Reeperbahn Festival – Hamburg, Reeperbahn
In Hamburg, da geht - Sie ahnten es schon - einiges.
Wer mag, rechne eine Quersumme daraus: Ein Reeperbahnfestival, 200 Bands. 20 Bühnen, 3 Nächte, 9.000 verkaufte Tickets. Interessanter aber wäre: Warum beginnt so ein Festival am Donnerstag? Noch dazu mit der höchsten Dichte interessanter Bands. Seachange, Nouvelle Vague, The Rapture und Radio 4. Und Deichkind! Deren monotoner Electro-Clash löst zwar bei sensiblen Gemütern Migräneschübe aus. eine unterhaltsamere Band findet man hierzulande aber kaum. Ein Schild warnt noch: „Das Konzert ist für Personen mit Daunenallergie nicht zu empfehlen „, Minuten später ist man schon Teil der wüstesten Materialschlacht seit dem Beastie-Boys-Videozu „Fight For Your Right (To Party)“. Die Band, in Cellophananzügen und mit Pyramiden behütet, malträtiert Pogo-Stick, Hüpfburg (!), Kissen, Regenschirme und sich selbst.
„Impulsive Menschen kennen keine Grenzen /Schmeiß die Möbel aus dem Fenster/ Wir brauchen Platz zum Dancen“, skandieren sie, peitschen die Menge auf, die mit irren Lauten antwortet. Wir haben Angst und flüchten, als sich einer gerade im Schlauchboot über die Köpfe der johlenden Menge tragen lässt. Holla! Das Gleiche – also Holla! – gilt auch für Super 700, deren Indie-Pop live weit zwingender klingt als auf Platte. Die drei charismatischen Sanges-Schwestern und ihre Band punkten – nicht nur bei den beiden hypnotisiert vor der Bühne tanzenden Typen. Plus: The Rapture räumen ab, Blumfeld spielen vor nur 200 Gästen [!?] und Sample-Madman Matthew Herbert tritt verspätet auf. Im Bademantel.
Tocotronic beweisen am nächsten Tag einmal mehr ihre herrliche Unberechenbarkeit und reüssieren als hemdsärmelige Rockband. Alte Reißer wie „Freiburg“ und „Drüben auf dem Hügel“ und neue Hymnen wie „Pure Vernunft darf niemals siegen und“.Aber hier leben, nein danke“ sorgen im ausverkauften Haus für glückliche Gesichter. Viel Applaus erntet auch „Verschwör Dich gegen Dich“ vom kommenden Album. „Das erscheint dann so 2009“, witzelt Dirk von Lowtzow, bevor er sich – ganz verkopfter Indie-Nerd – zum Crowdsurfen in die Menge wirft. Ähnlich ausgelassen geht es bei Hip-Hop-Schlaukopf Dendemann zu. Blumentopf hätten zwar etwas mehr „geflasht“, erzählen uns wissende Baseballkappen, doch „Dende“ wird’s verkraften – verriet er einem Lokalsender doch zuvor sein Lebensziel: „das völlige Nicht-Erfolgreich-Sein“. Plus: The Rifles reden gern mit ihren Fans, Chikinki sind zu klein für den großen Saal und Bomb Texas lauter als ein Düsenjet. Am letzten Tag versteckt sich die arg dünn gewordene Soffy O, hinter ihrem blonden Haarvorhang und gibt die knochentrockenen Songs ihres Solo-Debüts sowie das herzlichste Lächeln des Festivals zum Besten. Plus: Wir dürfen danach endlich den Schlaf von drei Nächten nachholen.