PIL-


"Wir sollten nicht vergessen, dass es unsere Aufgabe ist, frei zu sein... Cornegidouille! Wir werden nicht alles niedergerissen haben, solange wir nicht sogar die Ruinen zerstört haben. " A. Jarry/UBUin Ketten II 1900

Wir müssen unseren Kopf schütteln. Wir müssen uns von der Vergangenheit, von der uns zerfressenden Gewohnheit der Normalität trennen. Von dem, was uns unsere Erfahrungen/Hoffnungen/Träume nimmt. Wir brauchen Töne/ Bilder, die uns das Vertraute nicht noch einmal vorführen. NEIN. Wir wollen nicht an unsere Umwelt gewöhnt werden. Wir brauchen Töne/Bilder, die Verwirrung auslösen. Die sich permanent weigern, von unserem Kopf/Körper verstanden/erfasst zu werden. Wir brauchen… PUBLIC IMAGE LTD.. Wir brauchen die .Metal Box’… Wir warten auf mehr! Weil sie radikal sind, herausfordern, einen selbst-setzenden Weg gehen.

Es herrscht Unruhe in den Gedanken und Gefühlen. Aufruhr. Rasterfahndung im Hirnstrom nach dem Nie-Zu-Erreichenden, Nie-Zu-Erfassenden.

Ich versuche, ein Stück zu fassen. Mich anzunähern. Und ich weiß, dass ich es nicht fassen werde. Weil ich das nicht will. Weil ich das nicht brauche. Weil ich weiter suchen will!

Ich durchquere die Stadt. Das Auto bringt mich zum Haus von John Lydon. Stützpunkt der PIL. Hinter den Scheiben, die mich von der Außenwelt trennen, herrscht Dunkelheit. Weiße Neonlichter zerreißen das Bild. Ich seh keine Sonne. Ich seh keine Sterne. Die Nacht ist tief. Mir hängt der klopfende Knorpel des Soundtracks vom Carpenter-Film „Aussault On Precint 13“ im Ohr. Letzte Nacht sah ich den Film zweimal hintereinander. Junge Outlaws laufen Amok gegen das Gesetz, gegen die Gesellschaft. Und dazu ein Ton, der dir die Nässe aus dem Inneren jagt. Ich bin bereit… für PIL. Und die Nässe kommt von draußen, es regnet.

Das Haus ist erreicht. Die Frau von Virgin gab mir vorher Anweisung: mit voller Wucht gegen die Tür hämmern, weil die da drinnen immer laute Musik haben! Ich lege mein Ohr an die Tür. Keine Musik. Ich hämmere mit Fuß + Faust gegen die Tür. Weil draußen vor der Tür Autos Geräusche produzieren, LKWs den Asphalt vibrieren lassen – das machen, was drinnen passieren soll.

John Lydon öffnet. Freundlich, menschlich, kommunikationsbereit. In Hose/Hemd/ Schuh/Jackett. Drinnen ist es ruhig. Nur das Color-TV sendet Töne/Bilder — aus Margarets England. Zuerst Meisterschaften im Turnen. Dann News über Telefonabhöraktionen. All secrecy Not privacy! John sitzt auf seinem Lieblingsplatz – ein blaues Ledersofa. Er hat einen Plan: beim nächsten PIL-Auftritt will er das Sofa dabei haben und ein Specialmicro mit TV-Gerät, um die Programme sehen zu können.

John hat ein Objekt hergestellt. Es hängt an der Wand: ein Frauentorso (Oberteil) montiert mit einer Jimmy Carter-Kopf-Maske. In dieser Umgebung fühle ich mich wohl. Ich schalte den Recorder aus. Er ist überflüssig. Weil ein Gespräch/ Gedankenaustausch gesprochene Wörter und Pausen zwischen zwei (dann fünf) Personen stattfindet. Wie beim Treffen eines alten Freundes, der um die Ecke wohnt.

PIL arbeiten völlig außerhalb des Musik-Business. Daher können sie experimentieren. PIL verlangen einen neuen Weg der Annäherung.

John ist 24 Jahre alt geworden. Heute. Irgendwann kommen die beiden nicht-Instrumente-spielenden PIL-Leute ins Haus, Jeannette Lee und Dave Crow. Beide waren Shopping. Geschenke für John. Dave wirft mehrere Plattenboxen ab, damit John seine Platten, die im ganzen Haus verstreut liegen, einsammeln kann. Jeannette schenkt ein Margaret Thatcher-Poster, eine Andy Warhol-Imitation des berühmten Monroe-Farbdrucks. Margaret im Marilyn-Gewand. Kurze Zeit später erscheint der hagere, blonde Keith Levene, ein PIL-Instrumentenspieler. Keith wirft ein paar Kissen ab und baut neben dem TV einen beleuchteten Schriftzug aus der West-Kultur auf ,NEON scheint in grellgelbem Licht.

Im Laufe der Zeit klingeln die beiden Telefone. Jeannette nimmt ab/an. Glückwünsche oder Fragen für John von Leuten, die er nicht kennt. Poliy aus Yorkshire will wissen, ob er immer noch gegen Punkrocker sei. John lacht: „Wie kommt die auf diese Idee? Wer zum Teufel hat je behauptet, ich sei gegen Punkrocker! Das einzige, was mich immer angeödet hat, war ihre Trostlosigkeit, die konnten keine Weiterentwicklung akzeptieren! Also blieben sie zurück – wie alle, die verbittert sind.“ Auch an der Tür klingelt es. John kommt mit einem T-Shirt in der Hand zurück, das er gelangweilt präsentiert: ,,Irgend welche Idioten schicken mir die Dinger jeden Tag. Ich glaub, die sitzen in ’ner Anstalt.“ Das zerrissene Hemd zeigt Johnny Rotten. Relikte aus einer anderen, vergangenen Welt. Die für andere noch Gegenwart ist.

John hat aus der Vergangenheit gelernt. PIL sind eine demokratische Organisation. Ihre Art von Management bedeutet: sich selbst erkennen, wissen, was man will, die Sache selbst verwirklichen. Es ist ein Versuch, an dem gearbeitet wird. Und der, wenn er glückt, die Praktiken und Strukturen der Musik-Industrie sprengen kann. PIL haben keinen Produzenten. Keine Verträge mit Promotern/Agenturen. Tourneen gibt es nicht. Nur vereinzelt ein Konzert, wenn man sich danach fühlt. Spaß hat. John: „Sonst wird es Routine, billiges Theater. Du verlierst ’ne Menge Geld und machst dich kaputt! Entweder scheitern wir mit PIL vollständig, oder es wird ein Erfolg. Aber egal, wir versuchen es wenigstens und allein das ist schon ein Erfolg für uns! Wir experimentieren mit Instrumenten, auf dem Gebiet der Musik und des Films/Video“, (Jeannette und Dave benutzen eine Beaulieu-Super-8 mm-Kamera, mit der Synchron-Ton möglich ist) „selbst wenn du die Elektronik nicht beherrschst, so sage dir: diese Maschinen/Geräte sind für mich da, um sie zu gebrauchen, und nicht, um mich vor ihnen zu fürchten!“

PIL verbringen viel Zeit im Studio, weil es ihnen Spaß macht. Keith macht Geräusche auf seiner Gitarre, keine Melodien, er benutzt sie wie eine Spraydose, mit der du verstümmelte Züge an die Wand spritzt. Den Synthesizer behandelt er genauso, er kritzelt fern von allen Klischees. Keith war einmal im Jahr ’76 bei drei Clash-Auftritten ihr dritter Gitarrist. John: ,,Keiner von uns ist ein Musiker – aber wir alle haben Ideen für Geräusche und Krach. Unsere Einstellung ist: würden wir nicht Spaß haben mit diesem Geräusch? Da wir im Studio, das wir selbst mieten/ bezahlen, nach keinem festen Schema arbeiten und keine intellektuelle Argumentation beim Zusammensetzen eines Stücks kennen, brauchen wir mehr Zeit, und es klappt auch nicht immer alles – doch dann erreichen wir’s doch, weil nur wir vier bestimmen!“ Jah Wobble zieht mit seinem Baß warme/tiefe Furchen: Martin Atkins ist nach Jim Walker (spielte auf der PIL-LP 1) und Richard Dudanski jetzt der P1L-Drummer.

John: ,,Ich empfinde großen Respekt für die Doors!“ Lydons Stimme/Gesang (er schreibt die Texte) liegt weit jenseits der Sprache, er dehnt die Silben bis zum Zerreißen, er schleift im tiefen Kanalsystem. Hör dir ,,Albatross“ (auf .Metal Box‘) an, dann empfindest du wie John.

Die PIL-Töne können in deinem Kopf Bilder hervorrufen, eigene Assoziationen. In den 20er Jahren wurde der Ton zum Film montiert/erfunden. Heute findet eine umgekehrte Entwicklung statt: die Musik ist visuell geworden. Und PIL spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Plattenfirma, der sie die fertigen Bänder anbieten, ist anderer Meinung. Die wollen den Vorschuss, den die Gruppe bekommt, halbieren (für die .Metal Box‘ zahlten sie 27 000 Pfund, davon musste PIL die 20 000 Pfund für die Metalldose selbst bezahlen).

John: ,.Ha Ha Ha! Dann gehen wir weg und suchen ’nen anderen Weg!“

,,The public Image belongs lo me, it’s my entrance, my own creation, my grand finale… my good-bye. “ ,.Public Image“