Red Hot Chili Peppers
Auf der Bühne ziehen sich die Red Hot Chili Peppers aus ihrem langjährigen Krea-Tief
„„Hallo Medien-Mafia“, begrüßt Sänger Anthony Kiedis die Kollegen der schreibenden, funkenden und sendenden Zunft, „„habt ihr auch eure Ohren mitgebracht?“ Und schon rasen sie los, die Funk-Derwische aus dem fernen L.A., um mit ‚Warped‘ vom Album ‚One Hot Minute‘ (das erste seit vier Jahren!) live zu präsentieren. Kiedis kennt sich aus in der Medienlandschaft. Nicht umscnst machen die Red Hot Chili Peppers erstmal eine kleine Appitizer-Tour, um das Album zu promoten. Die richtig große Publ kums-Tour durch Europa kommt erst 1996.
Auf der Bühne ist nichts zu spüren von den Erschütterungen, persönlichen Tragödien und Krisen, die das innovative Funkateer-Quartett über Jahre hinweg lahmlegte. Das Ausscheiden von Gitarrist John Frusciante, die lange mühsame Suche nach einem neuen Gitarristen, der wirklich zu den Peppers paßt, der Tod des Schauspielers und engen Band-Freundes River Phoenix, dazu ein echtes Krea-Tief bei Flea und Kiedis, all das hat Spuren hinterlassen.
Doch diese Narben trägt die Band heute als Schmuck. Vital, aufgekratzt und mit jeder Menge ansteckender guter Laune gehen die Vier zu Werke, natürlich mit nacktem Oberkörper, um die neuesten Tattoos zu präsentieren. Doch auch die mit Temperament vorgetragenen Kracher ‚Coffee Shop‘ und ‚Big Mob‘ oder Hits wie ‚Give It Away‘ und ‚Suck My Kiss‘ können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Peppers nachdenklicher geworden sind. Der Millionenseller ‚Under The Bridge‘ vor vier Jahren gab musikalisch und textlich die Richtung vor: Nabelschau, Zweifel, Glaubensfrage. Und mit Gitarrist Dave Navarro ist ein Mann hinzugestoßen, der aufgrund persönlicher Schicksalsschläge auch nicht gerade für bedingungslosen Frohsinn und positive thinking steht. Aber mit ihm ist die Band zweifellos stärker geworden. Sein Gitarrensound ist präziser, scharfkantiger, metallischer. Er ist kein typischer funky Gitarrist, „“sein Sound ist orchestraler“, so Produzent Rick Rubin. Mehr Effekte, weniger Anarchie. Darüber hinaus ist Navarro natürlich ein Sexyboy mit Latino-Touch, der Frontmann Anthony Kiedis optisch echte Konkurrenz bei den Frauen macht. Letzterer groovt sich gerade mit kreisendem Haupthaar, hüftlanger Lackhose und fingerlosen Handschuhen durch den Ohrwurm ‚Aeroplane‘. Flea steuert mit daumengeknüppeltem Bass ein fettes Fundament bei, während Drummer Chad Smith mit unglaublicher Energie und gleichzeitig präzisem Timing sein Schlagzeug bearbeitet. Er ist es, der die Band moralisch zusammenhält, wenn die drei anderen mal gerade wieder ihre psychischen Labilitäten spazierenführen.
Doch heute abend gibt es keine seelischen Durchhänger, sondern Vollgas pur. ‚Stone Cold Bush‘ wird gnadenlos heruntergefetzt, danach das feiste Riff von ‚Blood Sugar Sex Magic‘. Doch dann immer wieder ‚Balla-Moan‘. Jeder im Saal spürt, daß hier eine von ihrer Musik und ihren Songs manisch Besesseden wie ‚Tearjerker‘ und ‚My Friends‘, dazu längere Zwischenansagen, kein Zweifel: die Red Hot Chili Peppers sind reifer geworden, ernster. Dem Publikum gefällt der abwechslungsreiche Set, die Tempowechsel, die Breaks zwischen lyrischem Schwebestoff und brachialem Breitwand-Funk. Wer allerdings auf die Uralt-Sockennummer der scharfen Schoten hoffte, sieht sich enttäuscht. Nach zwei Stunden verabschieden sich die vier, wie sie begonnen haben – mit nackten Oberkörpern. Kiedis brüllt noch ein „„Motherfuckin‘ thankya“ ins Publikum und das war’s. Nächtes Jahr kommen sie wieder: Get your chili kicks in nineteen-ninety-six!