„Regen stärkt den Charakter!“


Das größte Rockfestival Europas ist für Künstler wie Publikum ein unvergeßliches Erlebnis.

„Wer Glastonbury nicht im Matsch erlebt hat, hat Glastonbury gar nicht erlebt“, sagt der Veranstalter und Ex-Hippie Michael Eavis gerne. Seit 1971, als zum ersten Mal die Hauptbühne in Form einer Pyramide aufgebaut wurde, um „gute Energie“zu erzeugen, hat es tatsächlich kaum ein Festival-Wochenende in Glastonbury gegeben, an dem nicht der Regen den Boden in Matsch verwandelt hätte. Die Verwüstungen aber, die der sechsstündige Gewitter-Platzregen dieses Jahr in der Nacht auf Freitag angerichtet hat, waren bisher einzigartig. Hunderte von Zelten mußten geräumt und zurückgelassen werden, nachdem sie bis zum Giebel von einer Brühe unter Wasser gesetzt worden waren, die teils aus den überlasteten Bächen der Region, teils aber auch aus den Bäuchen der umhertreibenden Dixi-Klos gespeist wurde. Da auch ein Blitzeinschlag an der Pyramid-Stage für Stromausfall gesorgt hatte, verbreitete sich Freitag morgen in Windeseile das Gerücht, daß Glastonbury 2005 abgesagt werden müsse. Mittags dann sprach Eavis ein Machtwort: „Sonne macht träge. Regen stärkt den Charakter“, verkündete er fröhlich und eröffnete nur mit einer Stunde Verspätung offiziell das Festival.

Bei 250 Bands, die an drei Tagen auf zwölf Bühnen spielen, ist Glastonbury eine Übung im Verzicht. Wer sich Samstag nachmittag für die Kaiser Chiefs und den 20minütigen Fußmarsch zur Hauptbühne entschied, sah ein energetisches Set, zu dessen Höhepunkt ein riesiger grüner Aufblas-Dinosaurier aus dem Publikum auf die Bühne geholt wurde und für einige Songs mit halb erschlafftem, nickenden Kopf zwischen den Musikern stand – verpaßte aber auch Athlete und Art Brut. Wer sich im Anschluß seinen Weg durch den Schlamm zu den Futureheads bahnte, wurde mit einem druckvollen Auftritt belohnt, der allerdings nicht bis zum Ende genossen werden konnte, wollte man noch The Coral sehen. Erst spät am Abend fiel die Entscheidung leicht, konnte man doch guten Gewissens Razorlight und The Go! Team die kalte Schulter zeigen, um Coldplay zu erleben, die ein triumphales Konzert vor einer derart beeindruckenden Menschenmenge spielten, daß selbst Chris Martin Tränen der Rührung in den Augen hatte. „If you ever feel neglected, if you think your tent is lost“, sang er am Anfang von „Everything’s Not Lost“, und die obdachlosen Festival-Besucher dankten es ihm lautstark. „Ihr habt auch alle bezahlt, um Kylie zu sehen“, sagte er um kurz nach Mitternacht und stimmte ein heiteres „I Can’t Get You Out Of My Head“ an, um der an Brustkrebs erkrankten und deshalb verhinderten Kylie auf diesem Weg gute Besserung zu wünschen. Auch der Rest des Sonntags stand im Zeichen von sonderbaren Coverversionen: Tori Arnos – die auf dem mythischen Boden von Glastonbury, in dem König Artus nach seiner langen Suche nach dem Heiligen Gral begraben sein soll, sichtlich in ihrem Element war-spielte Simon & Garfunkeis „59th Street Bridge Song“, Brian Wilson coverte mit seiner Band seine eigenen Songs aus den 60ern, und als die Sonne unterging, stimmte Rufus Wainwright höchst feierlich zum Gedenken an Jeff Buckley dessen Version von Leonard Cohens „Hallelujah“ an. Für diesen erhabenen Moment herzlich bedanken möchte Sich: Christoph Lindemann

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