Platte des Monats
David Lynch
Crazy Clown Time
Sunday Best/PIAS/Rough Trade
****
Horror-Blues: Das späte Solo-Debütalbum des großen Filmregisseurs
Der berühmte Filmkritiker Roger Ebert hat einmal versucht zu erklären, warum die Filme des ebenfalls nicht ganz unbekannten Filmregisseurs David Lynch funktionieren, wie sie funktionieren: „Lynch weiß genau, dass alle Geschichten schon in unseren Köpfen existieren. Wir denken sie uns aus und dann sind wir in ihnen zu Hause.“ Mit diesen Geschichten treibt Lynch dann sein Unwesen: „Wir erkennen einzelne Begriffe und Inhalte wieder, aber Grammatik und Syntax sind verändert.“
Die Folge ist, dass den Filmen von Lynch vor allem eins gelingt: sie irritieren. Oberflächlich erinnern sie an andere Filme, an bekannte Erzählungen, an Narrationsmuster, die wir verinnerlicht haben. Aber die Strukturen sind stets leicht verschoben, die Bedeutungen verschwimmen, bis schließlich der Sinn ganz verloren gegangen ist und der Zuseher desorientiert und verunsichert zurückbleibt. Auch wenn dieser Gedanke, weder von Lynch noch vom Rezensenten, allzu einfallsreich ist: Immer dann, wenn Lynch Musik macht, verfährt er ganz ähnlich wie beim Filmemachen.
Schon in den Texten, die Lynch auf Crazy Clown Time nicht singt, weil er nicht singen kann, sondern emotionslos spricht, geht es ziemlich genau um das, worum es auch in seinen Filmen geht: um Abgründe und Abhängigkeitsverhältnisse, um seelische Nöte und sinnlose Gewalt, um Grausamkeit und die Nacht, die zwar immer dunkel ist, aber doch beschienen wird von einem hellen Mond. Frauen gehen nicht ans Telefon, die Männer sind einsam, auf der Straße starren sie den jungen Mädchen lüstern hinterher. Und in „Good Day Today“ fallen schließlich sogar Schüsse. Doch wie vor der Leinwand oft erst im Kopf des Kinogängers das wirkliche Grauen entsteht, bedient sich Lynch auch in seiner Musik geschickt der Fantasie seines Hörers. In „I Know“ klingt seine Stimme herausgepresst, scheinbar geplagt von einem Sprachfehler, wie verhindert von bösen Mächten. Sind es fehlende Zähne, ein eingeschlagenes Gebiss? Quält sich die Stimme durch eine Maske, vielleicht eine S/M-Kappe aus schwarzem Leder mit geschlossenem Reißverschluss? Was ist da passiert? Und vor allem: warum? Was ist die Geschichte hinter dieser Stimme, und bevor man sich versieht, hört man nicht mehr die Musik, sondern durchforscht sein Gedächtnis nach Erklärungen, die aber doch nichts erklären, und nach Geschichten, die aber nie ganz genau so verlaufen, wie man es erwartet, und erfährt schließlich mehr über die eigenen Abgründe, als man wissen wollte.
Ähnlicher Irritationsstrategien bedient sich auch die Musik. Die Band produziert einen nahezu klassischen Rocksound, aber dann schleppt sich das Schlagzeug so monoton dahin wie ein Metronom. Die rhythmischen Muster stammen aus der elektronischen Musik, zum Tanzen sind sie aber garantiert nicht geeignet. Die Stimmung ist existenziell und verzweifelt, aber das Blues-Schema weit weg. Die Gitarre klingt einerseits altbacken, übernimmt aber konsequent den Part von Dennis Hopper in „Blue Velvet“: Sie bricht ein in eine oberflächlich heile Welt, keift, droht, atmet schwer, verstört. Yeah-Yeah-Yeahs-Sängerin Karen O schlüpft in „Pinky’s Dream“ in die Rolle des verführerischen Vamps, der nur im ersten Song auftaucht, aber den Protagonisten dieses Film Noir in Bewegung setzt, damit ihn sein tragisch-hoffnungsloses Ende ereilen kann. Wie in einem billigen Horrorstreifen scheint alles bekannt, aber das Unerwartete lauert im Halbschatten unter der Treppe. Monotonie regiert, aber doch weiß man nie, was im nächsten Takt passiert. Immer wieder verfremdet Lynch seine Stimme, suggeriert aber flüsternd eine vorgebliche Authentizität, Märchenonkel und Kindermörder werden eins.
So eine fiese, irritierende Platte wie Crazy Clown Time wird man so schnell nicht mehr hören. Allerdings wird dieses Album mit großer Wahrscheinlichkeit wohl auch nur jenen Menschen gefallen, die die Filme von David Lynch zu schätzen wissen. Roger Ebert gehört nicht zu diesen Menschen. Der einzige Lynch-Film, den er mag, ist „Mulholland Drive“. Über den schrieb er: „Je weniger Sinn dieser Film ergibt, desto weniger kann man aufhören zuzuschauen.“ Ungefähr so funktioniert Crazy Clown Time.
Key Tracks: „Speed Roadster“ „The Night Bell With Lightning“