R.E.M.


Kein Zweifel: Die Herrschaften machen sich rar. Ganze drei Konzerte bestritten Amerikas Rock-Helden R.E.M in der Heimat. Und das auch nur, um ihre aktuelle LP ins rechte Bühnenlicht zu rükken. ME/Sounds-Mitarbeiter Max Steiner packte die Koffer und reiste zum Hörtest ins ferne West Virginia.

Charleston. West Virginia. Ein Sonntagnachmittag in der feuchten Hitze der Appalachen. Seit dem frühen Morgen warten Hunderte von Teenies. Hippies und Glatzköpfen vor dem Capitol Plaza Theatre an der Quarrier-Streei. Amerikas Kult-Band Nr. 1. R.E.M.. hat sich das Nest für eins von drei US-Konzerten ausgesucht, um ihr neues Album. OUT OF TIME, vorzustellen. Die Karten für die zweistündige Show sind bereits seit einem Monat ausverkauft. Der Vorverkauf hatte ganze 15 Minuten gedauert.

In „Unplugged“. einem populären wöchentlichen Special des Musiksenders MTV. hatten R.E.M. schon eine Woche vor dem Gig in West Virginia gezeigt, daß die äußerlichen Bedingungen dem Drive der Band keinen Abbruch tun. Wie schon die MTV-Show, so ist auch der Auftritt in Charleston im Rahmen der Radio-Show „Mountain Stage“. die jeden Sonntag von über 100 amerikanischen Stationen übertragen wird, kein Konzert im klassischen Sinn. Mit der Bühne als Studio und der Reaktion von 100(1 Fans als direkter Rückkoppelung hat das Rundfunk-Special den entspannten Charme einer Jam-Session.

R.E.M. starten den ersten Set mit „World Leader Pretend“. und spätestens bei den letzten Takten dieses bereits hinlänglich bekannten Titels ist klar, daß sich das Publikum um die rote Leuchttafel, die den planmäßigen Einsatz von Applaus fürs Radio regeln soll, einen feuchten Kehrricht kümmert.

R.E.M.s schriller Gitarren-Sound, Markenzeichen der Band aus Athens/ Georgia, ist um ungewohnt folkige Töne (akustische Gitarren, akustischer Baß. Mandoline. Bongos und Akkordeon) angereichert und gewinnt so eine Transparenz und Leichtigkeit, die auch dem alten Material eine neue Qualität verleiht. Dennoch schlägt der Rock „n‘ Roll immer wieder voll durch.

Sänger Michael Stipe. die Jackie O. des amerikanischen Rocks, ist stimmlich in Hochform. Besonders ausdrucksvoll und voller Emotion sein Chorus in „Loosing My Religion“. Stipes spröder Charme und ein paar bizarre Hüftbewegungen reichen voll aus, um das Publikum völlig aus der Fassung zu bringen. Die verlieren Bill Perry. Mike Mills und Peter Bück nie, obschon sie ständig ihre Instrumenten tauschen. Ein eher ungewöhnliches Verfahren, das dem Zweck dienen soll, eingefahrenes musikalisches Vokabular auf ein Minimum zu reduzieren. Das Resultat ist schlicht brillant. Die Songs wirken durchsichtig, beinahe nackt und entwickeln eine überzeugende Authentizität, deren minimalistische Sprödigkeit nur dann aufgebrochen wird, wenn sich Süpes Stimme im Harmonie-Gesang der anderen auflöst.

Die grenzenlose Begeisterung des Publikums wird erst gebremst, als West Virginias Gouverneur. Gaston Caperton. auf der Bühne auftaucht, um den 28. April zum R.E.M.-Tag zu erklären und den Musikern eine Urkunde überreicht — für besonders innovatives Engagement in der Popmusik.

Den Unmut im Publikum fängt die Band nach dem offiziellen Ende der Rundfunkübertragung mit einer guten Stunde an Zugaben wieder voll auf. Songs wie „Swan, Swan. Hummingbird“, „White Train“ oder „Say Hello“ enden in einer atemberaubenden Session.