Pop Art


Das Wort der Saison: Kirmestechno

iTunes-Singlecharts, 16. Juni 2011, Platz 6: Lady Gaga, „The Edge Of Glory“

Kirmestechno also. Ist ja das Wort der Saison. Fürs Album der Saison, ob man will oder nicht. Dafür allein schon müssten alle Leute, die mit und durch Popmusik ihr Geld verdienen, und sei es, indem sie darüber schlecht schreiben, Lady Gaga dankbar sein: dass da entgegen allen Vorhersagen noch mal eine Platte so unendlich viel Aufmerksamkeit und kommerziellen Erfolg bündelt, dass ihr nur Taube entgehen können. Wo jeder, wirklich jeder, egal wie dahergelaufen, noch mal drüber kotzen oder jubeln kann, muss, glaubt zu müssen. So unendlich ist das Feiern und Reihern, dass man unters Internet einen Eimer groß wie die Welt stellen müsste, weil’s schier überläuft, dieses Internet. Und die Zeitungen und Zeitschriften und so.

Es geht dann meistens nicht um die Musik. Sondern ums große Ganze. Oder wenigstens Gagas Klamotten. Weil: Popmusik ist ganz viel Pop mit ganz wenig Musik hintendran. Oder so ähnlich geht die Argumentation. Die unbedingt was für sich hat. Besonders aber dann, wenn man Musik die ganze Zeit ohne Ton hört.

Also: Kirmestechno. Stimmt bei „The Edge Of Glory“ schon mal nicht, wenn man darunter versteht, dass die denkbar stumpfesten Sounds und Rhythmen des sogenannten Techno auf so bauernschlaue Weise zusammengeschraubt werden, dass noch der allerletzte Abschaum sich damit auf dem Autoscooter schleudertraumatisieren kann.

Erstens: Es gibt vermutlich nur wenig, was romantischer ist als eine Dorfkirmes, dafür muss man aber spätestens mit 13 mal auf einer gewesen sein (und nach 18 besser nicht mehr). Zweitens: Techno kann gar nicht stumpf genug sein. Drittens: „The Edge Of Glory“ ist der Form nach eindeutig eine Mittachtziger-Rockröhrennummer nach dem Muster von Bonnie Tyler etwa, der bloß ein paar Signal-Sounds des Mittneunziger-Rave hinzugefügt wurden; und hintendrauf gibt’s noch ein Saxofonsolo, das letzte, das der große Clarence Clemons aufgenommen hat, und das so muskelprotzig klingt wie jene, die Gary Barnacle für Tina Turner gespielt hat, also als gedachte zweite (instrumentale, männliche) Stimme, die auf die anfängliche Verführungsbotschaft von Gaga („There ain’t no reason you and me should be alone tonight“) antwortet. Gebalze, simulierter Liebesakt, Ende: eine fünfminütige Musikgeschichtsstunde in Popsongschreibe. Nicht kompliziert, aber wirkungsvoll. Mit einem Wort: geil.

So. Jetzt bitte weiterfeiern und weiterkotzen.