Aldous Harding
Warm Chris
4AD/Beggars/Indigo (VÖ: 25.3.)
Der so wundervolle wie rätselhafte Folk der Neuseeländerin ist ein Fall für die Psychoanalytikerin.
Es wäre wohl ziemlich daneben, Aldous Harding als eine der interessantesten Sängerinnen der Welt zu bezeichnen. Vielmehr ist die Neuseeländerin mindestens fünf der interessantesten Sängerinnen der Welt. Auf ihrem neuen, vierten Album WARM CHRIS gibt sie im Titelstück die buschwindrösige Folkfrau, die ein Surfgitarrenriff in dunkler Nacht aufbranden lässt – oder die Waldhexe, die aus einer ähnlichen Zwischenwelt wie die Waliserin Cate Le Bon zur Erde gekommen ist, um dort in schaumigem 70er-Softrock zu schwelgen.
AmazonIm Song „Tick Tock“, der auch auf Hardings letztem, ebenfalls hervorragendem dritten Album DESIGNER hätte erscheinen können, ist sie ein verstörend zuckriges Mädchen, das irgendwer versehentlich ins Kinderprogramm gelassen hat. Und ist sie am Ende nicht plötzlich ganz kurz Lou Reed, der klingen will wie Nico, aber sich dann kurz in Kate Bush verwandelt? In allen Rollen spielt Harding Folk, der auf eher klassisches Instrumentarium baut – ihr störrisches E-Piano, gern auch Jazzbläser –, aber immer wieder Richtung und Temperatur ändert.
Das Erstaunliche: Obwohl Hardings Signature Sound seit dem Durchbruchsalbum, dem Gothic-Folk-Meisterwerk PARTY von 2017, graduell heller geworden ist, liegt im Klang und den kryptischen Lyrics noch etwas latent Dämonisches, zugleich Tröstliches. In gewisser Weise sind die Songs auf WARM CHRIS ein Fall für die Psychoanalytikerin: Selbst hinter dem zartesten Gardinchen lauert etwas unerklärlich Unheimliches. Und zwar kein Zombie oder Geist. Eher ein Bär, der mit der Stimme des eigenen Vaters spricht. Sie verstehen schon. Oder verstehen Sie nicht? Auch gut, denn gerade die Uneindeutigkeit, das Nichtgreifbare und Diffuse macht Hardings feingliedrige Musik so mächtig und faszinierend.