Pressed for Success


Wenn es stimmt, was The Hives über ihren mysteriösen Hintermann erzählen, dann hängt das Schicksal der inzwischen millionenschweren Rock’n’Roll-Band aus Schweden an einem seidenen Faden. Drei Jahre nach Veni Vidi Vicious, ihrer kompakten und lückenlos grandiosen Durchbruchs-LP, sind The Hives noch nicht einmal annähernd bereit, neue Songs aufzunehmen. „Ehrlich gesagt liegt es halb an uns und halb an ihm“, sagt Pelle Almqvist im Backstage-Bereich der Rock-am-Ring-Bühnen. Obwohl die Fünf bereits seit Monaten diszipliniert proben, haben sie noch keinen Ton aufgenommen. Fertig konzipiert sind „mal drei Viertel, mal aber auch wieder nur ein Viertel“ der neuen Platte, wie der hyperaktive Sänger eingesteht. Und Schuld daran soll ein Mann sein, dessen bloße Existenz von den meisten Kollegen der internationalen Presse bezweifelt wird?

Die Geschichte der Hives beginnt 1993 in Fagersta, einer zentrumlosen industriellen Kleinstadt zwei Stunden nordwestlich von Stockholm. Fünf Teenager – so will es die Legende – erhalten einen Brief mit einer Zeit- und einer Ortsangabe. Der Absender ist jener ominöse Songschreiber und Mentor „Randy Fitzsimmons“, der den jungen Musikern bereits ein Jahr später die ersten Auftritte vermittelt. Die Qualität dieser frühen Punkkonzerte pendelt so dramatisch zwischen annehmbar und indiskutabel, dass Pelle Almqvist, sein Bruder und Gitarrist Nicholaus „Arson“ Almqvist, Bassist Dr. Matt Destruction, zweiter Gitarrist Vigilante Carlstroem und Schlagzeuger Chris Dangerous 1996 in Mittelschweden bekannt genug sind, um eine erste EP Oh Lord! When? How? zu veröffentlichen. Die wenigen Leute, denen ein Jahr später das Debüt Barely Legal oder die zweite EP A.K.A. Idiot in die Hände fällt, sind einigermaßen sprachlos: Die Frisuren, der Dresscode, vor allem aber die Energie und der naive Enthusiasmus der Hives gehören zum besten, was der nicht immer fruchtbare Boden des Rock’n’Roll in 40 Jahren hervorgebracht hat. Nach Auftritten in ganz Schweden und den USA wird „Howlin'“ Pelle Almqvist, ein Showman, wie es in Skandinavien noch keinen gab, mit Iggy Pop und vor allem dem jungen Mick Jagger verglichen. The Hives gebärden sich auf der Bühne „wie überdrehte Kinder, denen man zum Mittagessen Eis versprochen hat – die können so aufgeregt werden, dass sie kreischen und einfach umfallen“, wie Nicholaus Arson erklärt. Pelle hat nun zehn Jahre daran gearbeitet, dass der Funke dieser kindlichen Begeisterung von der Bühne auf sein Publikum überspringt. „Du musst dich benehmen, als wenn du fünf wärst“, fasste er einst zusammen, „dabei aber 23 sein.“

Auch wenn es – wie einstimmig beteuert wird – nie geplant war, berühmt zu werden, war der Aufstieg einer Band mit solchen Live-Qualitäten nicht aufzuhalten. Bereits nach dem ersten USA-Konzert in Texas zollte Dave Grohl neidlos Respekt: „Es ist schon komisch: Schweden spielen den besten Kick-ass-Garagen-Rock, den du je gehört hast, und werden damit in Amerika berühmt. Das hat Bands wie unserer Mut gemacht.“ Ebenso beeindruckt zeigte sich Courtney Love, auch wenn sie nicht widerstehen konnte, Herrn Grohl bei dieser Gelegenheit einen zickigen Seitenhieb zu verpassen: „The Hives sind besser als Nirvana – sie haben nicht nur einen brillanten Jungen.“

Spielten The Hives 2000 Veni Vidi Vicious noch elektrisiert von diesen Lobesbekundungen ein, so änderte sich die Situation doch drastisch, als ein Jahr später Journalisten auf der ganzen Welt The Strokes‘ Is This It zum Anlass nahmen, ein Garagen-Rock-Revival auszurufen, das zum Urknall eines neuen Rock’n’Roll-Zeitalters wurde.

„Es gab schon immer Bands, die einer Ästhetik gefolgt sind, die nicht zu großen Wert auf Produktion legt“, analysiert Pelle Almqvist. „Aber plötzlich wurde daraus eine Bewegung, weil es ein paar Acts gab, die besser waren, als man das gewohnt war. Gruppen, die Musik machen wie wir, gibt es zuhauf. Wahrscheinlich haben ein paar ziemlich wichtige Leute bei einem Meeting beschlossen, dass (ausgerechnet) wir berühmt werden sollen. So läuft das. „

Die Plattenfirma, die derzeit das größte Interesse daran haben dürfte, dass die Hives auch berühmt bleiben, ist Universal Music. Berichten in der englischen Presse zufolge hat das Majorlabel mit den fünf Musikern kürzlich den teuersten Deal abgeschlossen, den je eine skandinavische Band aushandeln konnte. Und auch wenn The Hives inzwischen zu den besten Live-Acts der Gegenwart gehören – als Songschreiber stehen sie offenbar noch immer nicht auf eigenen Beinen.

Bis auf den Curtis-Mayfield-Song „Find Another Girl“ ist jede Komposition auf Veni Vidi Vicious Randy Fitzsimmons zugeschrieben, der, wie man hört, zu medienscheu ist, um selbst Interviews zu geben. Als der New Musical Express zudem herausgefunden haben wollte, dass „Fitzsimmons bei Verwertungsgesellschaften wie der GEMA als Pseudonym für Nicholaus Almqvist geführt wird, erklärten ihn zahlreiche Journalisten für fiktiv. Die Band dagegen beteuert, dass Almqvist zunächst die Tantiemen kassiert, um den sechsten Teil an Fitzsimmons in bar zu bezahlen.

Der Ghostwriter allerdings wird in regelmäßigen Abständen als unbekannte Variable in der Gleichung Hives + Mr. X = Erfolg zum Problem: Bereits 1998 legte die Band eine Zwangspause ein, als sie für sechs Monate den Kontakt zu ihrem Mentor verloren hatte. „Er ist einfach verschwunden“, bestätigt Almqvist schulterzuckend. Und nun, ausgerechnet nachdem The Hives angeblich knapp 11 Millionen Euro für eine Vertragsunterschrift kassiert haben, scheint Fitzsimmons an einer Schreibblockade zu leiden.

„‚Dauert so lange, dauert so lange‘ – ich finde nicht, dass unser nächstes Album so lange dauert“, verteidigt sich Almqvist etwas genervt, denn die Fragen nach einem Nachfolger werden lauter. „Wir machen lieber alle fünf Jahre ein gutes Album als jedes Jahr ein schlechtes.“ – „Von der Plattenfirma kommt da kein Druck“, mischt sich Vigilante ein und schüttelt seinen riesigen Kopf. „Wir machen uns selbst am meisten Stress.“ Pelle: „Der ganze Druck von außen ist nichts gegen den Anspruch, ein Album zu machen, das WIR anhören wollen. Die Welt braucht nicht noch eine ‚Ganz-Okay‘-Platte. Sie braucht etwas Großartiges. Aber selbst wenn wir in zwei Jahren nicht mehr ganz so im Rampenlicht stehen sollten, macht das nichts. Man wird uns immer noch mögen. Dann fallen nur all jene weg, die unsere Platte gekauft haben, weil sie gehört haben, dass das cool ist. Und wer braucht die schon – nachdem sie uns erstmal ihr Geld gegeben haben? Wir lehnen uns dann zurück, werden die gleiche Band wie seit zehn Jahren sein, bloß reicher. Das klingt ziemlich okay für mich.“

In die Zukunft blicken The Hives generell mit gemischten Gefühlen. „Alle Bands denken, dass sie nach drei Alben noch gute Arbeit abliefern können, und doch trifft es nur auf die wenigsten zu. Man muss aufpassen: Auch wir glauben daran, dass wir noch etwas zu sagen haben – aber das haben wir auch mit 17 gedacht. Es ist also möglich, dass wir nach drei LPs Schluss machen.“ Sollten sich The Hives tatsächlich nach dem nächsten Werk verabschieden, wird es lange Gesichter geben. Die Leidenschaft, mit der diese Band von Fans und Kollegen verehrt wird, ist derzeit beispiellos. So gibt es auch bei ihrem manischen Auftritt bei Rock am Ring, der für viele Festival-Besucher zum Höhepunkt des Wochenendes wird, frenetischen Applaus im Publikum und – was an den drei Tagen einzigartig ist – von der völlig überfüllten Künstlertribüne. Als die bis zum Anschlag aufgedrehten Pelle, Nicholaus, Dr. Matt, Chris und Vigilante hinter die Bühne taumeln, sind sie sofort von Kollegen umringt. Selbst Mieze von Mia steht mit einem selbstvergessenen Lächeln etwas abseits und beneidet Nina Persson um ihren Mut, die sich mit einer Dose Becks und leuchtenden Augen zu ihren Landsleuten gesellt. „Das war absolutely fucking amazing“, freut sich die Cardigans-Sängerin, „einfach unglaublich.“ ME möchte wissen, ob sie sich denn für Garagen-Rock interessiere? „Ja komisch – eigentlich überhaupt nicht. Was ist wohl das Geheimnis der Hives? Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden. Ich MUSS es herausfinden“, sagt sie, winkt und verschwindet hinter Pelle in der Garderobe.

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