Pfui Teufel: Plädoyer für einen selbstbestimmten Stadtduft
Weichspüler, feuchte Ziegelsteine, Pferdeäpfel: An dem Geruch einer Stadt erkennt man ihren Entwicklungsstand. Und weil der Mensch auch mit der Nase denkt, bestimmen heute immer mehr Unternehmen, wie eine Straße riecht.
Seitdem Professor Hatt zu Düften forscht, ist auch die Industrie an seinem Wissen interessiert. „Wir arbeiten mit Kosmetik- und Waschmittelfirmen oder Firmen, die sich mit der Beduftung und Aromen befassen, zusammen. Vom Auto- bis zur Raumbeduftung, all das hat stark zugenommen.“ Aber kommen wirklich mehr Kunden in einen Laden, der nach Vanille riecht? „Es gibt wenige seriöse Studien, die das belegen. Was man sicher weiß, ist, dass jede Art von Beduftung eine bestimmte Wirkung hat. Düfte sind nie neutral, sie werden immer positiv oder negativ bewertet. Und somit kann man Menschen durch Duft beeinflussen, gar konditionieren, da man einen Duft mit der Emotion, den Bildern in dieser Situation abspeichert. Wie beim Pawlow’schem Hund“, erklärt Hanns Hatt.
Die Stadt von heute riecht deswegen oft künstlich: Kosmetik-, Lebensmittel- oder Kleidungsgeschäfte blasen Aromen durch ihre Lüftungen, sodass sie oft schon aus weiter Entfernung wahrgenommen werden können. Seife, Croissants. Dass große Ketten in ihren Filialen überall auf der Welt den gleichen Duft benutzen, führt zu einer geruchlichen Angleichung von Städten. Die Globalisierung des Odeurs ist weit fortgeschritten.
Doch ähnlich wie die Lautstärkebelästigung in Städten, beschäftigen sich die Ämter mittlerweile auch mit Geruchsbelästigung. In München hat unlängst eine Anwohnerin der Innenstadt einen Antrag gestellt, die Stadt möge der Modekette Abercrombie & Fitch untersagen, ihr Parfüm zu versprühen, da der starke Geruch auch Hunderte Meter weiter zu vernehmen ist. Der Textilhersteller will so Kunden in die Filialen locken, doch stattdessen gibt es in vielen Städten Protest dagegen.
Der Geruch der frischen Aufregung
Dass in Paris, der Hauptstadt des Landes des Parfums, sogar öffentliche Plätze mit Duft versehen werden, liest man immer wieder gerüchteweise. In den Berliner Ämtern weiß man nichts von so einer Beduftung der öffentlichen Flächen und verweist an die Verkehrsbetriebe. Eine Sprecherin der BVG berichtet auf Nachfrage, ob Busse und Bahnen parfümiert würden, man habe sich vor Jahren das Reinigungsmittel, das in der Pariser Metro benutzt wird, ausgeliehen, das einen feinen Citrusduft verströmt. Allerdings nicht fein genug für die sensiblen Nasen der Berliner. Sowohl die Reinigungskräfte als auch die Fahrgäste beschwerten sich. Also hat man die Seife wieder gewechselt. Geschmäcker seien eben verschieden, sagt die BVG-Sprecherin und außerdem gebe es ja heutzutage auch immer mehr Allergiker. Nun benutzen die Verkehrsbetriebe ein Mittel, das Düfte oder Gestank neutralisieren kann.
In Städten wohnen Menschen, die in Ecken pinkeln, gleichermaßen wie die, die für eine Duftkerze 50 Euro bezahlen. Menschen, die tief einatmen, wenn sie an einem U-Bahn-Schacht vorbeifahren, die berauscht sind, wenn sie durch lindengesäumte Straßen laufen. Aus geöffneten Fenstern riecht man Weichspüler, den Duft von angebratenen Zwiebeln und rotem Fleisch am Sonntagvormittag. Am Sonntagmorgen zieht der Geruch von kaltem Rauch durchs Treppenhaus. Man riecht den Wochenmarkt und verschüttetes Bier, man riecht Zigarettenfilter, die am Boden schmoren. Und dann riecht man diese Verbindung aus nasser Parkerde, Zigarettenrauch und Rotwein und erinnert sich an den vergangenen Sommer, man erinnert sich, wie der erste Winter roch, in dem man die erste Wohnung bezog und jeder Winkel der Stadt noch frische Aufregung versprach.
Dass Erinnerungen und Gerüche so stark miteinander verbunden sind, hat einen biologischen Grund. „Die 350 verschiedenen Riechzelltypen in der Nase können durch Duftmoleküle erregt werden und senden Strompulse ins Riechhirn. In der Kombination der erregten Riechzellen ist die Duftmischung codiert. Vom Riechhirn wird die Information direkt ins Erinnerungs- und Gefühlszentrum geleitet. Im Gedächtniszentrum wird dann das Duftmuster zusammen mit der Emotion, den Bildern usw. abgespeichert. Wegen dieser besonderen Verbindung sind Düfte so eng und stabil mit Emotionen verknüpft. Wenn der Duft erneut wahrgenommen wird, werden auch die erlebte und gespeicherte Emotion und Bilder wieder hervorgeholt“, erklärt der Professor. Und wie entscheidet sich, ob wir einen Geruch positiv oder negativ bewerten? Eben je nachdem, wie die Stimmung gerade war, als man ihn zum ersten Mal roch.
„Der Geruch der Stadt ist Teil ihrer Identität. Denken Sie an Städte, die am Meer liegen. Ein oberbayerischer Ort im Winter: Es duftet nach Holzfeuer – und damit ist ein ganzes Lebensgefühl verbunden“, sagt Joachim Brech und überlegt: „Vielleicht ist ja daran sogar die DDR zugrunde gegangen. Auch wenn es empirisch natürlich keine Nachweise gibt. Aber irgendwann möchten die Menschen die selbstverständlichsten Dinge um sich haben: Farbe, gute Luft, Wohlgeruch. Vielfalt statt Einheitsgrau oder Einheitsduft.“
***
Dieser Artikel ist ursprünglich in der me.URBAN-Ausgabe 1/2015 erschienen.
>>> zur Direktbestellmöglichkeit
>>> Folgt me.URBAN jetzt auf Facebook!
>>> Folgt me.URBAN jetzt auf Instagram!