Reggae Sunsplash


Ein bekiffter Rastaman ist heute m Jamaica etwa so attraktiv wie hierzulande eine grüne Bundestagsabgeordnete in Birkenstock-Sandalen. Aus dem stolzen Löwen auf gelb-grün-rotem Fahnentuch ist eine fette Hauskatze geworden. Dreadlocks sind nur noch als modisches Attribut tragbar, und der Reggae, wie er von Bob Marley in die Welt getragen wurde, ist verkommen zur oldiemäßigen Cassettenrecorder-Berieselung an den ewig schönen Stränden zwischen Ocho Rios und Negril.

Wer was auf sich halt, ist Dee-Jay. Eine große Klappe, ein paar wuchtige Baßläufe und knüppeldicke Drumtracks – fertig ist der Instant-Hit. Es interessiert die Wortführer einen Dreck, daß diese „Songs“ vielleicht morgen schon wieder vergessen sind. Die Dee Jays sind schnell, frech, laut und bedienen sich einer Sprache, die jedem anständigerzogenen Jamaicaner die Schamesröte ins Gesicht treibt (doch, das geht!). „Dance Hall“ kommt von der Straße und ist damit Realität.

Das „Reggae Sunsplash“ im zwölften Jahr seines Bestehens wird zum endgültigen Triumph für den „Dance Hall Style“. Rasta-Bands wie Steelpulse, die in den letzten Jahren anscheinend gut geschlafen haben, ernten zur besten Spielzeit (Sonnenaufgang Finaltag) mild plätschernden Applaus. Den Magic Revealers, die ihr “ We Are The Young Revolutionairies“ skandieren, geht es nicht anders. Und Ziggy Marley, Sohn des großen Bob, hat mit seinen Melody Makers große Mühe, ein bißchen Anerkennung zu ergattern, was aber weniger an den Dreads oder den „Heim-nach-Afrika“-Inhalten als an seiner schrecklich unsicheren Performance liegt. Und dann noch Papas „Buffalo Soldier“ und „Lively Up Yourself“ ins Programm zu nehmen, ist reichlich waghalsig und läßt Mutter Ritas Einfluß vermuten, die mit ihrem oft plumpen Vermarktungsgebaren schon viele Nerven strapaziert hat.

Lichtblicke sind rar: „Tomorrow People“ und „One Bright Day“. letzteres aus dem gleichnamigen neuen Album, skizzieren zumindest den Weg in die Eigenständigkeit. Bis der zweifellos talentierte Ziggy aber die Schatten seiner Eltern endgültig abgeschüttelt hat, wird wohl noch einige Zeit ins Land ziehen. Das „Sunsplash“-Publikum. gut 20.000 jede Nacht, ist gnadenlos. Was nicht zur Unterhaltung reicht, wird nicht beklatscht. Wenn Dreads gefeiert werden, dann solche, die nichts mit Politik am Hut haben. Gregory Isaacs zum Beispiel oder Dennis Brown. die beide in der „Singer’s Night“ freitags früh für einige der bewegendsten Momente des Festivals sorgen. Die Hölle ist los, als Dennis Brown Easy Listening-Songs ä la“The Way We Were“(B. Streisand) oder „You’ve Lost That Lovin Feeling“ (Walker Brothers) bringt. Die „Dance Hall Night“ aber wurde zum Höhepunkt auf der kleinen Landzunge, die großspurig „Bob Marley Performing Center“ getauft wurde. 22 Lokal-Matadore heizen zehn Stunden lang ein. und da kein Dee-Jay mit seiner eigenen Band auftritt, sondern lediglich drei ausgefuchste Studio-Formationen den ganzen Abend Basisarbeit leisten, kommt es nur zu minimalen Umbaupausen – ein großer Vorteil für die Dynamik des Abends.

Da ist zum Beispiel der quirlige Admiral Tibet, der „dirty word‘-Spezialist Shabba Ranks, der extrem aggressive

Ninja Man, der intellektuelle aber witzig-spritzige Tiger, der Ex-Lehrer und Reserve-Lieutenant Stitchie. Maschinengewehr-Schnauze Papa San, auch im Duett mit der zuckersüßen Lady G. („Equal Rights“). Shelley Thunders und Sister Charmaine von der Damen-Fraktion, der verschrobene Pinchers, der mächtige Admiral Baily – es ist schon eine selten gute Bande.

Schnell hat das auch die Musik-Industrie begriffen. Lt. Stitchie sahnte einen anständigen Deal bei Atlantic ab, und der New Yorker HipHop-Jamaicaner Shinehead, der die letzte Nacht mit einem Glanzlicht versah, kassierte gar einen sechsstelligen Dollar-Betrag von Elektra. Rap Jamaican-Style“ ist für viele das nächste große Ding. Die notwendige Kraft, Vitalität und Glaubwürdigkeit hat diese Musik.