Placebo, Berlin, Columbiahalle
This gig is going pretty well: Beim "geheimen" Vorab- Konzert wird schon mal vorab kräftig ausgeflippt.
Die Nachricht, daß Placebo exklusiv in Berlin umsonst und drinnen ihr neues Album MEDS vorstellen würden, mußte sich, obgleich erst kurz vor dem Konzert gestreut, unter den Fans verbreitet haben wie das sprichwörtliche Lauffeuer. Ein echtes Feuerchen wäre auch ganz nett gewesen, vielleichtin Form einer brennende Mülltonne, an der sich die im dichten Schneetreiben vor der Columbiahalle Ausharrenden hätten wärmen können, 3.000 Menschen passen in die gut beheizte Halle, wenn alle den Bauch einziehen und sich gern haben. Mehr als 4.000 Menschen aber wollten hinein, und als drinnen schon die Vorgruppe Slut aufspielte, warteten draußen immernoch 1.000 Fans darauf, daß es ein paar Meter weiterging während die Polizei wegen des ungeheuren Andrangs sogar die sechsspurige Straße absperrte und die Wartenden um 19.50 Uhr mit der Lüge vertröstete, es kämen schon noch alle rein ins Konzert, keine Sorge. Anderthalb Stunden später aber hatte sich die Lage noch immer nicht gebessert, dafür waren die Schotten nun endgültig dicht. Statt eines Umsonst-Konzerts, bezahlt von einem Berliner Mobilfunkanbieter, gab es also für viele Fans gar keine Musik. „Einfach bezahlen undgut is'“, zwischen Veronika Ferres fröhlich im Werbespot der Firma. Schön wär’s.
Wer aber Einlaß gefunden hatte und dem geschenkten Gaul ins Maul schauen durfte, der wird diesen Abend wohl kaum vergessen -wozu schon die Vorgruppe Slut nicht unwesentlich beitrug, zumal die notorisch unterschätzten Poprocker, unterstützt von einem Saxophonisten, leckere Kostproben ihrer eigenwilligen Interpretationen von Brechts „Dreigroschenoper“ auf die Bühne wuchteten. Das taten die Ingolstädterso präzise, konzentriert und eingängig, bis die schwitzenden Massen nach 45 Minuten in drangvoller Enge endlich reif waren für: die Helden des Abends. Und eine Reihe lang ersehnter Songs vom neuen Album, das just an diesem Tag veröffentlicht worden war. Und so trieb die Band-links außen der schmächtige, schwarz gekleidete Brian Molko, dahinter Tour-Gitarrist Alex Lee, immer auf Tuchfühlungmit Schlagzeuger John Hewitt, rechts außen am Baß der schlaksige Stefan Olsdal im ärmellosen T-Shirt – erstmals und erst einmal fast ihr komplettes frisches Material über die Bühne, angefangen mit einem lässigen „Meds“überdasdruckvolle“Infra-Red“ bis zur Single „A SongToSay Good-Bye“. Und „Post Blue“ empfahl sich mit seiner bei Johann Sebastian Bach geborgten Leitmelodie als Single Nummer Zwo, der eingeschränkten Akustik zum Trotz. Zwar stapelt die Band gerne tief und nuschelt in Interviews von „beschränkten musikalischen Fähigkeiten“ – auf der Bühne ist Placebo aber einfach immer ein Erlebnis, zumal soausgeruht, motiviert und hungrig wie hierund heute.
Noch bevor Molko ein paar begrüßende Worte an sein Publikum richten konnte, dezimierte dieses sich vor lauter Begeisterung in einer Pogo-Kesselschlacht schon selbst: Über den Köpfen herrschte reger Flugbetrieb aus arm rudern den Crowdsurfern und Dehydrationsopfern, die sachte nach vorne gereicht wurden. So apokalyptisch die Szenen waren, die sich dabei abspieken, sie schienen ganz nach dem Geschmack von Brian Molko, der das Tohuwabohu zufrieden kommentierte: „Thisgieisgoinqprettii well!“ Eine schamlose Untertreibung, stellt man in Rechnung, daß das Publikum zu Songs ausflippte, die es noch gar nichi kennen konnte.
Entsprechend enthusiastisch wurden denn auch die Klassiker gefeiert, mit denen Molko & Co. die zweite Hälfte des Konzertes bestritten. Mag schon sein, daß Placebo (wie Motörhead) seit Jahren eigentlich ein und denselben Song spielen. Solange diese Variationen allerdings klingen wie „Bitter End“, „Special K“ oder „20 Years“ soll’s uns recht sein.
Der schmerzhafte Verzicht auf die Überhalladi; “ Without You l’m Nothing“ übrigens wurde mit einer musikalischen Verbeugung vor Kate Bush in Form eines furiosen „RunningUpThat Hill“ mehr als wettgemacht. Und wer nach gut anderthalb Stunden benommen nach draußen taumelte, in das andauernde Schneematsch treiben vor der Halle, dem wurden auch noch Äpfel und Bananen für den Heimweg in die Hand gedrückt. Keine Medizin. Sondern Vitamine, damit man sich nicht erkältet.www.placeboworld.co.uk