REGGAE
Wer kann sich dem Reggae schon entziehen? Wer spielt heute nicht Reggae oder versucht es zumindest? Reggae rules.
Beginnen wir mit einer Wiederveröffentlichung: Die EMI wirft die bereits 1977 auf D.E.B. Music erschienene LP „Wolf And Leopards“ (EMI 1c 064-62 S12) von Jungrasta Dennis Brown auf den europäischen Markt. Sie enthält zehn rockers, acht von Dennies ‚imself, darunter der starke Song „Emanuel“ und „Party Time“ von den Heptones. Eine rundum recht schöne Platte, die man aber nicht unbedingt haben muß.
Ziemlich überflüssig finde ich den Sampler „Härder Than The Rest“ (Island 200 827-320) von Burning Spear, der fast nur die bekanntesten Titel der letzten fünf Studio-LPs enthält, die zum großen Teil schon auf „Live“ zu hören waren: „Slavery Days“, „Man In The Hills“, „Throw Down Your Arms“ usw. Wer Winston Rodney alias Burning Spear näher kennenlernen will, kann genausogut mit „Man In The Hills“ oder „Dry & Heavy“ anfangen. Fehlt nur noch, daß demnächst „The Very Best Of Bob Marley“ erscheint.
Dillinger (Lester Bullocks), der gerade in Deutschland auf Tour war, hat sich in letzter Zeit zu einem der erfolgreichsten DJ’s entwickelt. Nicht sehr interessant finde ich seine vorletzte LP „Funky Punk-Rock To The Music“ (Bellaphon BBS 2578), die im Rub-A-Dub-Style aufgenommen ist, aber wenig Dub, dafür umsomehr Disco-Anleihen und Synthesizer-Generve bietet. Nicht nur, daß „Cocaine In My Brain“ in Zweitauflage dabei ist (war schon auf „C.B.200“); das gleiche Band übertoastet er noch mal als „Soul Food“. „L.S.D“, „I Got That Supercock“ — das Ganze wohl höchst ironisch gemeint. Trotzdem, l&l a bored. Wesentlich besser ist „Cornbread“ (Bellaphpn BBS 2598), Dillingers Neueste, im herkömmlichen Vocal-wise Toast-Stil aufgenommen. Er schwankt zwischen Botschaft — „Children go to school and learn up de rule“ — und Lobpreisungen des Herrn: „Tank yu Jah for de bird dat sing, tank yu Jah Jah for everyting“. Dillinger ist in Hochform, die Rockers-Rhythmen sind packend, Dub kommt auch nicht zu kurz: Top ranking. Ein ehemals mittelmäßiger DJ auf dem Weg nach oben.
Schon lange ganz oben ist Ewart Beckford=U-Roy. Mit „With Words Of Wisdom“ (Ariola 800 253) veröffentlicht Virgin jetzt sein zweites Album, das auf Jamaica bereits 1971 erschien. Höllisch! Ska und Rock Steady sind noch klar zu erkennen, die Bässe brummein, die Gitarren treiben im off-beat voran, und darüber die überdrehte Stimme von U-Roy, hallverzerrt, witzig; dazwischen undefinierbare Kreisch- und Stöhn-Laute. ,,This Station nile the nation – with version!“
Nicht ganz so poppig wie ,,Cumbolo“ und insgesamt etwas besser ist „International Herb“ (Virgin 200 974), die sechste LP des Vocal-Trios Culture. Dennoch muß man wieder ein bißchen enttäuscht sein, gemessen an früheren Platten. Es sind natürlich wieder schöne Roots-Stücke dabei — „Jah Rastafari“, „Rally Round Jahoviahs Throne“ ,,The Shepherd“ — aber die ganze Platte bringt’s doch nicht so ganz. Die Revolutionäres haben eigentlich einen guten Tag erwischt, und Lead-Sänger Joseph Hill fasziniert ein weiteres Mal, aber irgendwie ist Culture in einem (hoffentlich nur zwischenzeitlichen) Tief. Bestimmt nicht ganz schuldlos ist Produzentin Sonia Pottinger; ein Wechsel wäre angesagt. Vielleicht habt ihr ja Glück und findet irgendwo Culture’s Zweite, „Baldhead Bridge“ (Joe Gibbs, JA-Import). Eine wirklich tolle Roots-Platte, produziert von Joe Gibbs, eingespielt zusammen mit den Professionals. Und wenn ihr dann „So Long Babylon A Fool I“ gehört habt, werdet ihr verstehen, daß Joseph Hill einer der besten Reggae-Sänger und -Songschreiber ist.
Sehr gut gefällt mir das Island-Debüt des Vocal-Quartetts (ungewöhnlich!) The Wailing Souls, „Wild Suspense“ (Island 200 886.320). Begleitet von der Session-Creme Jamaicas, kommt bei ihren Roots-Kompositionen mit leichtem Rock-Einschlag eine ganze Menge von der Mystik und der pulsierenden Rhythmik des Reggae rüber. Die „Klagenden Seelen“ um Lead-Sänger Winston Matthews machen ihrem Namen alle Ehre, und „Rom Fisherman“ ist ein unerhört schönes Stück.
Eine lebende Legende ist Jamaicas Oberschlitzohr Lee Perry. „Scratch On The Wire“ (Island) 200 881-320) ist eine Zusammenstellung von Meisterwerken aus dem Black Ark Studio. Augustus Pablo bläst seine Melodica, Jah Lion ist dabei mit einer Version von „Police And Thieves“, George Faith mit einer irren Variante von Paul Ankas ,,Diana“, das Trio Meditations, Max Romeo und Errol Walker, und alles ist unterlegt mit Lee’s Soundhexereien. Drei Titel singt er sogar selbst, Lee Perry dread at the controls. ms