Arcade Fire
Reflektor
Merge/Vertigo/Universal
Das neue Meisterwerk von Arcade Fire wurde von einer riesigen Marketing-Kampagne begleitet. Bei unseren Albencharts des Jahres landete Arcade Fire auf Platz 3. Lest hier die Rezension zum Album:
In der scheinbar endlosen Marketing-Anflugschneise, die über Monate hinweg auf diversen Kanälen auf den offiziellen Veröffentlichungstermin des vierten Arcade-Fire- Albums hinführte, gab es lediglich zwei größere Momente öffentlicher Erregung. Beide versendeten sich allerdings schnell ohne viel Nachhall. Dass das REFLEKTOR-Logo in Austin, Texas ungefragt auf der Hauswand eines Shops auftauchte, was die Ladenbetreiber nicht erfreute, und dass der Eintritt zur Tournee mit dem unabdingbaren Ersuch nach formaler Abendgarderobe oder Verkleidung des Publikums versehen war, konnte dann doch nicht die allgemeine Begeisterung über ein neues Album von Arcade Fire mindern.
Den Zuschlag für die nicht ganz leichte Aufgabe, den Nachfolger von THE SUBURBS (immerhin „Album of the year“ bei den Grammy Awards 2011) aufzunehmen, erhielt der Produzent und Chef des DFA-Labels James Murphy. Seinen Versuch, die Band aus Montreal einer gründlichen musikalischen Renovierung zu unterziehen, könnte man dieser Platte nicht deutlicher anhören. Genau das hatte man sich schließlich nach drei Arcade-Fire-Alben gefragt: Welche Soundspielerei müsste dieser Band verabreicht werden nach dem zunehmend stromlinienförmigen und direkten Stadionrock der Vorgänger NEON BIBLE und THE SUBURBS? Welche Einflüsse würden Arcade Fire jetzt guttun?
James Murphys Handschrift ist klar erkennbar (in ihrer definierten Kompaktheit, „Joan Of Arc“), gleichzeitig aber vielfältig genug für Arcade Fires Ambitionen (in Form von unberechenbaren Klangeruptionen, „Here Comes The Night Time“). Murphy, der ehemalige Kopf von LCD Soundsystem, ist ein großer Bewunderer David Bowies, der wiederum Arcade Fire schätzt und sich so auf dem siebeneinhalb Minuten langen Titelstück „Reflektor“ für eine kurze Strophe mit Win Butler die Schulter reibt. Das klingt nach einer perfekten Liebeshochzeit auf allen Seiten.
Und schon mehren sich die Stimmen von anerkannten Fachkräften, wonach James Murphy mit seiner Produktion ein echter ACHTUNG BABY-Moment gelungen sei. Irrer Quatsch. REFLEKTOR nur ein paar Wochen nach seiner Veröffentlichung auf diesen Stellenwert hin abzuklopfen, ist natürlich eine verfrühte mediale Fingerübung. Zumal das Doppelalbum nicht ohne Fehler auskommt – man könnte zum Beispiel ohne Frage eine Diskussion über die Länge der Platte und ihre wehleidigen Rockstar-Texte führen. Die genaue Bedeutung von REFLEKTOR im Gesamtwerk der Band wird sich wahrscheinlich mit dem nächsten, vielleicht sogar erst dem übernächsten Album nach und nach herauskristallisieren. Bis dahin reicht es, wenn man Arcade Fire und REFLEKTOR einen Teil von U2s Berlin-Album zugesteht: Achtung.