Peter Doherty: „Und nun? … Pässe, Visa, Misstrauen, Feindbilder!“
Dieser Mann vermisst die Freiheit, die er einmal hatte, als man noch nicht so gut auf ihn aufpasste. Aber es ist nicht so, dass Peter Doherty diese Freiheit nur für sich beansprucht. In einem sehr persönlichen und auch politischen Gespräch über Terrorismus, Brexit, Dylan und seine künstlerische Arbeit kommt er immer wieder darauf zu sprechen, warum alle Menschen Libertines sein sollten.
Das Wahrzeichen von „cool Britannia“ war eigentlich der Union Jack …
Ja, aber jetzt flattert das Georgskreuz vor den Häusern und alle brüllen: „Vote leave!“ In Zeiten, in denen sich alte Strukturen auflösen, brauchen die Menschen offenbar einfache Slogans. Wir leben in einem Theater der Slogans, sie sind überall. Ich denke, ich bin gar nicht dazu qualifiziert, dies alles zu kommentieren, aber ich sage mal Folgendes: Ich bin definitiv in der entgegengesetzten Richtung unterwegs. Ich möchte Grenzen einreißen, nicht hochziehen. Hey, das macht mein ganzes Leben aus – durch die Welt gondeln, Leute treffen, mich austauschen, Konzerte geben. Und nun? Pässe, Visa, Misstrauen, Feindbilder! Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich mir eine abgefeimte Verkleidung zulege …
Zum Beispiel …?
Womöglich sollte ich meine Botschaft von „Arkadien“ eröffnen, und mich um diplomatische Immunität bemühen. Der Witz ist ja, dass die Grenzen, die scheinbar so viele Menschen haben wollen, „die da oben“, also Reiche, Politiker und jene mit Einfluss, überhaupt nicht einschränken werden. Treffen wird es Leute wie uns, und vor allem jene, die dafür gestimmt haben, die sogenannten „kleinen Leute“.
„Ich möchte Grenzen einreißen, nicht hochziehen.“
Kommen wir noch mal zurück zum Album. Du hast „Flags Of The Old Regime“, deinen Song zu Ehren von Amy Winehouse, dafür noch einmal neu aufgenommen …
Oh dear – gefällt dir die neue Version nicht?
Doch, sie gefällt mir deutlich besser: weniger Geigen, abgespeckte Produktion. Die alte Version war mir persönlich zu bombastisch.
Ah, das freut mich. Das macht mich jetzt glücklich. Ja, die Geigen … die wurden bei der ersten Version auf Bestreben von Andy Boyd (sein ehemaliger Manager – Anm. d. Red.) hinzugefügt. Ich habe den Song jetzt einfach noch mal neu produziert.
Der Songtitel hat sich ja auch geändert: „from“ statt „of“ …
An sich hieß es schon immer „from“. Aber hey, ich sag dir ehrlich, das war mein geringstes Problem, als die erste Version herauskam: Auf dem Weg in die Druckerei ist das „L“ von „Flags“ von der Collage abgefallen, die ich für das Cover der 7-inch gemacht hatte. 4.000 Plakate für die Single wurden mit dem Fehler gedruckt, bis es jemand bemerkt hat. Ich bin fast durchgedreht …
Die neue Version passt wohl auf jeden Fall besser zu den anderen Stücken auf deinem Album. Nach welchen Kriterien hast du die Songs für die Platte ausgesucht, es sind ja auch Stücke darunter, die schon vor über zehn Jahren auf der Demo-Website „French Dog Blues“ herumflogen?
Es ist tatsächlich so, dass ich da relativ wenig zu melden habe. Ehrlich gesagt war ich noch nie in der Position, mich in dieser Frage durchzusetzen. Aber ich arbeite daran, bei meinen Aufnahmen – egal ob mit den Libertines oder solo – in Zukunft mehr Kontrolle darüber zu bekommen, was auf einer Platte landet und was nicht. Ich will nicht rumlästern, aber es sind Songs dabei, die ich ganz sicher nicht ausgewählt hätte. Andererseits glaube ich aber auch daran, dass man dem jeweiligen Produzenten eines Albums die kreative Freiheit lassen muss, gewisse Entscheidungen zu treffen.
Es scheint, als ob deine Songs sich mit opulenteren, überinstrumentierten Produktionen nicht so gut vertragen. Oft überzeugen sie schon rundum als Demos, sie klingen spontan, roh, ehrlich …
Hey, genau das mache ich seit Wochen: neue Demos aufnehmen, schon fürs nächste Album. Warte kurz, ich spiel dir etwas vor … (Er singt zwei Zeilen zu den quietschenden Tönen eines Bandoneons.)
Klingt fantastisch – so ganz ohne Geigen…
(lacht) Ja, oder? Oh Mann, ich kann’s kaum erwarten, wieder ins Studio zu gehen. Das wird auch sehr bald geschehen. Ich muss dringend weitermachen, ich muss mich mit Menschen treffen, die so drauf sind wie ich, die an Gemeinschaft glauben – und an Melodien. Vor ein paar Tagen in Chile hätten wir fast mal wieder die seltene und wundervolle Gelegenheit gehabt, spontan im besetzten Haus eines alten Freundes zu spielen. So lief das eigentlich früher ständig bei den Libertines – aber diese Zeiten sind vorbei. Der Manager rät dringend ab, überall sind Security-Typen, es wird uns immer wieder gesagt, dass so was zu gefährlich sei. Die Freiheit ist futsch. Ich hasse es.
Du bist offensichtlich zu berühmt, und das macht es vermeintlich gefährlich …
Es ist ein verdammtes Dilemma. Gerade jetzt während unserer Unterhaltung konnte ich die ganze Zeit über die vielen argentinischen Kids hören, die draußen vor dem Hotel stehen und warten. Wenn ich rausgehe, strecken sie mir ihre Handykamera ins Gesicht. … Mhh, okay, weißt du was? Vielleicht sollte ich mir jetzt einfach meine Gitarre schnappen, ans Fenster gehen und den Kids etwas vorspielen?
Das halte ich für eine prima Idee.
Dann los! Lots of love, mach’s gut …
Dieses Interview findet Ihr auch in der Dezember-Ausgabe des Musikexpress. Die weiteren Themen darin: