Pink vs. Untergang: Was sich hinter dem Begriff „Dystopia Core“ verbirgt
Wie Krieg und Klimakatastrophe die Mode inspirieren? Nicht immer gut! Die aktuelle Stil-Kolumne von Jan Kedves.
Mode spielt sich ja nicht nur in irgendwelchen ästhetischen Paralleluniversen ab, sondern immer auch vor dem Panorama gesellschaftlicher Realitäten. Den Trend zu ultra-dystopischen Looks, der 2022 die Mode bestimmte, könnte man demnach als textile Ausgestaltung der allgemeinen Stimmung sehen. Die ist ja im Zuge von Corona, der Heißzeit-Versteppung Deutschlands, der Flutkatastrophen in Pakistan und Kentucky und von Putins Überfall auf die Ukraine gerade nicht so dolle.
Wir lassen Revue passieren: Es gab 2022 die hyper-katastrophalen Inszenierungen der Balenciaga-Schauen, wo Demna seine Models wie Geflüchtete mal durch siberische Schneestürme, mal durch schwarze Schlammlawinen schickte. Es gab Luxus-Handtaschen im Müllsack-Look, wieder von Balenciaga, was wohl ironisch gemeint war – aber Menschen, die auf der Flucht ihre Sachen wirklich nur notdürftig in Plastiksäcke stopfen können, finden das vielleicht nicht so lustig.
Es gehe hier um „den Gedanken, dass Optimismus uncool ist und nicht unsere Zeit widerspiegelt“
Der „Guardian“ nennt das Ganze „Dystopia Core“ und lässt eine Trendforscherin Parallelen zu den Fetzenlooks der Punks der 70er-Jahre ziehen: Es gehe hier, so Geraldine Wharry, um „den Gedanken, dass Optimismus uncool ist und nicht unsere Zeit widerspiegelt“. Sprich: Wenn Mode an die Kostüme aus „Dune“, „Matrix Resurrections“ oder „Mad Max“ und auch an die Outfits von Preppern und Survival-Freaks erinnert, dann spiegelt sie unsere Zeit ziemlich genau wider, nämlich den nahenden Weltuntergang? „Avant Apocalypse“ ist tatsächlich ein anderer Begriff für den Trend, geprägt auf Tik-Tok. Die Sachen von Ye gehören auch mit dazu, genauso die Kollektionen von Brands wie A-Cold-Wall*, die inspiriert sind von Tarnhauben, schusssicheren Westen und Fallschirm-Overalls. Kann einen das nicht sehr runterziehen?
Auffällig ist jedenfalls, dass jetzt ausgerechnet Rick Owens einen bunten Haken schlägt. Der Obergoth der Mode hatte mit seinen düsteren Alien- und Zombie-Silhouetten lange das Hausrecht auf Laufsteg-Dystopien, nun zeigt er in seiner Frühjahr-Kollektion für 2023 eine knallig pinkfarbene Tüll-Explosion: ein Ballkleid. Nanu! Die Fashion-Welt reibt sich die Augen, in der „New York Times“ erklärt Owens: „Ein Teil von mir denkt, dass wir dem Untergang geweiht sind, aber solange wir noch da sind, sollten wir uns von der besten Seite zeigen.“ Pink, so Owens, sei eine jubilierende Farbe. Die 200 Meter Tüll für das Kleid bestehen aus Econyl, einem Recycling-Stoff aus Meeresplastik. Sprich, dieser neue modische Optimismus ist sogar ökoverträglich. Lässt das die Zukunft nicht gleich viel rosiger aussehen?
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 12/2022.