DVD
Ersatzbefriedigung
Mumford & Sons - The Road To Red Rocks
Island/Universal
Britische Gentlemen folkrocken die USA.
Menschen, die sich glücklich in die Arme fallen, verzückte Pärchen, die ineinander verschlungen miteinander tanzen. Mumford & Sons haben an diesem Abend offensichtlich alles richtig gemacht. Die knapp 10 000 Fans, die das Londoner Quartett nach seinem Auftritt im Red Rock Amphitheater in der Nähe von Denver zurücklässt, sind glücklich und zufrieden, wie man im Abspann des Live-Mitschnitts begutachten kann. Was davor geschah: Im Sommer 2012 reisten Mumford & Sons durch die USA, gaben zum Tournee-Abschluss am 29. August ein Konzert im spektakulären Red Rock Amphitheater. Eine Kulisse, dominiert von riesigen Sandsteinfelsen, die für den bodenständigen Bluegrass-Folk der Briten wie gemacht wirkt. Markus Mumford und seine Mannen haben sich auch optisch den Landessitten angepasst, tragen Hemd und Weste, zupfen Banjo und Mandoline. Wobei man dank zahlreicher Nahaufnahmen die Fingerfertigkeiten der vier Multiinstrumentalisten bestaunen darf. Für die erwartbaren Blicke hinter die Kulissen wurden zwischen die Live-Aufnahmen – zu hören gibt es jeweils sechs Songs von ihrem 2009 erschienenen Debüt SIGH NO MORE und dem Nachfolger BABEL – Backstage-Bilder, Radio-Interviews und auffällig viele Landschaftsaufnahmen im Retro-Stil geschnitten. Leuchttürme und lange, einsame Straßen sollen offenbar das im DVD-Titel suggerierte Roadmovie darstellen, die Unterbrechungen sind allerdings eher störend, behindern den Flow. Dennoch: Der knapp 90-minütige Konzertmitschnitt, der ganz ohne Bonusmaterial auskommt, ist ein brauchbarer Ersatz für alle, die kein Ticket für die zuletzt zuverlässig ausverkauften Shows ergattern konnten. Die DVD ist sowohl einzeln als auch zusammen mit der Deluxe-Edition des zweiten Albums erhältlich.
****1/2 Renzo Wellinger
Coldplay – Live 2012
EMI
Im Zenit: Coldplay auf der „Mylo Xyloto World Tour“
Kaum zu glauben: Hiermit bringen Coldplay den ersten Film-Konzertmitschnitt seit neun Jahren heraus. Im Mittelpunkt der von Paul Dugdale inszenierten Doku, in der „Limited Edition“ ergänzt um eine CD, stehen Konzerte der „Mylo Xyloto World Tour“ von 2011/12. Als Fixpunkt dient die Show vor rund 75 000 Zuschauern im Stade de France in Paris, dazu gibt’s Abstecher nach Montreal, Madrid, Los Angeles und zum Glastonbury-Festival. Beeindruckend, wie Coldplay ihre Konzertbesucher instrumentalisieren: mit funkgesteuerten, blinkenden Armbändern, als seien sie extraterrestrische Lebewesen. Generell spielt das visuelle Konzept eine fast ebenso große Rolle wie die Musik: eine im Halbrund gestaltete Straßenkulisse im UV-Licht, die sich auf Instrumenten, Verstärkern und Bandoutfit fortsetzt. Dazu erklingt ein Querschnitt aus den fünf Alben, Gassenhauer wie „Clocks“ und „Viva La Vida“ inklusive. Hymnisches, Pathetisches und Pyromanisches, inszeniert mit Lasertechnik und Konfettikanone. Das klingt mitunter wie ein fernes Echo von U2.
**** Mike Köhler
Tarantino XX
Studiocanal
Genie des Abgründigen: 9-Disc-Komplett-Box zum 20. Jubiläum.
Manche Zeitgenossen unterstellen Tarantino Zynismus, doch Meilensteine wie „Pulp Fiction“ (1994) oder „Kill Bill“ (2003/2004) nach moralischen Gesichtspunkten zu bewerten, ergibt wenig Sinn. Ganz zu schweigen vom überdrehten Nazi-Widerstands-Epos „Inglorious Basterds“ von 2009. Dass der 49-Jährige einen eigenartigen Geschmack und einen noch merkwürdigeren Humor besitzt, lässt sich nicht abstreiten. Doch prinzipiell manifestiert sich in ihm eben auch das Archaische, Bestialische, Chaotische und Durchgedrehte des „American Way Of Life“. Zum 20. Jubiläum wird Tarantino, der 1992 mit der Gangsterstudie „Reservoir Dogs“ debütierte, mit einer Retrospektive auf DVD und Blu-ray geehrt. In formschöner Box versammeln sich sämtliche Werke inklusive der Blaxploitation-Parodie „Jackie Brown“ (1999), „Death Proof“ (2007) sowie „True Romance“ (1993, nur Drehbuch). Auf der Bonus-Disc findet sich die Doku „Quentin Tarantino: 20 Years Of Filmmaking“ sowie ein Frage- und Antwort-Special zu „Jackie Brown“.
****** Mike Köhler
Amy Winehouse – At The BBC
Island/Universal
Posthume Ausgrabungen: Amys Aufnahmen für die BBC.
Nachdem sich die Nachricht ihres Todes am 23. Juli 2011 blitzschnell verbreitet hatte, folgte die übliche Leichenfledderei, die mit der CD Lioness: Hidden Treasures startete und in der Biografie von Vater Mitch Winehouse ihre Fortsetzung fand. „At The BBC“ ist jedoch aus anderem Holz geschnitzt, kompiliert auf drei DVDs und einer CD wahre Sternstunden aus Amys Repertoire. Jools Holland, Musiker und Moderator der Musikshow „Later“, füllte Disc 1 mit Beiträgen aus den Jahren 2003 bis 2007: Zwischen sensationellen TV-Auftritten tummeln sich auch mehrere Clips von der Verleihung des Mercury Prize. Dazu gesellen sich ein Konzertjuwel von 2007, eingespielt mit großer Bandbesetzung in Londons Porchester Hall, sowie der mit Interviews aufgelockerte Mitschnitt „The Day She Came To Dingle“ aus dem irischen Fernsehen. Die CD enthält Ausschnitte diverser Festival- und Hallen-Shows der Jahre 2004 bis 2009.
***** Mike Köhler
What Happened To Kerouac? – Collector’s Edition
Shout! Factory
Leben und Sterben eines Genies.
Als Richard Lerners Doku über Jack Kerouac, die Ikone der Beat-Generation, 1986 erschien, wurde sie mit Lob überhäuft. Vor allem deshalb, weil es Lerner gelungen war, die Vita des 1969 im Alter von 47 Jahren verstorbenen Literaten anhand privater Super-8-Filme und zahlreicher Interviews mit Allen Ginsberg, William S. Burroughs und anderen lebendig aufzubereiten. Von ihrer Strahlkraft hat die knapp 100-minütige Doku bis heute nichts eingebüßt, die neue Edition punktet zudem mit rund 140 Minuten Bonusmaterial. Den Niedergang des Genies illustrieren vor allem zwei Auftritte in Talk-Shows: In „Tonight Starring Steve Allen“ liest er 1957 feurig-verschwitzt Auszüge seines Werks. Rund eine Dekade später, kurz vor seinem durch langen Alkoholmissbrauch verursachten Tod, sitzt er desorientiert, unkonzentriert und aufgebläht in William F. Buckleys „Firing Line“ als Schatten seiner selbst. Tragisch.
****** Mike Köhler
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