein halbes Jahr im Bett liegen, und als ich das erste Mal aufstehen durfte, da mußten die Jungs mich tragen“, so Patti in ZIGZAG. Der „Rock’n’Roll Nigger“ war so gut wie tot, nur noch ein Song auf der LP, wenn auch wohl der beste. EASTER wurde von Jimmy Iovine produziert, der früher mit Lennon und Springsteen gearbeitet hatte. Das Material geht in Richtung straight-forward US-Rock’n’Roll, erstmals gibt es nichtssagende Songs („Space Monkey“, „We Three“), die mit produktionstechnischen Mitteln aufgemöbelt werden (Iovine schüttet auf EASTER seine ganze Trickkiste aus und tut damit ganz klar zuviel des Guten).
EASTER enthält aber auch den Titel, der Patti Smith zur Pop-Heldin machte – wenn auch nur für kurze Zeit. Daß sie sich gerade für diesen Track Bruce Springsteen als Melodien-Schmied ausleihen mußte stimmt allerdings nachdenklich. „Because The Night“ war jedenfalls die poppigste Smith, die man je gehört hatte, der Song stürmte überall in die Charts, und Patti ist fast ein Star. Ihre Band, wieder ohne Sohl, dafür mit Bruce Brody, hatte sich zu einer versierten Rockgruppe gemausert, das viele Training ohne ihre Chefin hatte seine Spuren hinterlassen. Patti, die immerhin den Tod mit bloßem Auge gesehen hatte, war ruhiger geworden. Auf EASTER mußte sie sich für die richtigen Nummern nicht mehr zügeln, sondern schwamm stattdessen voller Hingabe in der getragenen Stimmung („Easter“, „25th Floor“), es bei den Up-Tempo-Nummern eine gewisse Leere zu verzeichnen. Ausnahme natürlich „Rock’n’Roll Nigger“, das live-Stück.
Die nächste Single, Pattis fragmenthafte Version von „Privilege (Set Me Free)“ Paul Jones‘ rührseligem Lamento aus dem Power-Film der Mittsechziger, (u.a. mit der unvergeßlichen Jean Shrimpton) wurde ein totaler Flop, was allerdings weniger an dem recht hübschen Song gelegen haben dürfte, als an der idiotischen Verpackung, mit der Arista den Song in die Charts zu pushen versuchte: Die Single erschien in Form einer 12″ mit vier Songs, darunter nochmai „Ask The Angels“, dann eine Live-Version von „25th Floor“ plus fünf Minuten Dichterlesung. Außerdem war das Cover von SET FREE (so hieß die 12″) ein wesentlich schlechterer Versuch in Kleinmadchen-Erotik als die tollen Cover von „Because The Night“ oder besonders EASTER.
Als die PSG ihre neue Platte in Europa vorstellt, fällt ebenfalls auf, daß Pattis manische Darbietungen wohl der Vergangenheit angehören. Dafür erscheint sie stolz mit ungehängter Fender Duo-Sonic, auf der sie in etwa das spielt, was sich Lenny Kaye zu Anfang ihrer Karriere als Begleitung für ihre Wortschwalle ausdachte. Kaye und Co. stehen wie eine Eins hinter Smith, die Ausbrüche sind kontrolliert, aber noch immer nicht ohne Wirkung. In Hamburg steht sie gefährlich nahe am Bühnenrand, streckt die Arme aus und singt „Be My Baby“. Ihre Stimme ist immer noch unglaublich und zum Schluß reißt sie sorgfaltig alle Saiten von ihrer guten Gitarre.
Das Image der düsteren Underground-Figur ist zu dieser Zeit schon von Patti Smith abgefallen. Ihre österliche Auferstehung brachte ihr auch eine positivere Weltsicht, zumindest was ihre äußere Erscheinung betraf. Ihre Plattenfirma nannte sie „Rockqueen Nr. 1“, nach der Gossenpoetin kam nun die distanzierte Diva. Auch Pattis langjährige Liebe zu Allen Lanier ging in die Brüche, und in einer ganzen Reihe privater Umbrüche erlebte 1977 Patti Smith als relativ gesetzten und fast schon etablierten New-Wave-Star.
Als die Band für die Rocknacht im April angekündigt wurde, war Patti Smith plötzlich wieder im Gespräch. In einer präzise getimten Aktion erschien in der entscheidenden Woche vor dem Spektakel noch die neue PSG-LP WAVE, sowie die Single-Auskopplung „Frederick“.
Das Ganze geriet allerdings zu einem Fiasko. Der Abschuß von Patti Smith hatte der gesamten deutschen Rock-Journaille schon lange auf den Nägeln gebrannt und die Gelegenheit wurde allgemein als günstig eingeschätzt, wußte man doch, daß Disziplin nicht gerade des Opfers starke Seite war. So war die Bühne der Essener Grugahalle nur so mit Fettnäpfchen gepflastert – natürlich erst, nachdem die J. Geils Band ihre Aufmacher-Tätigkeit beendet hatte. Die PSG lieferte in Essen einen für mein Empfinden gut aufgebauten und power-geladenen Set, den ich damals (Ho Ho!) auf Kassette aufgenommen habe und mir auch heute noch gerne anhöre. Auf jeden Fall war dieser fast einhellig als Desaster verschriene Auftritt für mich weitaus das Beste, was jemals auf der Rocknacht-Bühne zu sehen war, den verblüffenden Roger McGuinn mal ausgenommen.
Pattis Band, zu der Zeit immerhin seit fünf Jahren zusammen, spielte hart und couragiert. In den Zeitungen war jedoch zu lesen, hier sei eine „inkompetente Kapelle“ am Werk gewesen. – Patti war stoned bis zum Kragen, dudelte ein paar Minuten auf ihrer neuen Klarinette (Ein neuer Mann war in ihr Leben getreten, Fred „Sonic“ Smith, Lover und Klarinettenlehrer), und bekam auch beides auf’s Butterbrot geschmiert.
WAVE ging in der Kritik im selben Zuge den Bach mithinunter. Produziert hatte diesmal der amerikanische Pop-Bastler Todd Rundgren, dessen Vorliebe für leichtgewichtige Sounds verdammt gut zu der kindlich anmutenden Naivität paßte, die Patti sich im zweiten Jahr nach ihrer „Auferstehung“ zugelegt hatte. WAVE (heißt in diesem Falle nicht unbedingt Welle, sondern „winken“) und auch der Rocknacht-Auftritt hatten etwas, was es bei der PSG noch nie gegeben hatte: Ausgelassenheit und Komik. Ein Blick auf’s Cover (Robert Mapplethorpe fotografierte) müßte eigentlich genügen.
Musikalisch gab es auf der Platte auch Ausfälle (peinlich das symphonische Pathos von „Broken Flag“, langweiliger US-Rock auf „Citizen Ship“, für den staatenlosen Ivan Kral eine Widmung unter Wert), die Single „Frederick“ überzeugt nur durch die Überschwenglichkeit der verliebten Patti Smith, klang aber sonst allzu sehr nach „Because The Night*, aber insgesamt war das Album in seiner unverhofften Fröhlichkeit doch gut anzuhören. Gelungen vor allem solche Momente, in denen Patti mit Showtalent und Selbstironie „So You Want To Be A Rock’n’Roll Star“ singt. Und ihre Klarinette von „Seven Ways of Going“ ist ebenfalls sehr gut. Doch auch die beiden nächsten Single-Auskopplungen (beide mit Live-B-Seiten) retteten das Album nicht vor dem Flop.
Das war 1979, und die Achtziger Jahre fanden bis heute ohne Patti Smith statt, jedenfalls auf musikalischem Gebiet. Das letzte Tönchen, was der Forscher von ihr zu hören bekam, war im selben Jahr eine Weihnachts-Single auf dem amerikanischen Jason-Label, wo sie eine wunderhübsche Ballroom-Jazz-Version von „White Christmas“ singt. Auf der B-Seite singt und spielt Lenny Kaye US-Reggae.
Ivan Kral und Jay Dee Daugherty sind heute gefragte Session-Musiker (Kral gehört zu Iggy Pops fester Band), Ricky Sohl hat sich zurückgezogen und Lenny Kaye taucht hin und wieder auf Club-Bühnen auf, gibt dort Rockund Pop-Standards zum Besten und veröffentlicht auch sporadisch Singles, die seinem Ruf als Chronist regionaler Pop-Obskuritäten entsprechen. Schon der von ihm zusammengestellte Psychedelia-Sampler NUGGETS hatte Lenny als energischen Förderer der amerikanischen Garagenrock-Szene profiliert.
Und Patti bewies, daß sie ihre Zeilen „Frederick, you’re the one“ ernst gemeint hatte: Ende 79 heiratete sie ihren „Frederick“, nämlich Fred Smith, der vor über zehn Jahren noch Gitarre bei den MC 5 gehauen hatte. Patti war immer dann am rührendsten gewesen, wenn sie ihre Liebesträume offenlegte, so „Free Money“ oder „Because The Night“, und diesmal scheint es endgültig gewesen zu sein. Patti brach ihre Pop-Karriere sang- und klanglos ab, um sich typisch Smith – Hals über Kopf in das Neue zu stürzen. Plattenaufnahmen stehen für die Zukunft nicht zur Diskussion, allerdings arbeitet Patti an einem Buch. Doch als kleines Hintertürchen bleiben, uns ein paar Zeilen aus „Frederick“: „Bye bye, hey hey, maybe we will be back someday“.