Pink Floyd: Graham Coxon über Syd Barrett


Sie werden gerne verglichen, nicht zuletzt musikalisch, aber auch ihr Werdegang weist Parallelen auf. Es gibt allerdings einen großen Unterschied: Mit dem Ex-Blur-Gitarristen Coxon kann man reden. Der verlorene Sohn von Pink Floyd kehrte hingegen nicht mehr zurück in diese Welt.

Es war der Sänger, Gitarrist und Songschreiber Roger Keith „Syd“ Barrett, dem der Ruhm des frühen Pink-Floyd-Meilensteins „The Piper At The Gates Of Dawn“ (1967) allein gebührt. Zum zweiten Album „A Saucerful Of Secrets“ (1968) steuerte der wegen exzessiven LSD -Konsums und zunehmender Unzuverlässigkeit durch Dave Gilmour ersetzte Barrett nur noch den gloriosen „Jugband Blues“ bei. Es folgten zwei Solo-Arbeiten des seelisch bereits schwer erkrankten Genies: „The Madcap Laughs“ (1970) und „Barrett“ (1970) – erratisch und einzigartig in ihrer Seltsamkeit. Danach folgte nichts mehr.

Der in selbstgewählter Einsamkeit im Haus seiner 1991 verstorbenen Mutter in Cambridge lebende Syd Barrett gibt seit 33 Jahren kein Interview mehr. Mit dem ehemaligen Blur-Gitarristen Graham Coxon kann man allerdings zumindest sehr gut über Syd sprechen. Dessen Einfluß auf Coxons nunmehr sechs Solo-Platten kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Weitere wichtige Gemeinsamkeiten: Beide sind talentierte Maler, und die Demission von der geliebten Band ging jeweils einher mit der Sucht (Coxon: Alkohol; Barrett: LSD, Mushrooms, Acid etc.). Coxon ist heute trocken; Barrett blieb, so wird spekuliert, in den späten Sechzigern auf einem Trip hängen und ist nie zurückgekehrt. Heute sitzt Graham Coxon an einem Tisch in Köln und raucht. Nach jedem vierten Satz macht er eine lange Denkpause und spricht erst nach reiflicher Überlegung weiter.

Musikjournalisten hatten deine Songs schon bei deiner ersten Platte „The Sky Is Too High“ aus dem Jahr 1998 mit Syd Barrett verglichen …

Der Vergleich mit Syd ist ja auch naheliegend, nicht? Wenn etwas sehr ruhig und verletzlich klingt und meist auf der akustischen Gitarre gespielt wird, sagen manche sofort: Syd Barrett. Andererseits habe ich damals während der Aufnahmen nicht weiter an ihn gedacht. Ich denke, die Assoziation kommt durch den Tonfall und die etwas beiläufige Art zu singen zustande – da sind wir uns sicherlich ähnlich.

Glaubst du, daß Barrett ein guter Gitarrist war?

Ja. das denke ich. Weil ich glaube, daß er… (denkt lange nach) … Man hörte ihn Gitarre spielen und wußte: Dieser Mann ist nicht nur Musiker, sondern sicher auch Maler. Er benutzte die Gitarre nicht wie jemand, der sein Fachwissen demonstrieren wollte. Ihm ging es darum, eine ganz bestimmte Dynamik zu entwickeln.

Du bist auch Maler und hattest schon einige Ausstellungen. Gibt es Gefühlsregungen, die du zwar in einem Bild, aber nicht in einem Song ausdrücken kannst?

So denke ich eigentlich nicht. Wenn man eine dieser beiden Welten, egal welche, betritt, verhält es sich so: Je mehr du machst, desto mehr limitierst du dich selbst. Du betrittst eine Welt, die du dir selbst geschaffen hast, und jede Entscheidung, die du triffst, macht diese Welt kleiner. Bis gar kein Platz mehr da ist. Da ist dann der Punkt erreicht, wo du dich deiner Stimmung einfach hingibst und nicht mehr groß über das Ergebnis nachdenkst.

Wurdest du Barrett gerne einmal treffen? Und wenn schon nicht den heutigen, 60jährigen Barrett, der ohnehin keine Menschen treffen möchte, dann vielleicht ja den von 1968?

Ja, das würde sicher Spaß machen. Ich hab darüber schon öfter nachgedacht: Ich würde am liebsten den Syd von 1966 treffen. Wobei ich sagen muß, daß ich Menschen getroffen habe, die dem Syd Barrett von 1966 erstaunlich ähnlich sind, und ich weiß einfach nicht, ob ich mit einer solchen Situation umgehen könnte. Am schlimmsten wäre es wohl gewesen, wenn der Graham Coxon von vor fünf Jahren den Syd Barrett von 1966 getroffen hätte: Das wäre echt ein Lacher gewesen und wahrscheinlich total chaotisch. Ich würde ihn fragen, was für ein Mensch er wirklich war, damals. Dann würde ich ihn fragen, ob er ein Lied mit mir singt. Ich habe mir Syd Barrett immer als Zauberer vorgestellt, als Hexenmeister. Weil Leute wie er oder Nick Drake einfach nicht für das gemacht waren, was ihnen widerfahren ist. Sie hatten einfach nicht die Möglichkeit, sich das dicke Fell zuzulegen, was ich selbst mir nach einer sehr langen Zeit zugelegt habe. Viele Leute sagen, daß Syd ein wunderbarer Mensch war. Aber an irgendeinem bestimmten Zeitpunkt blieb er hängen und kam nicht mehr zurück. Er wurde schlicht geisteskrank. Die Drogen haben einfach nicht geholfen.

Zurück zu Syds Musik: Erinnerst du dich noch daran, was du gedacht hast, als du zum allerersten Mal seinen Song „Bike“, den Abschluß des Pink-Floyd-Debüts „The Piper At The Gates Of Dawn“, gehört hast?

Oh ja! Ich war ungeheuer beeindruckt! Ich saß mit meiner damaligen Freundin zu Hause, sie kannte schon einige Sachen von Pink Floyd. Wir hörten also diese Floyd-Compilation, „Relics“, mit der Nick-Mason-Zeichnung auf dem Cover. Wir aßen Oliven und tranken Wein und ich dachte: Das ist das Unglaublichste, was ich in meinem Leben gehört habe! Am meisten Angst gemacht hat mir das Geräusch am Ende von „Bike“, dieser Loop, der klingt wie eine Gans, die verrückt geworden ist. (Er schnattert mindestens 20 Sekunden lang wie die Gans am Ende von „Bike“.) Dieses Schnattern hat mich wirklich verrückt gemacht.

Wenn man an „Bike“ denkt oder auch an „The Gnome“, wo Syd Barrett die Geschichte des Gnoms Crimble Gromble erzählt, stellt man außerdem fest, daß es damals niemanden sonst gab, der derartige Texte schrieb, oder?

Ja. Es handelt sich um Texte, die bewußt einfach und kindisch sind. Auch ich habe viel später derartige Texte geschrieben, und weißt du, was die Leute sagten, die vielleicht zu jung waren, um Syd zu kennen? Sie sagten: Graham Coxons Texte sind einfach furchtbar! Sie verstehen nicht, wo diese Texte herkommen, sie erkennen die Referenz an Syd Barrett nicht. Diese Texte waren ein Ausdruck meiner Sympathie für Barrett, und ich werde sehr wütend, wenn Menschen über Texte urteilen, deren Hintergrund sie nicht kennen.

Was genau fasziniert dich an Barrett am meisten ?

Ich sehe ihn als jemanden an, der eine ziemlich direkte Verbindung zu den Dingen hat, die vor ungefähr 1000 Jahren passierten. Und zu den Liedern, die damals gesungen wurden. Kinderlieder. Diese Unschuld und all das Bizarre, das Kinderlieder ausstrahlen! It’s psychedelic!

Eine recht weit verbreitete Anekdote: Ausgerechnet als Pink Floyd in den Abbey Road Studios „Shine On You Crazy Diamond“ aufnahmen, stand plötzlich Syd Barrett im Raum, physiognomisch stark verändert und mit seinen Gedanken in einer ganz eigenen Welt, Man mußte den Floyd-Mitgliedern erst sagen, wer da vor ihnen stand, bevor sie wußten, was los ist. Wie hättest du wohl reagiert?

Diese Situation hätte mir wirklich Angst gemacht. Ich weiß nicht, was ich getan hätte. Auf jeden Fall nichts, was dazu hätte führen können, daß er sich unwohl fühlt. Ich hätte wahrscheinlich „Hi!“ gesagt, und wenn ich gemerkt hätte, daß das zu viel für ihn wäre, wäre ich wieder weggegangen. Aber warum ist er im Studio aufgetaucht, wenn nicht deshalb, um Kontakt aufzunehmen? Es macht mich jetzt noch traurig, wenn ich darüber nachdenke.

Am Ende brach Barrett alle Brücken zu seiner Vergangenheit ab, gab das Gitarrespielen auf, malte nur noch und hatte lediglich Kontakt zu seiner Mutter und seiner Schwester. Kannst du diesen Weg nachvollziehen?

Natürlich. Wenn man keine Verpflichtungen mehr hat und ein ziemlich impulsiver und sensibler Mensch ist, ist diese Entscheidung einfach nachzuvollziehen. Syd wollte in Ruhe gelassen werden und, nun, man läßt ihn in Ruhe. Vielleicht ist es das Beste so.