Randy Newman über Missverständnisse


Seit 1968 macht er Platten, seit 1968 wird er missverstanden.Der Spezialist fürs Doppelbödige nimmt's meist leicht. "Musik ist wohl ein schlechtes Medium für das, was ich mache."

Ein neues Randy-Album, Harps And Angels, neun Jahre nach Bad Love! Und als ob das nicht toll genug wäre, dürfen wir den halbgöttlichen Songwriter auch noch treffen. Viel Zeit wurde uns nicht eingeräumt, und jetzt zieht sich die Mittagspause. Der Künstler, heißt es, wartet auf seine Scholle. Die Zeit möchten wir nutzen für eine Warnung: Wenn er erzählt, dass er keine catchy Songs hat, glauben Sie ihm kein Wo… ah, es geht los.

Guten Tag, Herr Newman. Wie war der Fisch ?

Ich hatte Nudeln. Waren gut, aber haben meinen Intelligenzquotienten um 40 Punkte runtergezogen.

Das hab ich wohl missverstanden. Ich würde gern mit Ihnen ein bestimmtes Thema besprechen …

Kein Problem. Celebrities können ja über alles reden. Über Politik, die Zukunft…Worüber ich auf dieser Reise schon alles geredet habe! Ich hör schon gar nicht mehr hin. Wenn jemand aus dem Showbusiness anfängt, über Sachen zu reden, die nichts mit Showbusiness zu tun haben, geht man besser in Deckung. Deswegen sind ja auch Woody Allens Filme nicht mehr gut. Weil er aufgehört hat, zu erzählen, wovon er Ahnung hat: vom Showbusiness.

Ich würde gern mit Ihnen über Missverständnisse reden. Die Welt und Randy Newman – das ist ja eine kleine Geschichte von Missverständnissen.

Nun, mittlerweile weniger als früher. Und von den meisten weiß ich wahrscheinlich gar nichts. Ich lese nicht viele Besprechungen. Aber heutzutage, wo es Comedy-Shows wie „The Simpsons“ und „The Office“ gibt, sind die Leute – vor allem junge recht gut geschult in Sachen Ironie und Satire. Das hat die Sache schon einfacher gemacht. Wer will, kann mich verstehen. Musik ist aber einfach ein schlechtes Medium für das, was ich mache.

Wie bitte?

Wenn ich Wert drauflege, richtig verstanden zu werden, hätte ich mir idealerweise ein Metier suchen müssen, das nichts mit Musik zu tun hat. Etwas, das die Aufmerksamkeit bindet, bei dem man nichts nebenher machen kann. Ein Freund von mir versucht seit 20 Jahren, seinen Arbeitskollegen meine Sachen nahezubringen. „Setz dich hin und hör dir mal drei Minuten lang diesen Song an. Hör auf den Text. Es ist lustig, es lohnt sich!“ Er kriegt sie einfach nicht dazu. Das ist symptomatisch für meine Musik. Und wenn du nicht zuhörst – so wie die meisten Leute nicht wirklich zuhören bei Musik, außer sie sind gefangen in einem Konzertsaal -, bleibt nicht viel übrig. Ich bin nicht James Taylor, der tolle Texte schreibt und dabei auch noch hübsch klingt. Oder Paul Simon. Oder Norah Jones. Wenn du bei „Harps And Angels“ oder „A Piece Of The Pie“ (Songs vom neuen Album, Anm.) den Text nicht mitkriegst, denkst du doch: Was ist hier eigentlich los?

Ich hatte das Glück, noch von Pop-Radiomoderatoren – heute kaum noch vorstellbar – erklärt zu bekommen, wer Randy Newman ist und wofür er steht. Allerdings wurde dann immer erzählt, Sie seien „der große Zyniker“. Wieder ein Missverständnis. Oder sehen Sie sich als Zyniker?

Nein, absolut nicht. Ich gehe immer davon aus, dass mein Publikum bessere Menschen sind als die meisten Figuren in meinen Songs. Vielleicht weniger auf der neuen Platte, die weniger mit der Perspektive des „unzuverlässigen Erzählers“ arbeitet… Viele Künstler mögen ja ihre Fans nicht. Ich mag sie. Warum auch nicht? Ich meine: Zu Hause applaudiert ja keiner, deswegen gehe ich doch da raus.

Ärgert Sie dieses Falschverstehen noch?

Manchmal. Oft akzeptiere ich es einfach. Es gibt da diesen Song, den die Leute sehr mögen, „Real Emotional Girl“. Die meisten sehen ihn als straighten Lovesong, ein gefühlvolles Stück über ein Mädchen, das sehr verletzlich und emotional ist. Aber für mich geht’s in dem Song – vielleicht, weil ich vor Sentimentalität zurückschrecke und die Leute nicht – vor allem darum, dass dieser Typ, der da seinem Kumpel von dem Mädchen erzählt, das verdammt noch mal nicht tun sollte. Er tut genau das, wovor das Mädchen sich fürchtet. Sie ist ja sehr verschlossen, und er erzählt die privatesten Sachen über sie „she even cries in her sleep“, und wie sie beim Sex ist, „turns on easy, it’s like a hurricane…“ Vielleicht hab ich’s nicht gut genug angestellt, weil er als Lovesong verstanden wird. Aber ich werde mich nicht hinstellen und den Leuten erklären: „Nein, das ist kein Lovesong!“ Sie mögen einfach Lovesongs. Und ich… finde die etwas weniger interessant als andere Sachen.

Haben Sie schon Reaktionen auf „A Few Words in Defense Of Our Country“?

Die Leute finden den Song witzig. Ab und zu, in den Südstaaten oder in Colorado, wird gebuht und gebrummt. Aber meistens wird gelacht. Die Zeile mit den Supreme-Court-Richtern erntet meist Lacher.

Zielen Sie auf Lacher ab?

Ja, natürlich. Und wenn’s noch eine andere Ebene gibt – gut. Aber Songs wie „Political Science“ haben nicht recht viele andere Ebenen. Das ist einfach ein ziemlich simpler Witz, meiner Ansicht nach. Da ist dieser Typ, der so nationalistisch gepolt ist, dass er gern die ganze Welt ausbomben würde. Aber das ist einfach ein Gag. Wie in einem Song von Tom Lehrer (wer ist Tom Lehrer? s. Laderampe, S.44; Anm.).

Gibts noch Kontakt zu den Eagles, mit denen Sie mal eine LP (Little Criminals,’77) gemacht haben?

Ich hab (Glenn) Frey kürzlich mal bei einer Party getroffen. Und (Don) Henley treffe ich manchmal. Ich glaube, Henley ist endlich zufrieden mit der Menge Geld, die er hat. Er hat keine Sorgen mehr. Er wirkt … ruhiger, (schmunzelt)

Wie haben Sie den Song „I’m Dead but I Don’t Know It“ (vom Album Bad Love, 1999) aufgenommen, in dem es um alternde Rockbands geht, die nicht wissen, wann ihre Zeit vorbei ist?

(grinst) Sie mochten ihn. Und ich weiß, worauf Sie anspielen, aber: Ist das neue Eagles-Album erheblich schlechter als das, was sie früher gemacht haben?

Auf Ihrer neuen Platte sind sehr direkt politische Songs. Folgen Sie dem Geschehen aufmerksam?

Nicht wirklich, ehrlich gesagt. Aber es ist momentan so laut – was diese Regierung angerichtet hat, musste man ja mitbekommen. Ich finde es schlimm, dass man nicht mehr stolz auf das Land sein kann. Das ist kein tolles Land mehr, mit diesem ganzen ‚Bring ‚em on.'“-Geschrei. „Wir bekämpfen den Terrorismus!“ Ein Ausdruck, den es nicht mal geben sollte … Vielleicht lag ich falsch, aber als Teenager hielt ich die Vereinigten Staaten für das tollste Land der Welt. Die Zeiten sind endgültig vorbei, da andere Nationen uns anschauten und so sein wollten wie wir.

Der Typ in dem Song „Harps And Angels hat ein Nahtod-samt-religiöser-Erleuchtung-Erlebnis.

Ja. Haha! Und er rennt gleich los und erzählt seinen Kumpels davon. Und das Wichtigste für ihn ist: Es gibt ein Leben nach dem Tod! Ich hoffe, wir treffen uns da mal auf einen Drink! Und nicht: Was für eine großartige Sache, an die man glauben kann!

Tun Sie eh nicht, oder?

Ich selbst? Nein, nein (winkt ab). Natürlich nicht.

Ist Religion das folgenschwerste Missverständnis in der Geschichte der Menschheit?

Nun … Es ist eine Notwendigkeit, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Das Schlimmste an der Menschheit sind Leute, die Leuten Böses wollen, die anders sind als sie. Und dazu trägt Religion zweifellos bei. Aber es geht auch nicht nur auf die fiese Tour. Wie ich schreibe in dem Song: „the angry voice of the Old Testament and the loving voice of the New Testament“. Das Judentum wäre doch nie ein Hit geworden, mit diesem Alten Testament! Dieser Gott war einfach fürchterlich. Völlig unberechenbar. Wenn du ihn falsch preist, hackt er deinem Sohn den Kopf ab. Aber der christliche Gott war ein Hit. Das ist wie … Frank Zappa und die Beatles. Wer absichtlich gemein ist, kommt einfach nicht so gut an.

Und dann gibt es noch absichtliche Missverständnisse. Eine Freundin von mir singt in einem Chor, sie haben „Short People“im Programm und kündigen es an als „ein Lied über Kinder“. Ich hab sie entsetzt auf den Fehler hingewiesen, aber es hieß, die Ansage sei so nett und sie würden sie beibehalten.

Über Kinder? Das ist ja… Ich wollte fast sagen, das „ist ja originell“. Aber dann ist mir gleich die zweite Zeile eingefallen. „No reason to live“? Wie entsetzlich!

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