R.I.P. das Deutsche Open Air Festival
Am 6. 9. verstarb nach langem und qualvollem Leiden der deutschen Veranstalter bis dato liebstes Kind: Wie keine andere Institution ist das Open-Air-Festival immer wieder aufs Neue von profitgierigen Veranstaltern hochgepäppelt und mit Vitaminspritzen versehen worden. Jedoch das Sechsmonatskind ist trotz dieser Fürsorge an akuter Unterernährung eingegangen. Das deutsche Open-Air ist am Ende. Es hat sich selbst vom Schwanz her aufgefressen.
Rufen wir uns kurz noch einmal rückblickend in Erinnerung, wie man sich in Deutschland eine Fortsetzung des fast schon legendären Woodstock-Festivals vorstellte. Es fing zuerst mit Massenkonzentrationen in Hallen, Eisstadien und ähnlichen Einrichtungen an. Einmal eingepfercht, kam man nicht mehr heraus, und man musste mit dem Essen und Trinken vorlieb nehmen, was einem zu überhöhten Preisen angeboten wurde. Alsdann die Baubehörden bei solchen Veranstaltungen dem Veranstalter aufs Dach stiegen, dachte oder I rechnete man mit der Möglichkeit des ganz [grossen Geldverdienens: Das Open-Air. Das Wetter j draussen war ja auch schon recht einladend, und so [versammelte man die Massen auf Gottes grüner Flur. Aber, oh Gott, die Massen blieben aus. Keine 150.000, sondern 6.000. = Auch keine 20.000, dafür kamen dann 5.000. Trotz dieser fast schon beängstigenden Symtome riss die bundesrepublikanische Festiwelle nicht ab. Eine Veranstaltung jagte die andere. Jedoch lockten sie damit die Fans nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Denn sie hatten die Schnauze voll von diesen grosspurigen Vorankündigungen, die sich meistens doch als ganz ganz mieser Bluff entpuppten. Und genauso hatten die Fans die Schnauze von Polizei, Zivil- und Bundesgrenzschutz voll, die als üblicher Tross immer so ein Festival bevölkerten, um dann ihrerseits daraus eine grossangelegte Katastrophenübung zu machen. Aber trotz der abnehmenden Besucherzahlen dachte keiner ans Aufgeben. Veranstalter wurden geboren wie anderswo Kälber. Und die Lage verschlimmerte sich immer noch mehr.
Bis zu diesem 6.9., wo ein Open-Air-Festival alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen sollte. In der Tat, es ist gelungen, und die Veranstalter haben es geschafft. Was nämlich in Fehmarn geschah, war der Todesstoss, war das Treten der wehrlosen Kreatur-Mensch. 25.000 Fans, eine bisher nie dagewesene Masse bei deutschen Open-Air’s, bevölkerten einen knapp 50 ha grossen Strand plus Wiese am Flügger Leuchtturm auf Fehmarn. Solche Besucherzahlen, ebenso wie die auftretenden Gruppen: Jimi Hendrix, Sly And The Family Stone, Ginger Baker, Canned Heat, Keef Hartley, Fat Matress, Fotheringay und Rennaisance hätten eigentlich verpflichten müssen. Doch das Gegenteil warder Fall. Die Veranstalter verschwanden mit der Kasse; Brandstiftung und Brutalität waren in den drei Tagen an der Tagesordnung. Ordner (Rockerbanden aus Hamburg) mit Schlagstöcken, Fahrradketten und ähnlichen Utensilien, die zum moralischen Alibi solcher Typen gehören, demolierten Autos, Restaurants, Tankstellen und versuchten ein Mädchen zu vergewaltigen. Fehmarn, das war nicht Love and Peace; Fehmarn, das war eher ein Horrortrip, der mich an das Stoneskonzert in Altamont erinnert, wo ein Farbiger vor der Bühne ermordet wurde. Organisation wurde bei dieser Veranstaltung zu einem Fremdwort. Verstopfte Zufahrtsstrassen, Regen und Sturmböen bis zu Windstärke 8 Messen dieses Festival zu einem Dilemma werden. Von 35 Bands spielten 18. Die anderen sind entweder gar nicht bis zur Bühne durchgekommen, oder konnten wegen des Regens nicht spielen, oder aber haben es vorgezogen, einfach zu Hause zu bleiben. Am Sonntag, dem letzten Tag der Veranstaltung, brach alles zusammen. Nachdem die Veranstalter mit der Kasse durchgegangen waren, Ten Years After ohne zu spielen wieder abgereist sind, und man Greatest Show on Earth eine bereits abgefahrene Eisenbahnkarte von Puttgarden nach Hamburg in die Hand gedrückt hatte, ging das Organisationsbüro, sowie das Pressezelt in Flammen auf. Der Techniker von „Orange“ bangte um seine Verstärkerbatterien, die übereifrige Ordner in Ermangelung des entgangenen Geldes von der Bühne werfen wollten. Das Ende vom Lied war, Polizei fuhr auf.
350 Mann mit heruntergeklappten Visieren und Parole: Schlagstock frei, sicherten die materiellen Werte. Welche Diskrepanz! Als es die vergangenen Tage galt, Menschenleben zu schützen vor den Brutalitäten dieser rekrutierten Ordnertruppen, Hessen sich die Hüter der Ordnung nicht blicken. Angst????? 25.000 waren in Fehmarn unfähig, sich selbst zu erhalten und zu schützen, als alles zum Chaos wurde. 25.000, die sich notdürftig mit Plastik gegen den Regen schützten, im Schlamm sassen und ungenügend versorgt wurden mit warmem Essen und sanitären Einrichtungen, verloren in Fehmarn ihren Glauben an eine deutsche Woodstock-Version, an ein deutsches Festival der Liebe und des Friedens.