Paulas Popwoche: Are you okay, Pop?
Wie ist der Stand, liebe Popartists, die ihr in den vergangenen Jahren zu Anti-Rassismus & sexueller Vielfalt aufgerufen habt?

An vielen Orten der Welt sind Rechte auf dem Vormarsch, das Kapital wird immer mächtiger … und was macht die Kultur, allen voran POP? Ist er eigentlich (noch) dagegen? Kann er es sein? Ist Pop radikal genug? Oder ist so manches Popkulturprodukt so feige, dass es den Konservativen schon wieder nützt? Wie ist so der Stand, liebe Popartists, die ihr – größtenteils – in den vergangenen Jahren zu Anti-Rassismus und sexueller Vielfalt aufgerufen habt, wie krass äußert ihr euch jetzt gegen das System Trump-Musk?
Mit diesen Augen gucken wir kritischen Popfreaks natürlich gen Grammys und Super Bowl …
Also, was ist so geschehen? Beyoncé gewann endlich ihren Grammy für das Beste Album, den sie sich so sehnlichst seit unzähligen Jahrzehnten gewünscht hat. Außerdem sahnte sie im Bereich Country ab, einem sehr weißen Genre mit – in Teilen – rassistischen Tendenzen. Ich hoffe für sie, dass sie dann jetzt mit dem Tragen dieser hellblonden Perücke aufhören kann. Natürlich nur, wenn sie will, ist ihr Leben! Ihre Reaktion sah sowieso cool aus.
Chappell Roan äußerte sich schon auf dem roten Teppich zu der verstärkten Gefahr für trans Personen und unterstrich den Einfluss, den die Community auf ihre Arbeit habe. Das ist natürlich toll und wichtig, aber ein bisschen ist auch sowas ein Symptom dafür, wie unsichtbar trans Menschen sind – dass sie so oft „nur“ von anderen einen Shoutout bekommen, statt selbst größer stattzufinden.
Es gab aber immerhin den ersten Grammy für eine offen lebende trans Frau mit asiatisch-amerikanischem Hintergrund. Ariel Loh gewann ihn in der Kategorie „Harry Belafonte Best Song for Social Change“ und hielt ein Statement auf ihrem Handy hoch.
Trevor Noah machte in seiner Moderation einen angebracht zynischen Witz über die rassistische Migrationspolitik der US-Regierung. Er sagte, die Grammys wären gewählt worden von „13,000 members of the Recording Academy and 20 million illegal immigrants“. Paar Leute im Internet fanden das zu hart. Es kann aber nicht hart genug sein, denn Trumps geplante Massenabschiebung erfordern jedes Mittel, auch Humor.
Shakira hielt sich kurz und widmete ihren Grammy für das beste „Latin Pop Album“ „all my immigrant brothers and sisters in this country“ und versicherte ihre Unterstützung. Das war in seiner relativen Pathosarmut einer der authentischsten Momente der Verleihung.
Der Stand des Feminismus ist, nach Lektüre der Grammys, eher so mittel. Klar, die Popgirls runnen the world, aber natürlich immer noch oder vielleicht sogar wieder verstärkt mit der guten alten übersexualisierten Teeniemädchen-Ästhetik, also die mit den Barbie-Schühchen und den unbequemen Klamotten und den dreilagigen Strumpfhosen, damit die Beine unecht aussehen und Arsch und Brüste, wir kennen das (langweilige) Prinzip. Ich war schon froh, dass Sabrina Carpenter diesmal fast gar nicht auf dem Boden rumgerobbt ist, weil auch das immer noch zum guten Ton jeder Popfrau dazu gehört. Und die neue Generation robbt schon in den Startlöchern. Als ich das US-amerikanische Cover des Rolling Stone mit Addison Rae sah, musste ich wirklich ein bisschen weinen, so naiv war ich wohl gewesen, dass sich was verbessert habe.
Apropos auf dem Boden rumrobben. Die von mir geliebte SZA hat es komischerweise bei Kendrick Lamars Super Bowl Halftime Show auch getan, Gott weiß wieso. Ansonsten war ihr Auftritt natürlich grandios, genau wie der Rest, also seiner.
Über all die Details wurde viel rumanalysiert: Samuel L. Jackson als Uncle Sam, der als Ausdruck des amerikanischen Ideals Kendrick Anweisungen gab und attestierte, sein Auftritt sei „too loud, too reckless, too ghetto“, wie Kendrick „Not Like Us“ anteaste, um ihn irgendwann endlich zu spielen, dann Serena Williams und ihr „crip walking“ während des Disstracks gegen ihren Ex Drake und Schwarze Tänzer*innen, die mit ihren Klamotten die US-Flagge bildeten.
Was aber uns Millennials auch noch nachhaltig beschäftigt hat, war die Wahl der Jeans, die Kendrick trug. Sie sieht nämlich aus wie die most basic Jeans, die wir in den Nullern trugen, die immer zu lang waren und in denen sich das Pfützenwasser bis zu den Knien sammelte. Nicht selten fand man in dem zusammengewürschten Jeansstoff später auch noch ein paar Steinchen oder Regenwürmerteile. Ich sag nur, wie’s ist.

Männer und Klamotten ist grad eh ein großes Thema. Kanye West promotete in einer Super-Bowl-Werbung ein Hakenkreuz-Shirt auf seiner Webseite, Harry Styles wird in typischer Berlin-Hoodie-Optik in Berlin gesichtet, Travis Kelce wurde wegen seines Glamour-Outfits nach dem Super Bowl belächelt … Also, irgendwas müssen wir uns alle diesbezüglich nochmal überlegen.
Anyways. Auftritt LADY GAGA und damit nochmal kurz zurück zu den Grammys. Ich weiß nicht, wie sie uns retten wird, aber ich habe einfach das Gefühl, sie wird es. Nicht nur wegen ihrer Ansage und ihrem Support für Rechte von trans Menschen …
… sondern auch einfach wegen ihrer Fähigkeit, uns immer wieder umzuhauen. Diesmal mit ihrem unglaublich geilen neuen Song „Abracadabra“, der schon jetzt ein absoluter Partyklassiker ist.
Jemand schrieb auf YouTube: „And when the world needed her most, she returned.“ Yes. Nicht alles schlecht in 2025 – Pop regelt (hoffentlich).
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