PJ Harvey


Katharsis und Selbstentblößung adé: Die Engländerin zeigt sich diszipliniert und zurückgenommen bei ihrem einzigen deutschen Tourstopp im Berliner Admiralspalast.

Das Gros der Konzertgänger am ersten von zwei ausverkauften Abenden im Berliner Admiralspalast hat PJ Harvey für sich gewonnen, noch bevor sie sich überhaupt blicken lässt. Wenn man mittlerweile fast zwei Jahrzehnte als Projektionsfläche für alle möglichen Seelenbelange hergehalten hat, kann man sich auf die treue Hingabe seiner Fans offensichtlich verlassen. Allein schon die Stöpseleien der Stagehands lösen beim erwartungsvollen Publikum leichte Hysterie aus.

Das Auditorium ist sogar schon im Detail vertraut mit dem neuen, wirklich großartigen Album der Harvey, Let England Shake, obwohl es erst seit wenigen Tagen im Handel ist. Als die 41-Jährige mit leichter Verspätung und Autoharp, einem zitherähnlichen Instrument, im Arm auf die Bühne kommt, das Konzert mit drei Stücken vom neuen Album beginnt und damit den Schwerpunkt der nächsten anderthalb Stunden setzt, fremdelt das Publikum jedenfalls nicht, manch einer rezitiert gar textsicher mit. Auf dem Kopf trägt Harvey einen ausladenden Federschmuck. Die flügelhafte Form suggeriert, dass sie sich gleich gen Himmel aufschwingt, lediglich das korsagen-, fast harnischhafte schwarze Kleid hält sie am Boden.

Emotionale Entblößung und Katharsis waren gestern, heute stellt sich eine erstaunlich zufrieden wirkende Harvey ganz in den Dienst des Themas ihres neuen Albums: Es geht um Krieg, Tod und ihr ambivalentes Verhältnis zur Heimat England. Musikalisch kommt das eher folkig daher, stimmlich zart, aber kraftvoll und ausmoduliert. Die minimalistisch gestaltete Bühne wird karg ausgeleuchtet, auch sonst ist die Show aufs Nötigste reduziert. Ansagen gibt es nicht, nur gegen Ende bedankt sich Harvey und stellt die Band vor. Die agiert ähnlich zurückgenommen. Die alten Wegbegleiter John Parish, Mick Harvey und Jean-Marc Butty wechseln sich virtuos an den Instrumenten ab und halten sich sonst gentlemanlike im Hintergrund. Die Musiker erlauben sich keine Ausschweifungen, kein Stück hängt länger im Raum, als man es hören möchte. Die Reaktionen auf die kammermusikalisch umarrangierten Songs aus dem Backkatalog der Künstlerin machen aber deutlich, dass zumindest Teilen der Zuhörerschaft bei diesen Versionen von Harveys Psychobluesrock doch etwas fehlt: Bei den treibenden Stücken „C’mon Billy“ und „Big Exit“ freut sich das Publikum, dass Harvey ihre Distanz ein bisschen aufgibt, obwohl letzterer Song in der Interpretation mit ihrer Autoharp doch etwas gewöhnungsbedürftig klingt. Und auch „Meet Ze Monsta“ und „Down By The Water“ von To Bring You My Love, dem Album, das ihr einst den Erfolg brachte, zaubert ein dankbares Lächeln in die Gesichter ihrer Fans.

Die beiden Mittdreißiger, die das Konzert später im Innenhof des Admiralspalastes Revue passieren lassen, sind sich nicht ganz einig. Für die Kritik der Frau, dass Harveys „wildes Rock ’n’Roll-Herz“ diesmal doch zu kurz kam, hat ihr Begleiter nur ein Schulterzucken übrig: „Wir werden doch alle älter.“ Zumindest an diesem Abend scheint es, als würden die meisten ihrer Fans gern mit Harvey altern.