Konzertbericht

Porridge Radio live in Berlin: Eine betont lässige Anti-Show


Die britische Folk-Rock-Band ist mit ihrem neuen Album auf Tour. So war’s in Berlin.

Im Saal des Berliner Columbia-Theaters ist Ruhe eingekehrt, die Musik vom Band ist aus, die letzten Gespräche verebbt. Kurz zuckt die Menge zusammen: Ein gestrichener Violinen-Akkord und die Blechbläser pusten los. „Non, je ne regrette rien“ dröhnt Édith Piaf durch die Speaker, als die vierköpfige Band Porridge Radio die Bühne betritt – das einzige wirkliche Show-Element, das sich die Gruppe an diesem Abend gönnt. Sogar den Soundcheck hatten sie kurz zuvor selbst vollführt. Hier ist noch alles echt und ganz nah dran, zum Greifen nah, macht es den Eindruck.

Kein Schnick-Schnack

Dana Margolin sippt noch einmal an ihrem Getränk, das so aussieht wie Whiskey-Cola (und wahrscheinlich auch Whiskey-Cola ist) und die Formation aus Brighton steht überpünktlich spielbereit an diesem kalten Dezemberabend in Berlin. „I’m sick of the Blues“, haucht die Frontfrau ins Mikrofon, der letzte Song des neuen Albums CLOUDS IN THE SKY, THEY WILL ALLWAYS BE THERE FOR ME. Und obwohl es sowieso schon still im Publikum war – jetzt befinden wir uns im schalltoten Raum, im Vakuum, und alle Augen richten sich auf die Sängerin im blau-rot-grünen Lichtschein.

Margolin – hochgekrempeltes Sweatshirt, Mom-Jeans, Doc Martens – könnte dabei kaum lässiger wirken. Nach dem ersten Song löst sie sich die große Spange aus dem Haar, schüttelt ihre Mähne und clippt die Klammer an ihren Mikroständer. Dort soll sie sich fortan wie eine fleischfressende Pflanze das restliche Konzert über festbeißen.

Die Frontfrau Dana Margolin beim Konzert in Berlin
Die Frontfrau Dana Margolin beim Konzert in Berlin

Emotionaler Urschrei gegen den Stress

Mit weiteren Stücken der neuen Platte wärmen Porridge Radio ihr Zuschauer:innen für die kommenden anderthalb Stunden auf. „A Hole In The Ground“ fängt mit seinem nervösen Drum-Pattern erst bei den kalten Füßen an, die bei den Gäst:innen so langsam auftauen. Die Ballade „I Got Lost“ kümmert sich hingegen im 3/4-Takt eher um das seelische Setting für den Abend. „I dreamed all night that I lost my voice in the ocean floor“, singt die Bandleaderin. Zum Glück nur ein Traum, denn heute ist sie bei voller Stimme.

In „Lavender, Raspberry“ stellt sie das gleich unter Beweis: Sie hat einen ganz eigenen Ton, ein akustischer Schlafzimmerblick, der vor Zartheit manchmal in sich zerfällt – und dennoch zum Ende des Songs in einen unkontrollierten, emotionalen Urschrei ausbricht. Tatsächlich waren die vorherigen Monate für die Sängerin kein Zuckerschlecken, nach einer erschöpfenden Tour zur Vorgängerplatte WATERSLIDE, DIVING BOARD, LADDER TO THE SKY fühlte sie sich ausgebrannt und kreativ überfordert. „Then I have the urge to jump off the balcony“ tönt es durch den Raum. Doch entgegen der bleischweren Lyrics ist das Stück kein Downer: Es stachelt die Fans das erste Mal richtig an. Margolin reißt demonstrativ die Gitarre hoch. Greift in die Saiten, bis es quietscht. Und etwa 600 Handpaare danken es ihr mit Beifall.

Back to the roots

Spätestens jetzt wird deutlich: Dana Margolin ist die Figur, um die es sich dreht. Dabei steht sie nicht einmal in der Mitte der Bühne, die mit ihrem abgerundeten Rahmen wie ein Retro-Fernseher aussieht. „It’s been a crazy week up to now“, beginnt die sonst wortkarge Singer-Songwriterin nach eingekehrter Stille zwischen zwei Stücken. Fans, die Porridge Radios Social-Media-Accounts folgen, ahnen, was jetzt kommt: Margolin erzählt, dass Keyboarderin Georgie Stott heute sowie den Rest der Tour nicht dabei sein kann. Ihr Partner hatte einen Unfall, sie ist bei ihm im Krankenhaus.

Porrdige Radio im Columbia-Theater
Porrdige Radio im Columbia-Theater

Zwei Shows in Amsterdam und Brüssel hatte die Sängerin alleine gespielt, so wie sie es vor der Bandgründung 2015 auf Open-Mic-Sessions bereits tat. Für die restlichen zehn Termine fand die Gruppe sympathischen Ersatz an den Tasten, den die Berliner:innen für den spontanen Einsatz mit Jubelrufen überschütten.

Dehnübungen auf der Bühne

Bei „Anybody“, dem kanon-artigen Opener der aktuellen Platte, hat die Band ihr Gefolgschaft dann fest im Griff. Zugegeben: Es gibt keine Mosh-Pits und keine Wall of Death. Das passt aber auch sowieso nicht zum verschrobenen Indie-Folk der Gruppe aus Brighton. Es ist mehr ein federndes Wippen, die meisten schließen dabei beseelt ihre Augen. Auch die Künstler:innen lassen ihrem ungestümen Bewegungsdrang nur selten freien Lauf. Man bekommt wenig Tanz, dafür viel laszives Recken und Strecken der Frontfrau, das manchmal in seiner (wohl eher ungewollten) Sinnlichkeit etwas too much ist. Aber hey – hier fühlt’s halt jemand richtig.

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One-Woman-Show

Die Klassiker der älteren Alben spart sich die Kombo größtenteils dann bis ganz zum Schluss auf. Als letztes Highlight des offiziellen Teils bringen sie das sich langsam aufbauende „Back to the Radio“, das in beeindruckend kehligen Growls von Dana Margolin endet. Ein knappes „good night“, dann ist Schluss – zumindest formell. Natürlich kommt die Formation nach langem Applaus noch einmal zurück. „Thank you“, sagt die 31-Jährige, „I really love Berlin“ und beginnt „Waterslide, Dving Board, Ladder To The Sky“ – unprätentiös, lässig, cool. Das einzige Stück solo, gänzlich ohne ihre Kolleg:innen. Und das fällt gar nicht weiter auf, denn man hat ohnehin das Gefühl: Das ist allein ihre Show.

In der zweiten Zugabe „Sweet“ schenkt sie ihren Zuhörer:innen dann gefühlt das erste Mal ein richtig befreites Lachen. So, als habe sie erst den Pflichtteil hinter sich bringen müssen, bevor das Vergnügen ihre (durchaus authentische) Coolness aufbrechen kann. „I am charming, I am sweet“ stimmt das Publikum in vielen Wiederholungen mit ihr ein – so als würde es ihr genau das bestätigen wollen.

Lukas Harth
Lukas Harth