Rache, kalt serviert
„Rage is a dish bestservedcold“, steht auf dem Plakat zu Quentin Tarantinos neuem Film „Kill Bill“. Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird. Ob gleiches auch für die Karriere des 41-jährigen Regisseurs gilt, bleibt abzuwarten. Fest steht nur: diese war zuletzt kalt. So kalt wie die zahllosen Leichen in seinen Filmen. Und sollte sich „Kill Bill“ als Misserfolg entpuppen, dann dürfte die Temperatur bald unter den Gefrierpunkt sinken.
Geschlagene sechs Jahre sind seit seinem letzten Film „Jackie Brown“ vergangen, sogar neun Jahre seit dem letzten „richtigen“ Tarantino-Film, „Pulp Fiction“, bei dem er sowohl Regie führte als auch das Drehbuch schrieb (Jackie Brown“ basierte auf der Elmore-Leonard-Story „Rum Punch“). In dieser Zeit war es ungewöhnlich still um den Mann, den die New York Times einst wegen seiner Omnipräsenz in den Medien als „The Man Who Came to Dinner (andnever left)“ veräppelte. Die Stille um den ehemaligen Platzanweiser im „Pussycat“-Pornokino, Videotheken-Nerd und dann Rockstar-Regisseur wurde nur ab und zu von unerfreulichen Nachrichten unterbrochen.
1997 Verprügelte er Don Murphy, einen der Produzenten von „Natural Born Killers“, in einem italienischen Restaurant auf L.A.s schicker Melrose Avenue. Tarantino hatte das Drehbuch zu „Natural Born Killers“ geschrieben, war aber mit Oliver Stones Verfilmung unzufrieden. Als er die Prügelei auch noch in einer Femsehshow nachspielte, wurde er von Murphy aufs Millionen Dollar Schadensersatz verklagt. Man einigte sich außergerichtlich. Sein Broadway-Debüt als Schauspieler in „WaitUntilDark“, einem Theater- Remake des gleichnamigen ’67er-Psycho-Thrillers mit Audrey Hepburn und Alan Arkin, wurde von der Kritik zerissen. Seine turbulente zweijährige Beziehung mit der Schauspielerin Mira Sorvino zerbrach. Und in der Zeit danach soll er zurückgezogen und verletzt zu Hause gesessen, Pot geraucht und sehr viele sehr schlechte Filme geschaut haben. Tarantino geht auf die Drogen-Gerüchte nicht näher ein, gesteht aber, sehr viel Zeit in seinem Heimkino verbracht zu haben: „Ich habe mir jeden Tag mindestens einen Genre-Film angesehen. Undzwarrichtige16-mm- oder 35-mm-Prints. Keine Videos oderLaserdiscs. Die sind vergleichbar mit Hasch und Kokain. Richtige Prints gelten unter Filmsammlern als die Königsklasse. Die sind wie Heroin. Ich bin süchtig nach ihnen.“ Und er hat sich amüsiert: „Ich bin keiner von diesen Regisseuren wie Woody Allen, die jedes Jahr mindestens einen Film drehen müssen. Ich brauche meine Freizeit, um wieder Kraft zu schöpfen.“ Freizeit, in der er „in Clubs tanzen geht, mit Freunden in Bars Bier trinkt, Witze reißt und hoffentlich viel Sex“ hat.
Gänzlich unproduktiv war er dennoch nicht:“Icfi habe drei Karrieren. Ich bin Regisseur, Schauspieler und Autor. Und nachdem all meine Drehbücher in Filme verwandelt worden waren, setzte ich mich eben wieder hin und schrieb.“
Sein erstes Projekt: „Inglorious Bastards , ein Weltkriegs-Epos im Stile von „Das dreckige Dutzend“ oder „Gesprengte Ketten“. .JKberich konnte mit dem Schreiben nicht aufhören, und das Ding wurde größer und größer“, erinnert sich Tarantino. Doch dann traf er auf einer Party Uma Thurman: „Und von da an drehte sich alles nur noch um ,KüI Bill‘.“
Thurman, mit der Tarantino eine Verbindung wie, Josefvon Sternberg mit Marlene Dietrich “ pflegt und mit der er Filme bis ans Ende seiner Karriere machen möchte, hatte ihn an „The Bride“ erinnert, eine Figur, die beide während der Dreharbeiten zu „Pulp Fiction“ entwickelt hatten. „The Bride“ ist die PTOtagonistin von „Kill Bill“: eine schwangere ehemalige Profikillerin, die am Hochzeitstag von ihrer alten Gang angeschossen wird. Nach vier Jahren im Koma wacht sie auf und beginnt ihren Rachefeldzug. Eine nach der anderen metzelt sie auf einer Odyssee von Peking bis Mexiko ihre alten Kolleginnen (gespielt von Daryl Hannah, Lucy Liu und Vivica A. Fox) nieder, bis am Ende nur noch ihr Boss, Bill, übrig ist.
Ursprünglich sollte Warren Beatty die Rolle des Bill spielen. Offiziell hieß es später, Terminschwierigkeiten hätten dies verhindert. Inoffiziell geht eine andere Geschichte um: Die Story soll Beatty schlicht zu blöd gewesen sein. Tarantino bestätigt, dass Beatty Schwierigkeiten mit dem Drehbuch hatte: „Erfragte mich: ,Was wird das hier eigentlich? Eine Kampfszene jagt die nächste,jede härter als die vorherige…“ Undich antwortete: .Stimmt, das ist genau die Definition eines Kung-Fu-Films: das ist genau das, was ich machen will‘.“ Was auch immer der wahre Grund war: Letztendlich besetzte Tarantino die Rolle des Bill mit David Carradine, dem vergessenem Star der 7oer-Jahre-T V-Serie „Kung Fu“. Die Besetzung BillS war weder das erste noch das letzte Problem. Damals, auf der Party, hatte Tarantino Uma versprochen, ihr das fertige Drehbuch „m drei Wochen „zu schicken. Es wurden eineinhalb Jahre. Tarantino hatte die gleichen Schwierigleiten wie bei „Inglorious Bastards“: Er konnte einfach nicht mit dem Schreiben aufhören. Vielleicht war ja doch was an den Pot-Gerüchten dran? Freunde jedenfalls berichteten, dass, wann immer sie Quentin in dieser Zeit anriefen, er sie mit den Worten „Ich hab zu tun, ich schreibe an meinem Drehbuch“ und dann einem „… pfff.pfff. ¿ ¿“, wie es Kiffer beim Rauchen eines Joints verursachen, vertröstet habe. Als das über 200 Seiten lange Drehbuch endlich fertig war, war Thurman zum zweiten Mal schwanger. Die Dreharbeiten mussten warten, bis im Januar 2002 Sohn Roan zur Welt kam. >
Es folgten für alle Beteiligten (auch Taran- tino) drei Monate quälendes Kampfsporttrai- « ning durch den „The Matrix“-Experten Yuen S.
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Woo-Ping und dann so Wochen (geplant waren zwölf!) Dreharbeiten, verzögert vor allem dadurch, dass Tarantino sich weigerte, Spezialeffekte einzusetzen, und jede noch so unmögliche Kampfszene mit der Kamera drehte. „Das waren die anstrengendsten Dreharbeiten meines Lebens „, stöhnte Uma Thurman. ,Als ich Bill killen durfte, war ich überglücklich.“
Nicht nur die Drehzeit, auch das Budget wurde gehörig überzogen: Es wuchs von 30 Millionen auf über 55 Millionen Dollar. Grund genug für Produzent und Miramax-Boss Harvey Weinstein, zwischendurch mal nach dem Rechten zu sehen. Woraufhin Tarantino in die Vollen ging: „Wenn ich gewollt hätte, hätte ich von Anfang an mehr Zeit und Geld verlangt und hätte beides bekommen.“ Was natürlich stimmt. Denn, und das gibt selbst Weinstein zu, Miramax wäre nichts ohne Tarantino und dessen „Pulp Fiction“: Mit gerade mal 8 Millionen Dollar Budget spielte er weltweit 250 Millionen ein-Gewinn genug, um das überzogene „Kill BilT-Budget zu rechtfertigen.
So gewahrte Miramax Tarantino schließlich den Mehraufwand. Aus alter Verbundenheit, aber auch deshalb, weil Weinstein fest davon überzeugt ist, dass Tarantino „ähnlich wie Madonna den Finger stets am Puls der Zeit hat“. Zumindest was den Soundtrack zu „Kill Bill“ angeht, scheint sich dies zu bestätigen. Tarantino heuerte dafür mit sicherer Hand Wu-Tang-Star und Kung-Fu-Überfan RZ A an, der schon Jim Jarmuschs „Ghost Dog“ veredelte. Und auch Harvey Weinstein, ganz der hippe Promoter, zog ein Marketing-As aus dem Ärmel: Anstatt den überlangen Film zu schneiden, teilte er ihn kurzerhand in zwei gominütige Episoden, die nun getrennt voneinander veröffentlicht werden – ein Trick, der bei Filmen bislang kaum verwendet wurde. Dennoch: die von Warren Beatty geäußerte Kritik zuviel Brutalität, zuwenig Story „scheint Substanz zu haben. Erste Kritiker empören sich über das blutrünstige Epos, in dem in einer Szene über hundert Tote zu beklagen sind und eine komatöse Thurman im Krankenhaus vergewaltigt wird. Thurman selbst gibt dem Film keinerlei Oscar-Chancen: „Dafiirist er zu brutal. „Tarantino wiegelt dies mit den üblichen Argumenten ab: Es handle sich um bewusst überzogene, comichafte Gewalt, der Film finde ohnehin in einer Parallelwelt statt. Erblockt jede Kritik mit den gleichen Worten ab, mit denen er schon das ob der rohen Gewalt in „Reservoir Dogs entrüstete Publikum beim Sundance Festival 1992 beschied: „Ich Hebe gewalttätige Filme.“
Ob dies genügt, die erkaltete Karriere wieder aufzuwärmen, wird sich zeigen. Auch wenn „Kill Bill“ in einer Parallelwelt spielt: Tarantino muss sich in der realen Welt messen lassen. Und diese hat sich seit „Pulp Fiction“ geändert. Spätestens seitdem Erfolg von „The Matrix“ hat die Indie-Szene mit den Wachowsky-Brüdern neue Idole gefunden. Und 55 Millionen Dollar Budget müssen erst einmal eingespielt werden – kein Kinderspiel in einer Zeit, in der weniger bluttriefende Actionfilme als stille Werke wie Sofia Coppolas „Lost In Translation“ das Publikum begeistern.
Vielleicht erwartet die Welt aber auch einfach zuviel von Tarantino. Steven Gaydos, Redakteur des Fachblattes Variety, sieht es jedenfalls so: „Ein epochaler Film wie ,Pulp Fiction‘ ist die Ausnahme. Orson Welles drehte nie mehr etwas Bedeutenderes als .Citizen Kane‘. Sam Peckinpah nichts Besseres als ,The WildBunch‘. Trotzdem können Regisseure weiter eine erfolgreiche Karriere haben – ohne jemals wieder so einen wichtigen Film zu drehen.“
Tarantino, ganz der Rockstar-Regisseur, zeigt sich unbeeindruckt: „Ich wollte diesen Film vor allem machen, um zu sehen, wie gut ich wirklich bin. Und wenn das Ding am Ende nicht rockt, dann bin ich eben nicht so gut, wie 2’c/!rfac/ite.“>»www.kill-bill.com —