Petty & Partner


Sie haben sich gesucht und gefunden. Tom Pelh und seine llearlbreakers stehen seil einem Jahr mit IJvlan gemeinsam auf der Kühne. Wer prollliert on der unorlhodoxen Partnerschaft?

Jeder stellt mir diese eine Frage: , Wie ist Bob Dvlan eigentlich‘.'“‚ Tom Petty sitzt kopfschüttelnd im Umkleideraum einer Konzerthalle in Pittsburgh. „Es ist schon komisch, aberfiir die meisten Leute ist Dylan immer noch die große und geheimnisvolle Unbekannte. Und jetzt denken alle, daß wir — nur weil wir einige Zeit mit ihm zusammen waren — ihn erklären könnten. Als ob Dylan jemand wäre, den man erklären muß!“

Petty schüttelt den Kopf. „Dylan ist ein Mensch wie jeder andere, mit einer Ausnahme; Er hat etwas zu sagen. Es gibt nicht viele Menschen, die in einen Raum mit 20.IXX Leuten gehen können und spontan Aufmerksamkeit bekommen. Das ist nicht gerade die einfachste Übung.“

Petty mag zu bescheiden sein, es zuzugeben, aber in der Partnerschaft mit Dylan ist er selbst keineswegs nur der nehmende Teil. Die Begeisterung über Dylans letztjährige US-Tour ging nicht zuletzt auf die Unterstützung einer so zündenden Band wie den Heartbreakers zurück — einer Band, die sich viel stärker dem Rock ’n‘ Roll verschrieben hat als jede andere Gruppe, mit der Dylan in den letzten Jahren zusammenarbeitete.

Wer die US-Tour von Petty & Partner erlebt hat. weiß, daß die Heartbreakers „Highway 61 -Sound“, diesen unverwechselbaren Mix aus brodelnden Keyboards und schneidenden Gitarren, um mehr als nur Nuancen erweitern können. Statt den Sound einfach zu kopieren, bläst die Gruppe ihm neues Leben ein und paßt ihn dem breiten Spektrum von Dylans Musik an. Die Heartbreakers tragen so dazu bei. einen neuen Gesamtzusammenhang in Dylans musikalische Gemischtwarenhandlung zu bringen.

Dylan ist indes nicht der Einzige, dessen Musik von dieser Zusammenarbeit profitiert. Seit dem Ende der Australien,’Asien-Tour Anfang 1986 scheinen Petty und die Heartbreakers geradezu auf einer Welle der Inspiration zu schwimmen. Ihren Blues-gefärbten Rock schütteln sie inzwischen mit einer Lässigkeit aus dem Ärmel, die selbst Dylans bekannter Nonchalance alle Ehre machen würde. Nicht daß ihre Musik den Dylan-Songs ähnlicher werden würde, nein, sie scheinen vielmehr aus derselben Intensität und Instinktsicherheit geboren zu sein, die auch Dylans größte Erfolge begleitet hat.

Aber da ist noch mehr — etwas, was nur Petty und die Heartbreakers betrifft. Ich habe diese Band im Studio erlebt und auf der Bühne. Sie hinterließen stets einen überzeugenden Eindruck, haben mich aber nie so hingerissen, wie es ausgesprochene Improvisations-Musiker wie die Rolling Stones oder die E-Street-Band geschafft haben. Doch jetzt stehen sie hier und improvisieren mit Hingabe und Begeisterung. Sie spielen nicht von Kopf zu Kopf, sondern von Herz zu Herz. Sie spielen die inspirierteste Musik, die sie je gemacht haben.

Petty steckt eine Zigarette zwischen seine Lippen, zündet sie an und lehnt sich zurück ins Sofa. „Heule war ein guier Abend“, fährt er fort. „Tatsache ist, daß das gesamte letzte Jahr eine gute Zeit war. Ich glaube, wir alle sind verdammt glücklich. „

Zugeben wird es zwar keiner gerne, aber nach dem Erscheinen von Long After Dark 1982 waren die Heartbreakers mehr oder weniger ein Scherbenhaufen. Petty zog sich in sein Haus zurück, wo er sich ein Studio nach dem neuesten Stand der Technik einrichtete und sich auf ein Solo-Projekt vorbereitete. Drummer Stan Lynch schloß sich T-Bone Burnett an, Keyboarder Benmont Tench spielte im Studio und auf der Bühne mit Lone Justice. Gitarrist Mike Campbell bastelte in seinem Keller auf einer 24-Spur-Maschine und komponierte nebenbei .The Boys Of Summer“ für Don Henley. Bassist Howie Epstein schließlich spielte bei einigen Sessions mit und sammelte ebenfalls Material für eine mögliche Soloplatte.

„Wir hatten einen Punkt erreicht“, sagt Campbell, „an dein wir alle einander etwas überdrüssig wurden; wir konnten uns gegenseitig nichts mehr geben. Wir fühlten uns einfach nicht mehr als Band.“

Stan Lvnch füct hinzu: „Es war, als ob wir alle einer unausweichlichen Frage gegenüberstanden:, Wenn ich nicht mehr tue, was ich gerade tue — was würde ich dann tun ?‘ Das ist eine schreckliche Situation, aber wir alle sind zu der Erkenntnis gekommen, daß es nicht das Ende der Welt sei, wenn diese Band auseimmderbrechen würde.“

1984 dann kam Petty, angeregt durch Gespräche mit Robbie Robertson von The Band, eine Idee, die ohne Beteiligung der Heartbreakers nicht verwirklicht werden konnte. Er wollte ein Album über den modernen amerikanischen Süden machen — der gemeinsamen Heimat, der die meisten Gruppenmitglieder entflohen waren, die sie aber nie so richtig abschütteln konnten.

Das Ergebnis war Southern Accents, ein Album, das den Konflikt zwischen alten Traditionen und neuen Idealen beleuchtete und darüber hinaus das musikalische Spektrum der Band erweitern und ergänzen sollte. Obwohl einige Bandmitglieder die Platte heute für überflüssig halten, war sie doch ein wichtiger Beitrag zur Versöhnung untereinander.

Dann kam Bob Dylan. Er hatte Tench bereits bei Shot Of Love beschäftigt; Tench, Campbell und Epstein waren bei Empire Burlesquedabei. Jetzt suchte er nach einer Band, die ihn beim „Farm Aid'“-Projekt begleiten sollte.

Neil Young. einer der Farm Aid-Organisatoren, erwähnte, daß Petty und die Heartbreakers ebenfalls teilnehmen wollten. Dylan beschloß, die Gruppe zu bitten, ihn zu begleiten.

„Er rief mich an“, erzählt Petty, „und ich sagte: „Klar, komm rüber!‘ Es wurde eine verdammt gute Zeit. Wir spielten gleich eine Woche lang und testeten eine Million verschiedene Songs. Dann kam Farm Aid — und es war eine tolle Nacht. Die Heartbreakers waren gut drauf, Bob war gut drauf, aber es war viel zu schnell vorbei. „

Nicht ganz. Dylan dachte schon einige Zeit über eine Australien-Tournee nach. Aber er hatte keine passende Band dafür. Die Heartbreakers hatten gerade ihre eigene Tour beendet und machten den Zeitplan für 1986. „Ehe wir uns versahen“, erinnert sich Petty, „standen wir in Australien auf der Bühne. „

Glaubt man einigen Kritiken, dann war der Tour-Start etwas unglücklich, Das Premierenpublikum bejubelte Petty und seine Heartbreakers mehr als Dylan. Aber nach einigen Shows kam Dylan. Mit Klassikern wie „Ciean Cut Kid“, „Positively 4th Street“. „Rainy Day Women“ und „Like A Rolling Stone“ eroberte er das Publikum im Sturm. Oft stand er dabei Campbell und Petty in einem furiosen Drei-Gitarren-Duell gegenüber, manchmal wechselten sie plötzlich in Songs, die sie vorher nie geprobt hatten und die einige der Bandmitglieder gar nicht kannten.

„Eines Nachts“, erinnert sich Tench, „drehte sich Dylan um und begann mit Just Like Tom Thumb’s Blues‘. Wir hatten das noch nie gespielt. Entsprechend wurde improvisiert. Manchmal hörte sich die Tour wie eine bizarre Mischung aus den Stooges und Van Morrison an. „

„Auf der Bühne kann Dylan sich nicht zurückhalten“, fügt Lynch hinzu. „Ich habe Gigs erlebt, wo er alle Lieder an der falschen Stelle beendete, wo die Songs in ihre Bestandteile auseinanderbrachen. Es sieht ganz so aus, als ob er auf irgendeine perverse Weise seine Energie aus diesem Chaos bezieht. „

Dylan kann auch auf andere Weise erschrecken. „Er hat eine ungleich stärkere Präsenz als jeder andere, den ich kenne“, sagt Mike Campbell. „Wenn man mit ihm arbeitet, vergißt man das schnell. Aber dann trifft es dich wieder aus heiterem Himmel.

Ich erinnere mich, wie ich während meiner Schulzeit in einer Kneipe einen Hamburger aß und plötzlich ,Like A Rolling Stone‘ im Radio lief. Melodie und Text sprachen mich derart an, daß ich dachte: ,Da ist einer, der nur für mich schreibt.‘ Ich stand auf und kaufte mir eine Gitarre.

Das hatte ich alles schon längst vergessen. Erst während eines Konzertes in Australien fiel mir wieder ein, daß das ja der erste Song war, den ich auf der Gitarre spielen konnte. Und jetzt stand ich mit dem Mann auf der Bühne, der ihn geschrieben hatte. „

Dylan war auch in Australien das Objekt intensiver Zuneigung. „Ich habe so ziemlich alles gesehen“, sagt Lynch. „Das Mädchen, das im Fahrstuhl schlief und behauptete, seine Schwester aus Minnesota zu sein. Die Frau, die vorgab, seine Masseuse zu sein, die Frau, die ständig aus Perth herübergeflogen kam — und die, die im Fahrsuhl immer auf und ab fuhr, um herauszubekommen, in welcher Etage er wohnte.

Ich habe auch die Leute gesehen, denen es ein inneres Anliegen war, mit ihm in Verbindung zu treten. Das war ein wichtiges Ereignis in ihrem Leben. Sie wollten in seiner Nähe sein. Ihm erzählen, wie es ihnen ginge. Vermutlich erinnerten sie sich daran, daß Dylan ihnen oft in seinen Songs gesagt hatte, alles werde gut, auch wenn es ihnen mal nicht so gut ging.

Dylan selbst spricht nicht gerne über diese Dinge. Dem großen Einzelgänger ist es sichtlich unangenehm, wenn er mit den Auswirkungen seiner Songs persönlich konfrontiert wird, wenn er auf seine Texte und ihre Aussagen festgenagelt werden soll. „Es geht mir nicht darum“, so Dylan, „irgendwelche Thesen und Theorien vorzutragen. Textzeilen kommen mir in den Kopf, also schreibe ich sie nieder, lchfiihle mich nicht dafür verantwortlich, wie diese Zeilen interpretiert werden.“

Dylan ist es auch, der den Staub, den die Petty/Dylan-Tour in den USA aufgewirbelt hat, am liebsten unauffällig unter den Teppich kehren mochte. „Seit 1974 bin ich fast ununterbrochen auf Tour. Ich habe Tourneen gemacht, die von den Medien überhaupt nicht beachtet wurden. Warum also jetzt die Aufregung? Für mich zählt nur das Publikum — ganz gleichgültig wo es ist.“

Im September wird sich das deutsche Publikum überzeugen können, ob es wirklich nur eine Tournee wie jede andere ist.