Pearl Jam: Fun Boy Five
Ihre Griesgrämigkeit ist legendär, ihr Ruf als Medien-Muffel ebenso. Jetzt geben Pearl Jam plötzlich wieder Interviews. ME/Sounds drang zur Chefetage der Band vor und war überrascht: die Herren haben Humor.
Na Eddie Vedder, wie geht’s? „Oh, ich bin guter Dinge über die Welt im allgemeinen. Die menschliche Rasse wird wohl noch eine Weile weiterexistieren, und ich hoffe, daß ich dann für das große Finale einen guten Sitzplatz kriege.“ Und wann wird das sein? „Hm, so gegen 2010. Wer also noch größere Dinge vorhat, sollte allmählich damit anfangen.“ Was passiert hier? Edward Vedder, anerkannter Cheftrübsalbläser in der Poplandschaft, reißt als Antwort auf die erste Interviewfrage gleich mal ein Witzchen? Und überhaupt: Was verschafft uns eigentlich die Ehre, daß Mitglieder – besser: die Chefetage -von Pearl Jam, der pressescheusten Band des Planeten, plötzlich wieder zu uns sprechen? Fragen über Fragen…“Wir denken grundsätzlich, die Musik sollte für sich selbst sprechen,“ -ah, das hört sich schon eher nach Eddie Vedder an- „drum haben wir irgendwann beschlossen, was Pressegeschichten betrifft, mal etwas Pause zu machen. Daraus wurden dann mehrere Jahre, die mir aber vorkamen wie ein paar Wochen. Ehrlich: Ich hab das nicht vermißt.“ Woher dann jetzt dieser Sinneswandel? Böse Zungen mögen behaupten, die sinkenden Verkaufszahlen (das letzte Pearl Jam-Album „No Code“ verkaufte sich nicht annähernd so rekordverdächtig wie seine Vorgänger) seien der Grund für die plötzliche Kooperationsbereitschaft der Band. Doch derlei Unterstellungen sind einfach haltlos. Dafür hat die Band ihren Standpunkt der Business-Verweigerung in der Vergangenheit zu konsequent klargemacht. Gitarrist Stone Gossard bietet eine einfachere Erklärung an:“Die Band ist derzeit einfach gut drauf. Das kommt wohl davon, daß wir zusammen durch einiges gegangen sind und auch einfach reifer werden. Diese Zeit der Funkstille hat uns geholfen, uns selbst wieder besser kennenzulernen und als Band wohlzufühlen.“ Dann waren da also Zeiten, als das nicht so war? Oha. „Persönliche Frage“-Alarm! „Das ist immer relativ“, druckst Gossard herum.“Ich glaube einfach, daß es derzeit mehr Kameradschaft in der Band gibt als je zuvor. Nicht, daß wir bisher keinen Spaß gehabt hätten, aber jetzt ist dieses gute Gefühl besonders stark.“ Die Band, der jahrelang – und nicht ohne Grund – nachgesagt wurde, sie stünde unter der Fuchtel ihres überambitionierten Frontmanns, die auch nie so recht glücklich wirkte in ihrem löblichen, doch allzu verbissenen Windmühlenkampf gegen das böse Business, der immer mehr selbstzerstörerische Formen annahm – diese Band ist jetzt also ein Kreis guter Freunde, die langsam anfangen, es leichter zu nehmen? Zu wünschen wäre es ihnen.
„Pearl Jam wurden immer als sehr, sehr ernst angesehen“, ereifert sich Stone Gossard, „und klar, da war Ernsthaftigkeit. Aber eben auch Humor. In dieser Band wird viel gelacht, nur wurde das von der Außenwelt irgendwie nie wahrgenommen. Ware schön, wenn das mal passierte. Ich würde sagen, wir sind weniger ernst als je zuvor. Wir werden älter, und unsere Fähigkeit, über uns selbst zu lachen, nimmt zu.“
Anfang Februar steht „Yield“, das neue, fünfte Pearl Jam-Album in den Läden. Knappe zehn Monate hat die Band an dem schroffen Werk gearbeitet. Von dieser Zeit könnte Vedder (Standardsatz: „I love music. I love to talk about music“) wohl stundenlang erzählen , am meisten begeistert er sich aber, wenn er von Matt erzählt, einem jungen Toningenieur in Stone Gossards Studio, der als einziges Nicht-Bandmitglied den Sessions beiwohnendurfte und zu einer Art Mädchen für alles wurde. Dann klingt Vedder, der selbst seine Jugend damit verbrachte, seine Nase wo nur irgend möglich in die Musikszene seiner damaligen Wahlheimat San Diego zu stecken, fast wie ein alter Haudegen aus einem Hollywood-Film. Wie einer, der in einem hoffnungsfrohen Youngster sich selbst in jungen Jahren wiedererkennt. „Dieser Knabe war unglaublich. Beinahe rund um die Uhr mußte er sich mit fünf fast geisteskrank inspirierten Typen im Studio rumschlagen.“ Ist er Pearl Jam-Fan? „Jetzt wahrscheinlich nicht mehr“, lacht Vedder. „Er glaubt wohl, wir sind alle verrückt. Wie in diesem Film -‚My Favourite Year‘ mit Peter O’Toole – wo dieser junge Typ gebeten wird, diesem exzentrischen Schauspieler zu assistieren. Erst freut er sich natürlich. Am Schluß will er nur noch lebend aus der Nummer rauskommen. Das war wohl Matts ‚Lieblingsjahr‘.“ Aber doch wohl auch das von Eddie Vedder. Im Frühling spielte er ein Benefiz-Konzert zusammen mit seinem erklärten Helden Pete Townshend: „Das war in Chicago. Er sollte diesen Solo-Gig spielen, und ich war zufällig auch in der Stadt, sogar im selben Hotel. Da hab ich ihm das einfach vorgeschlagen, und ihm hat die Idee gefallen.“ Pete Townshend, Pearl Jams väterlicher Freund Neil Young (Vedder: „Wir treffen ihn oft. Mal sehen, was passiert. Ich kann mir vorstellen.daß wir mal wieder Musik zusammen machen“) – wie ist es, seine Helden zu treffen? „Es inspiriert dich“, wird Vedder feierlich. Gibt es auch Enttäuschungen? „Bisher nicht-dankenswerterweise. Man muß sich klar werden,daß solche’Helden‘ auch Menschen sind. „Gilt das auch für die Rolling Stones,für die Pearl Jam jüngst bei vier Gigs das Vorprogramm bestritten? „Ich muß sagen“, brummt Vedder, „die Stones sind schon so was wie das Königsgeschlecht der Rockmusik. Sie haben ihre ganz eigene Energie, die spürt man. Und sie lieben Musik – die haben auf Tour ihre Plattensammlungen dabei…“
Die Dame vom Management wird nervös, wir müssen zum Schluß kommen. Wie sieht denn nun die nähere Zukunft von Pearl Jam aus, Eddie? „Hm… ich werde wohl nach Hause gehen, ein Bad nehmen, im Keller ein bißchen Schlagzeug spielen. Dann mache ich mir noch Notizen für morgen.“ Witzbold.