Poesiefähig bleiben
Vielerorts und auch in meiner Bude rieben sich die, die wohl nicht richtig aufgepaßt hatten, verwundert die Augen, als in diversen Jahrespolls zu 2004 ein Künstler sich aufs Podium schob, den nur wenige auf dem Zettel hatten. Jens wer? Was hatte ich da verpaßt? Schnell die Platte besorgt, vorher nachher bilder, von deren Ravensburger-Spiele-Cover einen der eindeutig besser aussehende Dieter Thomas Kuhn anblickt, umschwärmt von Schmetterlingen. Doch es kommt ganz anders. Mit den ersten Takten des ersten Stücks „Gespenster“ setzte es Verwirrung: Da lief ganz offensichtlich eine frühe Depeche-Mode-Platte. Und als Friebes Stimme erklang, war die Illusion perfekt: Wie bei Dave Gahan bewirkt sein mitteldunkles Timbre, daß man ihm einfach lauschen muß. Mit viel Empathie besingt er da die Irrungen der virtuellen Liebe – ein Ohrwurm.
Es gab in den letzten Jahren ja viel und ausgiebig Gelegenheit, Pop aus Deutschland zu hören und zu bewerten. Doch nur wenige Musiker konnten solche nachhaltigen Spitzen setzen wie Friebe. Auf vorher nachher bilder gibt es mindestens drei, vier Songs, die nahezu perfekt funktionieren in ihrer Mischung aus poetischer Wahrhaftigkeit, herzanrührenden Gesangsharmonien und einem feinen Bandarrangement. Stilistisch läßt sich Jens Friebe nicht festmachen. Mal gibt er 8oer-Discosound, mal schrammein die Gitarren. Er sagt: „Es war eigentlich sehr offen, wie das alles klingen wird. Es hätte auch alles ganz anders kommen können. Ich habe dann Armin von Milch (u. a. Mitglied der Gruppe Milch- Anm. d. Red.) gefragt, weil ich ein großer Fan von ihm bin, und die Vorstellung interessant fand, meine Lieder auf seine Produktion clashen zu lassen. Nachdem ich ein Lied geschrieben habe, bin ich immer sehr gespannt, wie es sich wohl mal anhören wird.“
Jens Friebe Sitzt auf der Terrasse des Cafe Schönbrunn im Berliner Friedrichshain, und er ist etwas nervös – schließlich ist das der erste Medien-Marathontag, den er zu absolvieren hat. Da hilft auch seine Vergangenheit als Musikjournalist nicht viel. Eine Woche zuvor durfte er Wir sind Helden auf drei Open-Airs im Westen Supporten – die Zahl der Beiträge im Forum seiner Homepage ist seitdem merklich gestiegen. Aber auch die Helden-Fans scheint er zu polarisieren:
„Es war ein Publikum, wie man es so eigentlich nie vor die Flinte kriegt, also weder in dieser Anzahl noch in der Art der Leute. Wahnsinnig junge, reine Gesichter, in die man schaute. Kam aber ganz gut an. Ein Problem waren die Ansagen. Was man aus dem Clubkontext über Ansagen zu wissen glaubt, dasfunktioniert da gar nicht. Man muß die Ansagen vor so vielen Leuten viel einfacher und positiver halten.“ Bei den Helden konnte er gleich mal schnuppern, wie das so ist als Superstar. Doch wieviel Mainstream verträgt Jens Friebe? „Das ist doch eigentlich gar nicht die Frage, nur hier in Deutschland leider schon. Ich mag sowohl die Strokes als auch dieNeptunes-und die verkaufen beide mehr als hier alle zusammen. Aber hier ist das Dumme leider noch eng verschwistert mit dem Stromlinienförmigen und Kommerziellen „, meint Jens und schränkt gleich ein: „Die Helden finde ich schon bemerkenswert und talentreich, sonst hätte ich da nicht mitgemacht. „
Friebe macht seit 18 Jahren Musik und wollte schon immer davon leben. Doch dummerweise spielte er die ersten 17 Jahre mehr oder weniger unter Ausschluß der Öffentlichkeit – in No-Wave-Bands namens Bum Khun Cha Youth und Parka und dann solo. Seit seinem 16. Lebensjahr textet er auf deutsch. „Wen« ich zurückblicke, waren die ersten Texte aus einer gewissen Scheu heraus schon sehr kompliziert und verschwurbelt. Ich habe das im Laufderjahre reduziert auf eine plakative und einfachere Schreibe-zu der man sich aber erst mal trauen mußte. Es gab damals außerim Funpunk niemanden, der deutsch gesungen hätte. Man mußtesich seinen Weg suchen, ohne daß das peinlich wirkte, auch von der Intonation her. „Bei manchen steht er bestimmt unter Schlagerverdacht. Darauf hat er einmal an anderer Stelle entgegnet, daß ja durchaus ein schöner Popsong entstehen kann, wenn man den Schlager von all den Sachen befreit, die man an ihm haßt; sprich von dem mindestens 50 Jahre alten Moralkodex, der Sinnfreiheit, den Melodien für Millionen. Und wie im schönsten Schlager kam 2003 die schöne Fee in Form von Alfred Hilsberg aufsein Hamburger Solokonzert und signte ihn ruck, zuck für sein mindestens legendäres ZickZack-Label. Es folgte der schon erwähnte Medienhype, demzufolge der frühe Umzug zur größeren Firma Labels und jetzt das Nachfolgewerk in Hypnose.
Es gibt da eine gewisse Versuchung, seinen sal als typisch berlinerisch zu kategorisieren. Doch wieso eigentlich? Es werden ja wohl nicht alle jungen Menschen in Berlin wohnen, die Turnschuhe tragen und ambivalent-lyrische Texte über Themen von den Uferrändern des Bewußtseinsstroms machen. Vielleicht ist es dieser Anflug von Verletztheit in der Stimme, die vernünftig verpackten Emotionen, diese slackerige Nonchalance bei getriebener Ernsthaftigkeit. Das macht ihn noch nicht zum Berliner, aber die Berliner Berufsjugendlichen sehen sich gerne in Jens Friebe. Dabei ist viel Songmaterial auch von der neuen Platte noch in Köln entstanden, wo der geborene Lüdenscheider lange gewohnt hat – und getanzt: „Ich war nicht der akribische Raver, aber auf jeden Fall öfter in Clubs als hier. Wir sind auch gerne schwul ausgegangen dank der vermischten und offenen Szene. Das waren sehr inspirierende und herzliche Abende, die auf der Platte noch wiederhallen.“
Es sind gerade diese Stücke, die in ihrer Schunkelseligkeit etwas irritieren, gerade wenn sie ein Stück wie „Theke mit den Toten“ einrahmen, ein wirklich nahegehendes Plädoyer für vegetarische Lebensweise. Manchmal schießt er vielleicht auch über das literarische Ziel hinaus, dann wird Ambi- zu Polyvalenz. Wenn es zu kryptisch wird, fällt das Mitsingen schwer (wenn es denn gewünscht wird). Doch ist das ein Luxusproblem und einem, der Westernhagen endlich mal gesagt hat, warum er so unerträglich ist („Lied ohne Botschaft“), sei das verziehen: „Nichts sagen, aber dafür auf eine gemeinverständliche Art sinnschwangeres Zeug von sich geben. So ein Lied wie .Freiheit‘ ist für mich die Pest. Dann gröhlen und fordern alle ,Freiheit‘ und spielen komplizenhaft mit. Dabei ist das so eine Nullforderung, aber mitdiesem Gestus von großem politischen Inhalt.“
Fast jedes Liebeslied von ihm läßt sich auch politisch deuten, wie zum Beispiel der Song „Rauch ohne Feuer“. „Da geht es um die Angst, daß die eigene Beziehung zusammenbrechen könnte, aber vielleicht auch mehr: der Status quo, die zivilisatorischen Standards. In einem grundhysterischen Land spüre ich da schon Paranoia. Aber es ist wahnsinnig schwierig, solche großen, abstraktenunddifferenzierten Überlegungen wie Anti-Globalisierung oder Kapitalismuskritik kunstfähig zu machen. Damit dasfunktioniert, braucht man dazu schon irgendwelche sinnfälligen Ereignisse, wie es damals die brennenden Ausländerheime und die bürgerlichen zwiespältigen Proteste dagegen für die Goldenen Zitronen waren. Da gab es Bilder auf der Straße, über deren Beschreibung man eine politische Haltung einnehmen konnte. Denn sonst müßte man eine theoretische Überlegung vertonen -und das ist nicht wirklich poesiefähig.“ www.jens-friebe.de