Reggae Sunsplash
40 Acts in vier endlosen Nachten: Zum 5. Mal ging in Jamaica der "Splash" über die Bühne..
Jamaica, August ’82. Beinahe zwei Jahre sind seit dem Erdrutsch-Sieg für Premierminister Seagas JLP vergangen. Seitdem ist es ruhiger geworden, Yeahman, ruhiger, man wird immer daran erinnert cool runnings, kapiert? Aber die Ruhe ist trügerisch – und „Smile Jamaica“, das allgegenwärtige Credo, ist ein reichlich gezwungenes La cheln … Jamaica, August ’82: unerträglicher Wassermangel in Kingston, tagelang sind alle Leitungen tot, Telefon fällt aus, Elektrizitätsnetz überlastet, Polio-Epedemie, Koks ist auf der Insel, wird von jedem Dealer auf der Straße angeboten, meist kriminell getrecktes Zeug. Die Villen der Mafia klettern immer höher in die Hügel rund um die Montego Bay … oh man, what a shituation … Jah Waltons Up-To-Date-Toast plärrt aus allen Boxen „…l&I don r sniHcoke& eat no pork, but don’t take this polio thing lor a joke…“, und in den Blue Mountains ist wieder mal ein mit Ganja überladenes Sportflugzeug zerschellt… August ’82, zum fünften Mal Reggae-Sunsplash, Rekord-Besuch und endlich auch mal Rendite für die angeschlagene Hotellerie in und um Mo-Bay. Vier durchtanzte Nächte, mehr als 40 Acts, eine für hiesige Verhältnisse vorbildliche Organisation – und vor allem der Wunsch der Veranstalter, der Schnellebigkeit und Neuigkeiten-Sucht von Reggae und Reggaematics gerecht zu werden. Also nicht die ganz großen Namen, wenn man mal vom ersten Abend absieht, den wir allerdings verpaßt haben. Carl Gayle, Patois-Journalist und Herausgeber von JA’s besten Reggaezine „Jah Uglyman“ sprach später von einem Veteranen-Treffen (Ex-Heptone Leroy Sibbles, Ex-Unique Roy Shirley, Ex-Paragon John Holt, Toots, Spear und Byron Lee’s unsäglicher Swimming-Pool-Calypso) und einem wahren Mash -Up:Biq Youth, dem zwar außer seinen rot-grün-goldenen Vorderzähnen in den letzten Jahren nicht mer allzuviel eingefallen ist, dessen locks-flashing-styleeber live unerreicht bleibt. Für uns begann der „Splash“ gleich mit einem echten Knaller und das, bevor ich überhaupt einen Platz ergattern konnte und Bernie seine erste Dosis Sensemiila intus hatte: mit Ripton Hylton, besser bekannt als Eek-A-Mouse. Eek-A-Mouse ist ein schlanker, schlaksiger Zwei-Meter-Hüne, seinen Namen verdankt er seiner Wettleidenschaft (als er beim Pferderennen monatelang auf einen Klepper des selben Namens setzte und ewig verlor. Erst nachdem er endlich die Nase voll hatte, eilte eben dieser Eek-A-Mouse von Sieg zu Sieg), er schreibt die denkbar unbequemsten und provokativsten Reality-Lyrics und verwendet die zungenbrecherischsten Idiome jenseits von Michael Rose….. beng, beng, bi, bi, bing, bing, beng, early one morning a Ilash wake mi out a mi sleep / three men and a woman and also a pickeny dem lay down in a de street …“ Sein nasal geleierter Gesangsstil ist absolut unnachahmlich, Concrete Jungle-Rap (sein Revier), er hat ihn angeblich sechs Jahre lang zu Hause eingeübt. Eek-A-Mouse – ein sagenhaft guter Stylist, ein Stepping razor, mindestens genauso zielsicher auf Konfrontationskurs wie Peter Tosh und dabei nicht halb so kontrovers. Danach hatte der sympathische Johnny Osbourne einen schweren Stand, seine introvertierten lovers gingen am Gros des Publikums glatt vorbei. Sie waren einfach zu lange offthe street – und wenn Albert Griffith, ein glühender Marley-Verehrer ist, okay … aber 50 % Wailers-Recycling, Marley-Referenzen, Reminiszenzen und dazu eigene Songs, von denen selbst der Neueste schon ein halbes Jahrzehnt alt war … Papa Ritchies DJ-ing war anschließend ganz witzig, aber kaum sonderlich originell – und auch Israel Vibration, drei Twelve Tribe-Brothers, alle seit ihrem dritten Lebensjahr gelähmt (1952 gab es in JA bereits eine verheerende Polio-Epedemie) hatten Mühe, die vibes rüberzubringen, die ihr 79er AJbum THE SAME SONG zu einem so göttlichen Debüt machten. Der nächste Mash-Up: Chalice, sieben Baldheads, die man letztes Jahr noch als Kreuzung aus Third World und frühen Wailers handelte und die sich heute solche fragwürdigen Vergleiche nicht mehr gefallen lassen sollten. Chalice sind für JA in etwa das, was Prince für Amerika ist: Sie haben einen total neuen Sound, eine hochdramatische, effektvoll choreographierte Show und sind permanent in Bewegung – ich habe sie im Frühjahr ’81 mehrmals gesehen, seitdem haben sie ihre Show-Konzeption nahezu völlig umgekrempelt. Zu Yellowman, der zusammen mit JA’S bester DJ-Lady, Sister Nancy, die Headliner-Rolle übertragen bekam, kann ich euch leider kein First-Hand-Info geben, denn, ahem … um fünf Uhr morgens rächten sich die 12 Stunden Flug ohne Schlaf. Nur soviel: Yellowman, eigentlich Winston Foster, ist Albino, Resident-DJ bei Kingstons In-Sound System „Aces“ und der regiert Jamaica gegenwärtig wie kein Zweiter, hat vier rüde Siac^ness-Singles in den Top 20 und zieht mehr Leute als der renommierteste Reggae-Ambassador! Seit Anfang des Jahres gibt es ohnehin ein DYUprising, das ähnliche Wellen schlägt wie in den frühen 70ern, (als man Toaster nicht mehr im Radio spielte, weil sie Charts & Hearts restlos auffüllten), dazu spater mehr… Der dritte Tag begann mit Home T 4, einer ziemlich einfältigen Cabaret / Comedy-Tanzgruppe, für die Emcee Bagga Brown mit Hängen und Würgen sogar noch eine Zugabe rausholte, ehe er endlich den Smash des Abends, ja vielleicht sogar des ganzen Festivals, ankündigte: Judy Mowatt. Wenn Marcia Griffith die „Peaceful Woman“ ist, – und Rita die immer noch kindliche Diva, dann ist Judy die Rasta-Aktivistin, forsch, direkt und demonstrativ. Judy swingt, und sie tut es wahnsinnig grazil (höchstens Gregory Isaacs fände sich in diesem Groove zurecht), sie hat mit One Vibe endlich ihre eigene Backing-Band, außerdem mit den zwei Sisters von Iights Of Love vorzügliche Harmony-Vocals – und ihre Stimme ist so, so … Himmel, Judy Mowatt ist für mich im Augenblick ganz einfach die beste Sängerin weit und breit! Wenn sie so kriminell im Hintergrund bleibt, dann liegt das daran, daß sie halt in allererster Linie (sechsfache!) Mutter ist, daß sie nicht die Mittel hat, ein ganzes PR-Geschwader zu beschäftigen und, und … Alles, was danach kam, konnte sich strenggenommen nur blamieren, aber es kam stundenlang wirklich ganz schlimm: Native haben die seltsame Ambition, Reggae mit … Rock zu verbinden (da ist man zigtausend km Luftlinie von zu Hause entfernt und dann sowas!) Sie verstehen darunter LSD-Gitarren-Neurosen, die ich höchstens in Texas erwartet hätte. Und danach keine Spur von dem angekündigten Dennis Brown, dafür gleich zwei Namensvettern. Der eine, Jonathan Brown, war ein fürchterlich mittelmäßiger Soul-Sänger, der andere, A. J. Brown, ein geeigneter Quacksalber für’s Holiday-Inn-Cabaret. Aber dann endlich der Sunsplash-Starguest, Deniece „Niecy“ Williams, ehemals Backup-Sängerin bei Stevies Wonder-Love, die Soul-Lady, die mit „Gonna Take A Miracle“ und „Waiting On The Hotline“ zwei der rührseligsten Sommer-Balladen verfaßt hat. Auf halsbrecherisch hohen Pfennigabsätzen und in ihr weiß-silbernes Gala-Kostüm gezwängt, stakste sie verschüchtert über die Bühne, bedankte sich ein ums andere Mal für die Einladung zum „Splash“ und sang ganz an Ende ein dermaßen seliges a-capella-prayer, daß es einem wirklich warm ums Herz werden konnte. Das Feedback von Baldheads und Natty Dreads war ohrenbetäubend und für Bernies langes Gesicht finde ich bis heute keine Erklärung. Es war drei Uhr morgens, als Muta J3aruka seine dub-poetry rezitierte. Muta ist Einsiedler, überaus scheu und verschlossen, eine absolut einmalige Erscheinung mit dem schneeweißen Fleck inmitten seiner wüsten locks, einer riesigen Kalebasse um den Hals und grundsätzlich barfuß; viele halten ihn für den Poeten schlechthin, er selbst lehnt diesen Begriff ab, anderen ist er zu.“.na was…? Radikal? Aggressiv? Demagogisch? Muta zu buchen, birgt ein Risiko, sein Stil ist ein offener Affront. Kaum auf der Bühne, erzählt er höhnisch, wie sie ihm Zurückhaltung auferlegen wollen, bloß nicht zu ausfallend, zu drakonisch, zu „… dem say run, don’t walk /shut your mouth, don’t talk / dem say comb your head, nasty dread…“ Muta schafft sich seine völlig eigene Sprache, extrem dramatisiert und plakativ, er benutzt Patois, er benutzt Rasta ohne zu mystifizieren, zu vergeistigen, also als bloßen Selbstschutz, als cuJtcha („ilyou ‚re white, that’s alright /if you ‚re black, you ‚ave go back“) und seine schockierende „blaxploitation-poetry“ löst eine eigenartige Stimmung zwischen Irritation und Betretenheit aus. Augustus Pablo, der nach einer nervtötend langen Umbauphase folgte, war eine riesengroße Enttäuschung, scheint sich seit EAST OF THE RIVER NLLE keinen Millimeter weiter bewegt zu haben – und die (komplett weiße!) Blue Riddim Band aus Kansas City kam mit ihrem eklektischen Ska im Morgengrauen genau zur rechten Zeit und erhielt für meinen Geschmack viel zu viel Beifall. Es war exakt sieben Minuten nach Sieben, als die Mighty Diamonds hochgehypt nach allen Regeln jamaicanischer Stimmungsmache – ihren Set begannen. Sie spielten von „Right Time“ über „Roof Over My Head“ bis zu „Pass The Kouchie“ und der einzigen „Ebony & Ivory“-Version die ich mir je freiwillig bis zu Ende angehört habe, jede Menge Hits, Tabby „Diamond“ bleibt der sinnlichste und selbstquälerischste Märtyrer und Herzensbrecher westlich von Martin Fry – aber sensationell war ihr Auftritt diesmal nicht, na ja, um die Zeit… Der letzte Abend gehörte dann fast allein den DJ’s. Mo Bays Lokalmatador Lee Van Cleef fehlt zwar noch einiges zum “ Originator“, aber Brigadier Jerry ist genau das: Jhe biggest mouth at the block“, er toastet bei Kingstons härtestem Rockers-Sound System „Jahlove“, fährt eine gigantische Honda (oder Kawasaki, ich kenn mich da nicht aus) und beim „Splash“ kreuzt er im maßgeschnittenen 3 Oer-Jahre-Chicago-Zoot auf – August Darnell hätte daneben so modisch wie ein AC/DC-Fan ausgesehen! Danach wieder einer jener unverschämt langen Breaks und dann… ,Stepping Out 01Babylon * – in einem prächtigen, regenbogenfarbenen Sonntagskleid – Marcia Griffith! Man spürt, daß sie sich endlich voll auf ihre Solo-Karriere konzentriert (eine Reunion der I Threes ist mehr als unwahrscheinlich) – sie singt heute auch wieder Balladen und Spirituals, und das mit enormer Ausdruckskraft, Soul und viel Schwermut. Im Anschluß daran Leroy Smart, der zumindest als Tänzer Extraklasse bewies und die Twinkle Brothers, die anscheinend überall auf der Welt populärer sind als eben in JA. Taj Mahals Auftritt fiel unglücklicherweise mit meiner Kaffeepause zusammen – und Steel Pulse erwischten diesmal die denkbarungünstigste Sendezeit – vier Uhr morgens – als nämlich kaum noch wer aufn ahmebereit war. Aber dann… Morgendämmerung, Götterdämmerung, DJ-Jamboree… Lloydie Parks und seine We The People Band übernahmen das Backing für den Showcase und Emcee Tommy Cowan hatte mal wieder Gelegenheit, sich kräftig feiern zu lassen – erst mit einer ganzen Serie dummer Fragen – etwa “ what is the greatestm usicin the world?“, aber immerhin: Cowan präsentierte einen blendend aufgelegten Trinity, der mit seinen ganzen Goldkettchen und Amuletten so aussah, als ob er gerade einen Juwelierladen ausgeräumt hatte, und schließlich auch noch Louis Lepki, vielleicht die Überraschung überhaupt. Lepki stand nicht auf dem Programm, kam direkt aus England und wenn er auch nur halb soviel Sex hat, wie er es uns in seinen slacky toasts wissen ließ, dann ist er wirklich ein sehr, sehr beneidenswerter Mensch. Zu diesem Zeitpunkt gab es wohl keinen mehr, der nicht auf seinem Stuhl tanzte. Als Tommy Cowan um neun Uhr dreißig die Party abbrach angeblich, weil die Security Guards abmarschiert seien und der Sonntagsgottesdienst auf dem Programm stand – da glich der Jarret Park einem Tollhaus. Und Michigan & Smileys „One Love“ bleibt die Hymne für die nächsten 12 Monate: „… ilyou ‚re black, white, yellow or brown / we all rock togetherin a Reggae Jamdown / No more Uptown-Downtown, so social barriers breakdown / together in a one love Jamdown …“