Reif für die Insel: Wir haben einen Cluburlaub mit Bilderbuch verbracht
Zuerst kam die „Maschin“ und dann der SCHICK SCHOCK: Vor zwei Jahren jagten Bilderbuch dem dahinsiechenden Patienten Indie-Rock eine Adrenalinspritze ins Herz – und machten das Popland Österreich great again. Nun wird es Zeit für die schwierige Platte nach dem Erfolgsalbum: MAGIC LIFE, für das wir die Band im Clubhotel-Kurzurlaub auf Fuerteventura besuchten.
Mittlerweile ist die halbe Bilderbuch-Crew im „Plaza“. Al Vasil hat eine gemeine Version von „Sex On Fire“ im Repertoire. Maurice shaked
angetan den Austropopsch. Nach dem Song winkt er den Sänger zu sich herunter. Ob Mike vielleicht auf der Gitarre spielen könnte? Nur einmal, ganz kurz? „He’s really good!“ Leider kennt Al Vasil da gar keinen Spaß. Not possible.
Die Eindrücke des restlichen Abends verschwimmen. Da ist Angie Shahira Pohl mit den brünetten Locken, die mir eine Zigarette anbietet. Angie hat in Paris gelebt. Angie ist von Wien gelangweilt. Angie überlegt, nach Berlin zu ziehen. Seit drei Jahren ist sie die Style-Beraterin von Bilderbuch. Sie hat einen Koffer mit Kleidungsstücken von jungen Designern wie Julian Zigerli oder Hvala Ilija mitgenommen. Morgen wird sie den Koffer beim Videodreh öffnen und unfassbare Outfits hervorzaubern. Da ist Peter, der mir erzählt, dass sein Vater im Gesangsverein singt und erst jetzt langsam begreift, warum Peter sein Leben der Musik, dieser Musik widmet. Da sind die -silbernen Kügelchen, die sich ab und zu aus Pilles Braids lösen und über den Fußboden sausen. Da ist Mike, der behauptet, er hätte einen Schulfreund, der noch viel besser Gitarre spielt. Als Kinder haben die beiden am liebsten Guns N’ Roses gehört, und diesen Juli werden sie Unsummen bezahlen, um Axl, Slash und Duff endlich zusammen auf einer Bühne zu sehen. Und da ist Maurice, der auf ein älteres Pärchen zeigt, das Arm in Arm Richtung Hotelzimmer geht. „Die beiden werden jetzt Fernschauen. Das ist auch Magic Life, verstehst du?“
Wir kugeln unter Palmen herum und lassen uns für Instagram fotografieren. Al Vasil geht vorbei, den Gitarrenkoffer in der Hand. Er sieht kurz herüber. Dann verschwindet er kopfschüttelnd in der Nacht.
Wild Life, nimm deinen Lauf!
Heute werden sie Maurice begraben. Irgendwo in den Dünen soll er verscharrt werden. Die Augen von Antonin Pevny leuchten, als er beim Frühstück davon erzählt. Mit seinem buschigen Schnauzer sieht er aus wie Super Mario. Gestern hat er die Insel nach passenden Locations für den Videodreh abgesucht, als der Regen kam. Beinahe hätte ihn ein Sturzbach mitgerissen.
Antonin hat all die knallbunten Videos inszeniert, ohne die der Erfolg von Bilderbuch nicht möglich gewesen wäre: „Plansch“, „Maschin“, „OM“. Wie schon bei „Bungalow“ teilt er sich auch diesmal die Regie mit der Fotografin Elizaveta Porodina.
Deren Freundin Jasmina Al Zihairi übernimmt die weibliche Hauptrolle. Sie hat schon im „Tatort“ mitgespielt, ein paar Sachen fürs Fernsehen gemacht. Nächstes Jahr muss das Ganze größer werden, sagt sie, und meint ihre Schauspielkarriere. „Heute wirst du neben Maurice vergraben“, informiert sie Elizaveta. „Oh“, sagt Jasmina.
Mike und Maurice flanieren durch epische Frühstückslandschaften. Hier ist das Brot aufgetürmt, dort wird das Obst gestapelt. Die Band ist seit 6.30 Uhr auf den Beinen und sieht topfit aus. „Ich bin so locker drauf“, sagt Pille. „Ich glaube, da ist was in dem Essen drin.“ „Anders hältst du es hier ja gar nicht aus“, meint Peter. Abfahrt. In drei Kleinbussen rücken wir aus. Die Stimmung im Citroën Jumpy ist beschwingt. Vorne gackern Elizaveta und Christoph über Maurice’ Witze. Hinten staunen Pille und Peter mit lautem „Ooooh“ und „Aaaah“ über die Landschaft.
Wir fahren vorbei am südlichen Costa Calma zum Aussichtspunkt Mirador astronómico de Sicasumbre. Dort wird Angie ihren Koffer öffnen. Maurice wird sich in einen langen, weißen Daunenmantel hüllen. Die Boombox am Ohr, wird er zum Beat von Robert Palmers „Addicted To Love“ einen Hügel hinauftänzeln. Und dort oben werden sie dann die ersten Szenen des „Baba“-Videos drehen.
Die Wolkendecke bricht auf. Sonnenstrahlen fallen herab. Im Rückspiegel verschwindet das Magic Life mit all seinen Bequemlichkeiten, und vor uns liegt leeres Land. Da ist nichts. Und alles. Anything goes. Das Abenteuer beginnt da, wo die Komfortzone endet. Ich glaube, das ist es, was mir Maurice sagen wollte.
Die Bilderbuch-Titelgeschichte ist in der April-Ausgabe 2017 des Musikexpress erschienen.