Dafür erschuf Gott das Radio
The Beach Boys
Zwölf Wiederveröffentlichungen
Capitol/EMI (Wertungen im Text)
Nach der triumphalen Tour harren eine Reihe neu aufgelegter Alben zwischen schnittigem Surf-Sound und grandiosen Pop-Sinfonien der (Wieder-)Entdeckung.
Im Grunde schien die große kalifornische Saga zu Ende erzählt: die Geschichte dreier Jungs – des schönen Dennis, des gutmütigen Carl und des sensiblen Brian Wilson – aus Hawthorne, Kalifornien, die unter der Knute ihres Vaters Murray litten, sich mit Cousin Mike Love und Kumpel Al Jardine zusammentaten (kleinere Rollen spielten David Marks und Bruce Johnston), um erst die kleine Surf- und später die große Pop-Welt zu erobern. Eine Geschichte, die von Liebe und Hass, Wahnsinn und Tod, Neid und Eifersucht, Intrigen und Kabalen handelt, vor allem aber von großen, unvergänglichen Songs. Eine Geschichte, in der Brian Wilson der Gute war, das tragische Genie, Mike Love hingegen den Schurken verkörperte, derweil die anderen die sympathischen, ein wenig unbedarften, vermeintlich harmlosen Spießgesellen gaben.
Spätestens in den ausgehenden 90er-Jahren, als Mike Love mit einigen Vasallen, aber ohne die Wilsons – Dennis und Carl waren tot, Brian geistig, nun ja, derangiert – unter dem alten Bandnamen durch die Gegend zu tingeln begann, Al Jardine mit seinen Söhnen als Beach Boys Family & Friends unterwegs war und Brian Wilson nach einer weiteren Therapie Konzerte gab und Live-Alben veröffentlichte; spätestens da also glaubte man nicht nur ein Kapitel beendet, sondern das ganze Buch zugeschlagen. Doch dann kamen in diesem Jahr das Album That’s Why God Made The Radio und eine umjubelte Tour, die Nostalgietrip und Triumphzug in einem war. Nur Brian saß zumeist apathisch herum, aber hey: Er war dabei – der große Brian Wilson. Ein Happy End? Zumindest so nah dran, wie’s eben geht.
Und jetzt werden auch noch zwölf Alben aus den Jahren 1963 bis 1971 neu aufgelegt: Die Aufmachung ist eher spartanisch (Papersleeves, ein schnödes Faltblatt statt eines informativen Booklets), der Sound gut (für Sunflower und Surf’s Up wurden die 2009er Remasters verwendet, alle anderen Aufnahmen hat der Produzent/Tontechniker Mark Linett noch einmal überarbeitet), der Verzicht auf Bonustracks zu loben. Die zehn CDs von Surfin‘ USA bis Smiley Smile bieten zudem die Mono- wie auch die Stereo-Version des jeweiligen Albums. Kein Problem, schließlich waren die frühen Beach-Boys-LPs oft kaum 25 Minuten lang.
Doch der Reihe nach: Surfin‘ USA **** wurde binnen fünf Tagen aufgenommen – zum Vergleich: Das Beach-Boys-Debüt Surfin‘ Safari war im Verlauf einer gut zwölfstündigen Session eingespielt worden – und enthielt neben dem famosen Titelstück, einer Umdeutung von Chuck Berrys „Sweet Little Sixteen“, und zwei Songs des Gitarristen Dick Dale, darunter „Misirlou“, diverse schmissige Wilson-Originale. Surfer Girl ****1/2, ebenfalls im Jahr 1963 erschienen, hörte man das Quäntchen mehr Studiozeit durchaus an. Mit dem grandiosen „In My Room“ stahlen sich erstmals melancholische Klänge in die Sommer-Sonne-Strand-Girls-Gaudi. Little Deuce Coupe ***1/2, die dritte Beach-Boys-Veröffentlichung des Jahres ’63, war eine Hommage an die Hot Rods, mit denen man so schön den Pacific Coast Highway entlangdüsen konnte. Die Kehrseite des Geschwindigkeitsrausches thematisierten die Beach Boys in ihrem Remake von Bobby Troups (of-„Route 66“-fame) Requiem „A Young Man Is Gone“. Im Höllentempo ging es weiter: 1964 wurden nicht weniger als vier Beach-Boys-Alben veröffentlicht, von denen Shut Down Volume 2 **** und All Summer Long ***** hier zu Ehren kommen – beide mit den bis dato besten Brian-Wilson-Songs: „Fun, Fun, Fun“, „Don’t Worry Baby“ und „The Warmth Of The Sun“ auf Shut Down sowie „Wendy“, „Little Honda“, „I Get Around“ und der zum Hinknien schöne Titeltrack.
All Summer Long. The Beach Boys Today! ***1/2 war dann eher ein Übergangswerk: Die veränderte Arbeitsteilung – Brian Wilson schrieb nach mehreren Nervenzusammenbrüchen im stillen Kämmerchen Songs, derweil der Rest der Band auf Tour war und später die neuen Tunes im Studio einspielte – klappte noch nicht so recht. Dagegen geriet Summer Days (And Summer Nights!!) *****1/2 zum veritablen Meisterwerk, während Beach Boys‘ Party! *** mit diversen Beatles– und Dylan-Covers, Medleys sowie dem notorischen „Barbara Ann“ exakt das war, was der Titel verhieß – und einen nicht im Mindesten auf das vorbereitete, was alsbald folgen sollte.
Denn was folgte (wer’s genau wissen will: am 16. Mai 1966), war Pet Sounds ******, das auch über 45 Jahre später als Meilenstein der populären Musik gilt und in sämtlichen Listen mit den besten Alben aller Zeiten ganz vorne dabei ist: dank wunderbarer Songs, ausgefuchster Arrangements, Harmoniegesängen von unerhörter Brillanz und der instrumentalen Kompetenz von Sessioncracks wie Leon Russell, Hal Blaine und Jim Gordon. Die Beach Boys selbst durften auf diesem Album nur noch singen, was für nicht wenig Unmut sorgte. Überdies eskalierte der Konflikt zwischen dem künstlerisch hochambitionierten Brian Wilson, der sich in Konkurrenz zu den Beatles sah, und dem strikt kommerziell denkenden Mike Love. Alles, was bald schon an Wahnsinn und Widrigkeiten über die Band hereinbrechen sollte: Hier nahm es seinen Anfang. Auch weil Brian noch mehr wollte: Smile sollte sein Meisterwerk werden, doch verlor er darüber fast den Verstand. Smiley Smile ****, 1967 erschienen, war zwar keine Resteverwertung, aber auch kein Geniestreich. Und doch: „Heroes And Villains“, „Wind Chimes“ und „Good Vibrations“ zeigten, was hätte sein können. Was danach kam, war mediokres Zeug, ehe Sunflower **** 1970 eine Wende zum Besseren andeutete: ein solides, erwachsenes Album mit einigen tollen Songs, indes bar jeglicher Hits. Das im Jahr darauf veröffentlichte Surf’s Up ****1/2 war noch einen Tick besser, obwohl Brian Wilson nur bei vier der zehn Songs seine Hände im Spiel hatte und der – neben dem Titeltrack – beste Song von Mike Love und Al Jardine stammte: „Don’t Go Near The Water“. Die Zeiten hatten sich geändert.
Aktiv von 1962-1998, 2012
Besetzung Brian Wilson, Carl Wilson, Dennis Wilson, Mike Love, Al Jardine, Bruce Johnston, David Marks
Genres Surf-Rock, Rock’n’Roll, Pop
Beeinflusst von Chuck Berry, The Four Freshmen, Dick Dale, The Ventures, The Beatles
Beeinflussten The Beatles, Big Star, The High Llamas, Fleet Foxes, The Shins, Saint Etienne, The Pearlfishers, Belle And Sebastian, Flaming Lips (kleine Auswahl)
Mehr News und Stories