R.E.M.


Eine merkwürdige Szene: Zwischen Zirkuswagen von Barnum & Baley spielen Mike Mills und Bill Berry Tischtennis. Mills schlägt Berry pausenlos, und es stinkt penetrant nach Mist. Der Trommler und der Bassist haben den Soundcheck hinter sich, dämpfen ihre Nervosität durch herzliches Fluchen, während Gitarrist Peter Bück hin- und herwandert und beschwörend vor sich hin murmelt: „Dies ist nicht New York, dies ist unsere Heimat Athens.“ Sänger Michael Stipe erscheint kurz vor Konzertbeginn, prüft die Gästeliste („Dan Aykroyd? Wie peinlich!“) und verzieht sich wieder in seine Einzelgarderobe.

Was um aller Welt ist in der Zwischenzeit geschehen? Das letzte Mal sah ich die „beste Band Amerikas“ (Rolling Stone) in einem gerade knapp gefüllten Club, hier hingegen fiebern 25.000 Menschen jeden Alters und jeder Couleur der neuen Mega-Band der USA entgegen.

Licht aus, ohrenbetäubender Jubel, R.E.M. plus Gitarrist Peter Holsapple rasen auf die Bühne. Eine helle Gestalt in fast durchsichtigem Flatteranzug schnappt sich das Mikrofon, singt „It’s the end of the world…“, und alle, wirklich alle singen mit glänzenden Augen mit. Fröhlicher kann der Untergang unseres Planeten kaum gefeiert werden. Es ist kaum zu fassen, was für eine Wandlung mit dieser ehemaligen Kultband Amerikas vorgegangen ist. R.E.M. sind – neben Guns n‘ Roses – unüberseh- und hörbar die amerikanische Super-Band der späten 80er Jahre. Neun Jahre nach ihrer Gründung vermitteln sie in dieser riesigen Sportarena den Seichte Brise Eindruck, als habe man die Talking Heads mit den frühen Stones gekreuzt, und der früher eher etwa verloren wirkende Michael Stipe hat als Sänger und Frontman ein Charisma entwickelt, das tatsächlich Massen bewegt.

An manchen Stellen allerdings scheint er von seiner Wirkung geradezu mitgerissen zu werden und deutet tatsächlich den faschistischen Gruß an, als – auf eine Leinwand projiziert – das Publikum gefragt wird: „Do you feel alright“ – und prompt mit tausendkehligem „Yeah!!!“ reagiert.

Nichtsdestotrotz ein faszinierender Abend. Erstaunlich, daß Amerika diese vergleichsweise unscheinbare Band so in sein Herz geschlossen hat. Und geradezu bizarr, daß eine Gruppe dieses Kalibers auf der bevorstehenden Europa-Tournee wieder in kleinen Clubs spielen soll.