Power Bauern
Country? Seit Garth Brooks und Billy Ray Cyrus die Popcharts stürmten, werden in Nashville selbst heilige Kühe geschlachtet
Jeuer Krieg hat seinen Song. Im Zweiten Weltkrieg war es „Uli Marleen“, im Vietnamkrieg war es Louis Armstrongs „Wonderful World“. Beim Golfkrieg hieß das Stück „Friends In Low Places“ und kam von Garth Brooks. Während also die Panzer rollten und die Raketen metzelten, dröhnte aus den Blastern der GI’s die Geschichte des Underdog vom anderen Ende der Stadt — der passende Soundtrack zum absurden Einsatz in Kuwait.“.Friends In Low Places“ wurde die Hymne des Krieges und zugleich das amerikanische Trostpflaster im Wüstensand — ein Millionenhit.
Wieder mal hatte es Garth Brooks geschafft, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Eine Kunst, die der 30jährige Amerikaner virtuos beherrscht. Eine Kunst, ohne die im Geschäft mit dem alten schmutzigen „Amencan Dream“ nichts läuft. Eine Kunst, die den Jungen aus Oklahoma in knapp drei Jahren nach ganz oben katapultiert hat: Denn Garth Brooks ist der erfolgreichste Country-Sänger aller Zeiten und ein Superstar in den USA. Dort verkauft er locker mehr Platten als Springsteen, Madonna oder Prince — genau genommen knapp 20 Millionen in den letzten zweieinhalb Jahren. Dort blockiert er wochenlang die Nummer Eins in den Billboard-Charts und bringt selbst einen Michael Jackson um die Gunst auf den Sonnenplatz.
Die Kunst zur richrigen Zeit am richtigen Ort zu sein, beherrschte Brooks schon zu Beginn seiner Karriere. Vor fünf Jahren kam der diplomierte Marketingspezialist nach Nashville, dem Mekka der Country-Anhänger. Country siechte damals traurig vor sich hin. Die Verkäufe stagnierten, die Shows und Tourneen pluckerten freundlich und mithin sterbenslangweilig durch die Hallen, die Medien gähnten sich durch absolut skandallose Biografien grinsender Nobodies.
In dieses öde Vakuum der Nettigkeiten platzte Garth Brooks. Er röhrte, jaulte, wackelte mit dem Hintern und zertrümmerte auch schon mal eine Gitarre. Und mit dem unaufhaltsamen Aufstieg des Garth Brooks begann auch das gesamte Genre zu boomen: Inzwischen senden in den USA 2500 Country-Radiostationen rund um die Uhr nichts anderes als die frohe Botschaft aus dem mittleren Westen – und TNN. Nashvilles Country-Kabel-TV, wuchs von sieben auf 53 Millionen Abonnenten.
Die Brooks-Epigonen ließen nicht lange auf sich warten. Allen voran Bodybuilder Billy Ray Cyrus, der mit seinem „Achy Breaky Heart“ nicht nur amerikanische Frauenherzen zum Schmelzen bringt, sondern auch als erster der neuen Nashville-Cats den Sprung in die europäischen Charts schaffte. Anders als seine New Country-Kollegen Clint Black oder Travis Tritt hat Cyrus mit der Tradition wenig am Hut. Er flirtet hemmungslos mit den Pop-Charts — und zieht sich prompt den Zom der Altvorderen zu.
„Singen kann er nicht“, grummelte Country-Legende Waylon Jennings, „aber das braucht man wohl auch nicht, wenn man so gut aussieht. Ich hab neulich noch zu Willie Nelson gesagt: ,Du und ich hätten nichts zu lachen, wenn wir heute an den Start gingen und mit diesen Jungs konkurrieren müßten‘.“
Nicht zuletzt in punkto Selbstvermarktung sind ihnen die neuen Power-Bauern in der Tat um Traktorlängen voraus. Marketing-Kenner Brooks etwa, der mit Preisen und Publicity überschüttet wurde, weiß um die betrüblichen Folgen medialer Überpräsenz. Schlaukopf Brooks hat daher flugs mit Frau Sandy ein Töchterchen namens Taylor Pearl Mayne in die Welt gesetzt. Grund genug, der familienhörigen Country-Gemeinde den vorübergehenden Rückzug als sympathieträchtige Vater-Romantik zu verkaufen.
Doch auf die mediale Abstinenz folgt nun der Doppel-Knockout: Zunächst erscheint im September, passend zum beginnenden US-Weihnachtsgeschäft, die Christmas-Platte „Beyond The Seasons“, kurz darauf wird dann mit „The Chase“ der nächste sichere Millionenseller veröffentlicht.
„Mit , The Chase‘ gehe ich ein höheres Risiko ein,“ bemerkt Brooks vergnügt. „Ein paar Songs haben einen starken Gospel-Einschlag. Das ist gewagt, denn das Country-Publikum ist konsen-aüv und Experimenten gegenüber stets abgeneigt.“
Brooks kann es sich leisten: Seit dem Beginn seiner Karriere kultiviert er seine Freiräume: Einerseits predigt er den Wert einer guten Ehe und großen Familie, andererseits verteidigt er vehement die Rechte Homosexueller. Mal jodelt er das Halleluja auf „America The Beautiful“, dann wieder singt er vor einer Veteranenversammlung trotzig ein Anti-Kriegslied. Diese Chuzpe gegenüber der ewiggestrigen US-Moral, diese Gebrochenheit, dieser Hauch von Ehrlichkeit, mit dem selbst ein Superstar wie Garth Brooks vor dem großen Chaos klein beigibt, genau das lieben seine Fans. ¿= Männer wie er ge- i ben keine Antworten. ^ Aber sie stellen auch jjkeine Fragen.