Dominik Schütte
Was würde der Boss tun?
Piper VÖ: 21. Februar 2011
Dozent Springsteen als Berater in allen Lebenslagen
Tom König, der Held dieses Romans, ein Mann Anfang 30, hat es mit den ganz großen Gefühlen zu tun. Um Freundschaft geht es, um seinen toten Vater und um Ersatzfiguren, um Bruderliebe und Muttersorgen, um die eigene Würde im Job und vor allem darum, ob Tom Anna heiraten soll. Weil aber jeder Frauenzeitschriftenleser und Vorabendseriengucker weiß, dass Männer nicht über ihre Gefühle sprechen können, kann nur noch einer helfen: der Boss. Denn, natürlich: Bruce Springsteen trägt sein Herz am rechten Fleck – und darüber hinaus ist ihm in seinen Songtexten kein (Männer-)Gefühl fremd, und er singt die Wahrheiten und Weisheiten entsprechend inbrünstig heraus. Tom und sein bester Freund Ben haben sich das zunutze gemacht und eine Kartei angelegt „mit universellen Anweisungen für jede Lebenslage“ des Bosses. Da steht dann zum Beispiel: „Wenn jemand nicht mehr mit dir redet, dann schreib ihm ein Lied. (,Bobby Jean‘)“. Oder: „Wenn einen alles ankotzt: einfach abhauen. (,Born To Run‘, ,Atlantic City‘, ,Badlands‘, ,Thunder Road‘, etc.)“. Dummerweise stellt sich aber heraus, dass sich Springsteen ausgerechnet in Heiratsfragen eher ambivalent geäußert hat. Also beschließt Tom, dass er nach New Jersey reisen muss, um den Sänger selbst zu befragen. Man sieht schon am Plot: Das hier ist Unterhaltungsliteratur und mehr will es nicht sein. Dominik Schütte, im Hauptberuf stellvertretender Chefredakteur des Männermagazins „GQ“, hat keinen besonders präsenten Schreibstil; viele Dialoge, ein Ich-Erzähler, der sich nicht schlauer macht, als er ist, und natürlich ein paar herzerwärmende Schwärmereien über Bruce Springsteen. Reizend, wie Schütte auch die Neo-Springsteenianer-Bands The Hold Steady (Tom war bei einem Konzert) und The Gaslight Anthem (Tom bekommt ein Demotape – „hat vor dir wahrscheinlich noch niemand außerhalb von New Jersey gehört“) einbaut. Ganz nett also alles, aber nicht weltbewegend. Und doch: Das Buch funktioniert; gerade weil die Handlungen auf so ein unvermeidliches Finale zusteuern, in dem alles auf einmal kommt, nur noch wenige Worte gemacht werden, aber dafür große Gesten. Weil es dann traurig und sentimental und kämpferisch und romantisch und auch ein bisschen heldenhaft wird. Wie so ein Springsteen-Song natürlich, den man mit der Faust in der Luft und einem Kloß im Hals mitsingt. Soll keiner sagen, Männer wären für Kitsch nicht empfänglich.