Paulas Popwoche: Drei Haselnüsse für die Liebe actually
„Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und „Tatsächlich… Liebe“: Welcher Film sollte zuerst gecancelt werden?
Ich würde auch gern einen Jahresrückblick machen, aber Herrgott, es war einfach zu viel los. Ihr kommt mit den Jahresrückblicken eh nicht hinterher und wisst schon gar nicht mehr: Ist es schon wieder ein Jahresrückblick oder die normalen Nachrichten? Außerdem ist 2023 noch gar nicht vorbei, ich lege eventuell im Januar nach.
Aber es ist gleich Weihnachten – und an Weihnachten sagt man die Wahrheit –, daher wollte ich was über zwei der größten und problematischsten Weihnachtsgewohnheiten machen, und zwar darüber, dass Leute folgende Filme gucken:
1. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“
und
2. „Love Actually“ oder „Tatsächlich… Liebe“
Und wer guckt am häufigsten diese beiden problematischen Weihnachtsfilme? Ich! Denn ich bin die größte Weihnachtsschmarotzerin auf Erden. Ich weiß gar nicht mehr, wann es war, da habe ich aufgehört, Weihnachten zu feiern. Also konkret, am 24., 25., 26. irgendwas vorzuhaben, irgendwohin zu fahren, irgendwas anzuzünden oder irgendwem was zu schenken. Aber seit ich Weihnachten nicht mehr feiere, liebe ich Weihnachten, also die Folklore daran. Es ist so schön affig, der Schmuck, die Gerüche, die Bräuche, das Essen, die Figuren (und Leute erzählen mir, dass sie Karneval nicht verstehen, haha).
Man kann also einen Monat auf dieser völlig skurrilen Welle surfen, ohne nachher die Zeche zu zahlen, in Form von Geld für Geschenke oder Nerven wegen dem ganzen Druck und Streit. Ich mach’s jedenfalls so. Und seit Weihnachten so easy für mich ist, kann ich auch seine Musik und Filme besonders genießen, ja, bin regelrecht Expertin. Und was sind das bitte für geile Anlässe, die mir hier in die, haha, Wiege gelegt wurden?
„Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (in Folgendem 3H) und „Love Actually“ (LA) feiern beide in diesem Jahr fette Jubiläen: 3H wird 50, LA wird 20! Wir gehen also noch mal rein in das Beste aus West und Ost, aus dem 20. und 21. Jahrhundert, aus altem und neuen Stoff, aus Natur und Stadt und fragen uns: Welcher sollte zuerst gecancelt werden? Gleich werdet ihr nicht schlauer sein.
DIE STORIES
La Lala Lala Lalaa Lala Lala Lala Lalaa. Nein, das sind nicht die „Gilmore Girls“, es ist unser Aschenbrödel, das durch den verschneiten Wald reitet. Wie ein Junge! So turnt sie da rum und reitet und will Abenteuer und leben. Sie lernt da auch ein paar Typen kennen, es ist der Prinz mit Gefolgschaft, und legt sich mit ihnen an, weil sie halt Sachen genauso gut wie Jungs kann. Ihre böse Stiefmutter (der Vater ist tot) macht sie zur Magd und schikaniert sie und gibt ihr Aufgaben, die sie nicht bewältigen kann. Doch da helfen ihr gern die Tiere und andere ihr zugewandte Leute auf dem Hof, auf dem sie alle wohnen und arbeiten. Plus die Magie der Haselnüsse! Irgendwann haben König und Königin zur Brautschau für den Prinzen (er hat keinen Namen) geladen und unser Aschenbrödel sneakt sich rein. Natürlich will ER nicht die älteren und dickeren Frauen, sondern nur das sehr junge Aschenbrödel und so kommt es dann auch. Sie wird geheiratet wie ein Mädchen. Sonst passiert nicht so viel, denn im Grunde geht es bei 3H mehr so um Vibes: Magie, Nüsse, Mädchen, Wald, Frechsein, Liebe.
Frauen werden wie Ware übergeben, ja, das ist auch Teil der Handlungsstränge des anderen Films, LA. Aber in diesem Film passiert sehr viel, was natürlich dazu beiträgt, dass Leute ihn so oft gucken. Es gibt mehrere Personen, mehrere Stränge, alle haben irgendwie mehr oder weniger miteinander zu tun. Die Figuren haben Berufe, die sie ausführen wie auch Barbiepuppen sie ausführen würden: Schriftsteller, Politiker, Sänger, Kunst, Büro, Ehefrau. Bei diesen Leuten geht es dann um die verschiedenen Facetten der Liebe: Verknallen, Lieben nach vielen Jahren, Betrug, Familie, Verlust der Liebe, platonische Liebe, Sex, verbotene Liebe, schwierige Liebe, einfache Liebe. Das Setting ist London Anfang der Nuller, Stadtstress und so.
In beiden Filmen geht es letztendlich darum, dass man einander heiratet, auch wenn man sich bisher kaum unterhalten hat. Denn das ist die wahre Weihnachtsgeschichte.
DIE MUSIK
Lalalala, wie gesagt. Die Musik von 3H ist unschlagbar schön. Das Beste ist, dass auch wirklich fast jede Szene von dieser untermalt wurde. Es gibt mittlerweile auch eine Techno-Version der Ballszenen-Melodie und wenn ich anfangs auch anti war, es ist schon auch geil:
Aber was erst richtig toll ist, ist diese Aufnahme des gesamten Scores vom Czech National Symphony Orchestra:
Musik spielt bei LA auch eine große Rolle, und sie ist so Nuller, wie sie nur sein könnte: Sugababes, Norah Jones, Kelly Clarkson, Dido, Maroon 5. Dazu Klassiker von den Beatles, Otis Redding, den Pointer Sisters und Joni Mitchell. Die ikonischsten Szenen des Filmes haben auch mit Musik zu tun, einmal natürlich Hugh Grant, der als Premierminister zu „Jump“ durchs Haus tanzt, dann Billy Nighy als alternder Popstar Billy Mack, der „Love Is All Around“ covert, um noch paar Moneten zu verdienen und natürlich die beste Szene des Filmes mit der besten Schauspielerin und dem besten Lied. Emma Thompson hört im Schlafzimmer „Both Sides Now“ von Joni Mitchell, nachdem sie erfahren hat, dass ihr Mann ein Schwein ist.
DER HUMOR
3H ist ein frecher Film. Aschenbrödel und die anderen Ausgebeuteten auf dem Hof sind witzig, zynisch, aber natürlich auch am loyalsten. Die Wohlhabenden sind Karrikaturen, albern, ungeschickt. Die Königsfamilie ist aber doch total anmutig und auch witzig („Mach‘ doch kein Gesicht, als ob du Sauerkraut kauen würdest!“), schade, hier hätte der Spott nach oben noch weiter gehen können.
Zweifelsfrei ist da LA ein paar Schritte voraus, es handelt sich nun mal auch um eine Komödie. Hugh Grant ist witzig und hat gute Lines, Billy Nighy hat gute Lines, Alan Rickman und Emma Thompson auch, alle Rollen sind selbstironisch, sogar Mr. Bean spielt mit. Am meisten nervt diese typische Anfang-der-Nuller-Weiberflachlegen-Story von dem Typen, der nach Amerika fliegt, gleichzeitig könnte man es großzügig als Parodie auf eben jene Film dieser Zeit lesen.
DER STYLE
Krasse Hüte, enge Strümpfe, bunte Kleider, auf Winter gepimpt mit Tüchern und Pelzen in Wald- und Schlossszenarien haben natürlich mehr Swag als Jeans und Jacken in der grauen Stadt. Das hier ist zwar kein Wettbewerb, aber der Punkt geht definitiv an 3H.
WIE PROBLEMATISCH
Über das Problematische an LA wurden in den vergangenen 20 Jahren, und auch schon als der Film rauskam (also nichts von wegen „schlecht gealtert“), viele Texte geschrieben. Die meisten weiblichen love interests sind passiv und viel zu jung (die meisten Schauspielerinnen mindestens 15 Jahre jünger als die Schauspieler) für all die Heterotypen in dem Film. Und sie stehen auch sonst in den Machtverhältnissen unter ihnen, sie sind zum Beispiel ihre Hausangestellten, Assistentinnen, Sekretärinnen. Dann gibt es natürlich noch den misogynen Trope der Femme Fatale (Heike Makatsch), die ihrem Chef quasi ihre Vagina aufdrängt und er kann dann halt nicht anders als seine tolle Frau zu hintergehen. Nur junge Frauen kann man also begehren, und natürlich auch nur dünne!
Das Fat Shaming in diesem Film ist so ekelhaft und so oft, ich kann und will es hier nicht mal aufdröseln. In den rausgeschnittenen Szenen sieht man dann auch noch, dass uns eine sehr schöne lesbische Geschichte vorenthalten wurde. Und warum können Sarah und Karl nochmal nicht zusammen sein? Ach, weil sie sich um ihren Bruder kümmert? Alle Frauen, die irgendwie ein Leben haben, sind nicht liebenswert, sondern nur unter einem stehende, 20 Jahre jüngere Frauen? Argh!
Apropos: Keira Knightley war erst 17, als sie die Angebetete von Andrew Lincolns (damals Anfang 30) Rolle Mark spielte. Das finde ich viel creepier als die Geschichte selbst, die am meisten für Kritik herhalten muss. Er ist in die Frau seines besten Freundes verliebt und ich gestehe, ich finde die Geschichte nicht sooo schlimm. Cancelt mich halt, aber ich habe stets mit ihm mitgefühlt und tue es auch beim 100. Wiedergucken noch. Wie er da steht mit seinen traurigen, verliebten Augen und dann diese Liebeserklärung abgibt (ich finde das mit den Schildern eigentlich respektvoll, distanziert, aber halt trotzdem süß und verzweifelt) … Und die Stelle wo er zu Didos Song orientierungslos rumstreunert? Wow. Wer schon mal einseitig verliebt war, kann da doch relaten? Klar, Obsession ist nicht schön und vor allem ist es mega daneben, dass er vorher immer so weird zu ihr war, aber sowas passiert? Leider! Er stellt ja dann zum Glück auch fest, dass es zu viel ist und sagt: „Enough“. Naja, sorry!
Zu den problematischen Sachen von 3H: Also Monarchie, Patriarchat, Heirat sowieso … Auch hier ist zum Beispiel klar, dass man Dicke nicht lieben kann, auch das taugt zu ein paar Witzen. Außerdem wird viel Fleisch gegessen.
WIE PROGRESSIV
Bei 3H gibt es die Klassenproblematik. Die Angestellten werden schlecht behandelt, Reiche sind lächerlich, faul und gemein. Tiere sind auch liebe Freunde, nur aus Spaß jagen ist uncool. Gender wird hinterfragt! Kann ein Mädchen nicht auch wie ein Junge sein? Klar!
Bei LA ist es cool, über Gefühle zu reden, auch unter Vätern und Söhnen, Mental Health ist Thema, Trauern hat Raum, es gibt nicht nur Happy Endings, Solidarität wird hochgehalten, Amis sind dumm.
FAZIT
Ich bin total biased. Aber was beide Filme angeht. Ich war schon oft in Moritzburg, wo teilweise 3H gedreht wurde. Schön da. Bei einem Schullandheim dort habe ich mal mein ganzes Taschengeld in so einen Spielzeuggreifautomaten versenkt. Es gibt also nicht nur schöne Erinnerungen. 3H lief im MDR jedes Jahr 86 Mal. Dazu kam dann noch ARD, ZDF und die Dritten. Da wir kein Privatfernsehen hatten, lief es also zwei Wochen quasi ausschließlich. Für Ostdeutsche ist 3H nicht nur Kult, sondern DNA. Ich war also auf eine Art froh, als ich dann endlich amerikanisiert sozusagen, sowas wie LA hatte. Auch wenn der Film natürlich aus England ist, aber das war damals noch das Gleiche.
Ich kann mit Richard Curtis’ (der nicht nur für LA verantwortlich ist, sondern auch für „Notting Hill“ und „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“) Liebesextremismus viel anfangen, weil ich seine Ideologie grundsätzlich teile. Also, dass Liebe halt überall ist. Ich habe aber mit seiner tatsächlichen Politik darin Probleme. Aber sei’s drum, ich sag mal so: Alles, was mit Weihnachten zu tun hat, ist komplett Banane. Diese beiden Filme sind sicher nicht behämmerter als all der andere seltsame Kram, den ihr da drei Tage lang macht und sagt und woran ihr glaubt. Also, lalalaaalalaaa kann auch dieses Jahr wieder all around sein.
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