Priester des Punk
Seit Jahren predigen Bad Religion drei Gebote: Musik sei hart, schnell und laut. Läßt sich die Welt jetzt bekehren?
„Punx not dead — itiust got smarter“, konstatierten Spezialisten der amerikanischen Indie-Presse schon vor zwei Jahren. „Ausdauer zahlt sich aus,“ grinst Bad Religion-Sänger Greg Graffin. Im Falle des kalifornischen Fünfers heißt das zwölf Jahre Bandvergangenheit mit allen Rock ’n‘ Roll-Schikanen: früher Hype, viele Drogen, erfolgreiche Rehabilitation, wachsender Indie-Star-Status und — vorläufiger Höhepunkt — der Vorstoß ins Mittelfeld der deutschen Verkaufscharts. Für eine amerikanische Importplatte aus dem Punk-Hardcore-Bereich eine wahrlich erstaunliche Plazierung. Noch erstaunlicher: An der Entwicklung der Band, bzw. ihrer Musik kann der Erfolg ihrer sechsten LP „Generator“ kaum liegen, attestieren doch Kritiker allerorts mit seltener Übereinstimmung, daß sich am Hochgeschwindigkeits-Punkrock von Bad Religion seit ihrem 80er Debüt „How Could Hell Be Any Worse“ bis zum heutigen Tag kaum etwas verändert hat. (Bandkommentar am Rande: „Außer den Beatles sind doch alle Bands musikalisch primitiv.“) Naheliegende Schlußfolgerung: Die Zeit ist auf ihrer Seite. Heute, wo „Smells Like Teen Spirit“ im Hertie-Esprit-Shop verhalten aus den Boxen dudelt und Trägerinnen pastellfarbener Bermuda-Shorts eben nicht die Kauflaune vergällt, wäre es fast ungerecht, wenn Bad Religion die Erfolge im Indie-Lager nicht auch auf die große Käufer-Masse transferieren könnte. Bloß, kommt man sich als Wegbereiter harter Gitarren mit Punk-Attitüde nicht ein wenig komisch vor, wenn der eigene alte Stiefel mit zehnjähriger Verspätung plötzlich wieder hip wird? Graffin:
„Nein, das ist nunmal die Funktionsweise der Subkultur. Irgendwann schlägt sie sich im Mainstream nieder. Heute zitiert jede harte amerikanische Gitarrenband Black Flag oder die Buzzcocks, damals, als diese Bands zusammen mit uns in den frühen Achtzigern aktuell waren, kannte sie keine Mensch. Jetzt gibt es sie nicht mehr, aber sie leben in der zweiten Generation weiter, und sind durch den populären Status harter Musik heute bekannter denn je.“
Wer Greg Graffin sprechen hört, weiß ziemlich bald, Punkrock hin oder her, das ist nicht der Mann, vor dem uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Die gewählten Worte kommen nicht von ungefähr: Wenn der Bad Religion-Sänger sich nicht gerade auf der Bühne die Zynikerseele aus dem Leib plärrt, doziert er in New York Biologie, gerade hat er sich seine DoktorwiirDie „Ramones der Neunziger“, als die Bad Religion heute gerne gehandelt den sich zumindest auf den Textblättern von ihren Vorreitern. Engagiert, anklagend, aggressiv und bisweilen trostlos fatalistisch ist die Weltsicht, mit der Bad Religion seit zehn Jahre ihre Anhängerschaft konfrontiert. Mitlesen lohnt sich, vom bierseligen Partygefühl, das in ihren Songs mitklingt, ist in den Texten nicht mehr viel zu hören. „Wenn du dich als Wissenschaftler hauptsächlich mit der Evolution und dem Aussterben von Lebensfomien beschäftigst, ist das nicht die beste Vorraussetzung, um ein sorgloses, oberflächliches Leben zu führen“, erklärt Graffin die durchgängige Schwarzsicht knapp. Der trübe Blick der Kalifornier ist allerdings nicht nur von Lehrbüchern geprägt. Im zwölfjährigen Lebenslauf von Bad Religion klafft ein Vier-Jahres-Loch. Die erste Euphorie der frühen Jahre lebte die Band allzu exzessiv aus. Gitarrist Brett Gurewitz. neben Graffin zweite Kreativzelle der Band, war von 1983 bis 1987 als „professioneller Drogenabhängiger“ dem Sarg dreimal näher als irgendeinem Studio. Als sich Bad Religion 1988 mit „Suffer“ wieder wohlauf und drogenfrei zurückmeldete, war die erste Überraschung, daß die Bandmitglieder überhaupt noch lebten, die zweite, daß sie nach fünfjähriger Plattenpause musikalisch so nahtlos an ihr Achtziger-Debut anknüpften. Gurewitz lakonische Erklärung damals: „Ich habe die letzten vier Jahre kaum wahrgenommen. “ Seither arbeitet Bad Religion konstant mit wachsendem Erfolg, 1 989 folgte „No Control“. 1990″.Against The Grain“, Ende 1991 schließlich „Generator. Auf ihrer letzten Tour spielten sie ausnahmslos vor ausverkauften Hallen, dieses Jahr als Headliner mehrerer Festivals. Doch, läßt man sich nach zwölf Jahren Erfahrung davon noch den Kopf verdrehen? Nicht Dr. Graffin: „Erfolg ist relativ. Die berühmtestem Stars der Welt sind immer noch unglaublich unbekannt in akademischen Kreisen. Ich bekomme das jeden Tag mit. Wenn ich meinen Kollegen von Bad Religion erzähle, gucken sie dumm und fragen „Wer???“