Pop Art: Liebe auf den ersten Blick
iTunes-Single-Charts, 16. Januar 2012, (noch) keine Platzierung: Wrongkong, "My Dearest Enemy"
Wenn es irgendwo um Liebe auf den ersten Blick geht, dann doch wohl bei Popsongs. Verknallt man sich nicht auf Anhieb in ein Lied, wenn man es zum ersten Mal hört, kann unmöglich später noch große Liebe draus werden. Denn dann hört man es sich ja eher nicht mehr an, das Lied. Die Liebe auf den zweiten Blick gibt es natürlich schon auch bei Popsongs, aufs zweite Hören also, aber da fehlt immer ein bisschen was. Der Zauber des ersten Augenblicks blieb ungenutzt.
Verknallen bedeutet ja aber nicht, dass man nicht auch Zweifel hegte. Die gehen bei einem Popsong gleich vorne los: Klingen Bass und Gitarre bei „My Dearest Enemy“ von Wrongkong nicht so ähnlich wie bei „Heavy Cross“ von Gossip am Anfang? Schon, aber dass das einem das Herz hüpfen lässt: Bedeutet das nicht einfach, dass Wrongkong wie Gossip etwas Grundsätzliches über die Wirkung von Musik verstanden haben? Denn auch Gossip haben ja das Zusammenspiel von Bass und Gitarre nicht erfunden.
Aber was ist mit dem Keyboardsolo bei „My Dearest Enemy“ im Mittelteil? Musste das sein? Vielleicht nicht. Aber als Verliebter schaut man erst mal darüber hinweg. So wie man erst mal über unreine Haut oder eine komische Nase hinwegschaut bei einem Menschen, in den man sich gerade verknallt hat. Und später, wenn daraus womöglich Liebe geworden ist, gehören die unreine Haut und die komische Nase einfach zu dem Menschen, den man liebt. Man sieht so Sachen dann nicht mehr. Oder hält sie für die Art von Fehler, die einen erst interessant machen.
Entscheidend ist eh etwas anderes, beim Menschen und beim Popsong. Nämlich wie die vielen kleinen Dinge zusammengehen, aus denen Menschen wie Popsongs gemacht sind. Das Tolle bei einem Popsong ist dann außerdem, dass den ja ein Mensch singt, in den man sich noch zusätzlich verknallen kann. Obwohl man ihn gar nicht kennt. Und nicht kennenlernen sollte.
Cyrena Dunbar, die Sängerin von Wrongkong, kommt aus Kanada und sieht so ähnlich aus wie Leslie Feist. Nur weniger süß. Aber viel interessanter. Ich hab Leslie Feist mal kennengelernt. War eine blöde Idee. Denn Popsongs sind am Ende eben doch keine Menschen. Lieder sind leider meistens: besser. Cyrena Dunbar will ich nie kennenlernen.
Glaub ich.