DVD
Ein Ritt durch die Jahrzehnte
Rockpalast – Nina Hagen Band, Ideal, Tocotronic, Wir sind Helden
Sony Music
Dschörmen Telewischn Praudly Prisenz: vier Dekaden deutsche Rockhistorie. Seit der „Rockpalast“ seine Archive auswertet, spielen die Beiträge deutscher Bands eine eher untergeordnete Rolle. Ein Schub von immerhin 15 DVDs, einzeln, aber auch in kompletter Deluxe-Box erhältlich, ändert den chronischen Mangel, wobei man die Spreu vom Weizen trennen sollte. Die älteste Aufzeichnung liefert die Nina Hagen Band mit ihrem famosen Auftritt vom 9. Dezember 1978 in der Dortmunder Westfalenhalle. Nina und die späteren Spliff rocken sich skurril durch „TV-Glotzer“, „Rangehn“ und „Auf’m Bahnhof Zoo“. Als weitaus weniger essenziell erweisen sich 15 Songs der Hagen vom August 1990. Unterhaltsamer sind da schon Ideal, aufgenommen im Juli 1981 in den Kölner Sartory-Sälen: Keyboarderin Annette Humpe („Erschießen“, „Berlin“, „Eiszeit“, „Monotonie“, „Blaue Augen“), Gitarrist F. J. Krüger („Schwein“, „Hundsgemein“, „Da leg ich mich doch lieber hin“) und Bassist Ernst Ulrich Deuker („Telepathie“) liefern legendäre Pop-Hymnen, denen man ihre 32 Jahre kaum anmerkt. Ein wahres Sammelsurium sind die Mitschnitte von Tocotronic: Vom Bizarre-Festival 1996 stammen ein Interview und fünf ungestüme Songs, darunter „Die Welt kann mich nicht verstehen“, „Ich werde mich nie verändern“ und „Jungs, hier kommt der Masterplan“. Jeweils nur einen Track liefern Rock am Ring 2002 und die 20. Rocknacht im Kölner Palladium 2006, Rock am Ring 2005 ist wiederum mit neun Liedern vertreten. Ebenfalls mehrteilig präsentieren sich Wir sind Helden: Von Rock am Ring anno 2004 kommen vier Songs plus ein Interview. Ein Jahr später bei gleichem Event liefert das Quartett neun Songs, u.a. „Denkmal“, „Gekommen um zu bleiben“ und „Von hier an blind“. Ein komplettes Set mit 15 Titeln stammt vom Haldern Pop Festival 2011.
Ideal: ******
Alle anderen: ***** Mike Köhler
Mudhoney
Live In Berlin 1988
!K7 Records
Berühr mich, ich bin krank: Mudhoneys erster Auslandsauftritt.
Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass Seattle durch das von Bruce Pavitt und Jonathan Poneman initiierte Label Sub Pop in den Fokus rückte. Wenig später galten Soundgarden, Pearl Jam und vor allem Nirvana als der Rock-Weisheit letzter Schluss. Im ersten Aufschwung tummelten sich auch Mudhoney, am internationalen Erfolg schrammelte das 1987 gegründete Quartett jedoch vorbei. Zur Legendenbildung reichte es dennoch. „Live In Berlin 1988“ präsentiert Mudhoney in der noch geteilten Hauptstadt, als sie beim Berlin Independent Days Festival ihren ersten Auslandsauftritt mit energiegeladenem Enthusiasmus absolvieren. Mudhoney liefern Material aus der EP „Superfuzz Bigmuff“ und dem namenlosen LP-Debüt. Lässig donnert die Band rustikale Teenage-Angst-Hymnen wie „Touch Me I’m Sick“ und „Here Comes Sickness“ raus. Und man reibt sich verwundert die Augen, warum ausgerechnet diese Pioniere leer ausgingen.
**** Mike Köhler
The Rolling Stones
Crossfire Hurricane
Eagle Vision/Edel
Überlebende berichten: 50 Jahre Rock’n’Roll.
Die Deutungshoheit anderen zu überlassen, ist riskant, weshalb Mick Jagger die filmische Aufarbeitung der Bandgeschichte lieber gleich selbst produzierte: „Crossfire Hurricane“ liefert bewegte Bilder aus 50 Jahren Rolling Stones, kommentiert von der Band sowie den ehemaligen Mitstreitern Mick Taylor und Bill Wyman. Was allerdings irritiert: Die Stimmen kommen aus dem Off, die reifen Diven wollten nicht vor die Kamera. Die Geschichte, die erzählt wird, ein bunt bebildertes Historiendrama aus Musik, Drogen, Sex, Tod und Business, bleibt davon zwar substanziell unberührt, doch das Schöne am Medium Tonfilm ist ja eigentlich, dass man Menschen nicht nur hört, sondern auch sieht. Aber immerhin erklärt „Crossfire Hurricane“, warum die Stones so sind wie sie sind. 50 Jahre im tendenziell wahnsinnigen Rock’n’Roll-Business hinterlassen eben ihre Spuren.
***1/2 Uwe Schleifenbaum
Trio – Drei gegen Drei
Turbine Medien
DVD-Debüt: die Selbstzerstörung einer der besten deutschen Bands.
„Dreimal sind wir aufgewacht, ham darüber nachgedacht: Wie wird das alles enden?“, fragen sich Trio im Titellied ihres Spielfilms. Die Geschichte gab die Antwort: katastrophal. Dabei wäre das vermeidbar gewesen. Vor den Aufnahmen war das minimalistische Kunstwerk Trio eigentlich abgeschlossen, „weil wir uns auf den Sack gingen“, wie Gitarrist Kralle Krawinkel in einer hier angehängten Dokumentation sagt. Doch dann boten sich Starproduzent Bernd Eichinger und der spätere Grimme-Preis-Sammler Dominik Graf für einen Film mit den dreien an. Das millionenschwere, atemberaubend peinliche Verwechslungsgeblödel floppte – zu Recht, wie man allerspätestens nach der Szene sagen muss, in der Sunnyi Melles dank eines Panzerrohrs einen Orgasmus erlebt. Gerade den bis dahin unantastbar coolen Stephan Remmler als Schauspieler so scheitern zu sehen, schmerzt – weit mehr als die Szene, in der Ute Lemper ihm hier in die Eier tritt.
* Stephan Rehm
Led Zeppelin
Celebration Day
Warner
Zeppelin reloaded.
Mit Hysterie war die Situation nur unzureichend beschrieben, als die Karten für das Konzert einer Rockband, die seit 1980 aufgelöst ist, in den Verkauf gingen. Über 20 Millionen Interessenten standen 18 000 Tickets gegenüber. Verknappung ist eben auch eine Taktik, um den Hype zu befeuern. Jedenfalls: Led Zeppelin, ergänzt um John Bonhams Sohn Jason, rockten die Londoner O2-Arena mit all ihre alten Hits. Das Spiel auf der Marketing-Klaviatur beherrschten die Veteranen schon immer, aber dieser finale Gig legt nahe, dass sie auch ihr Rockhandwerk noch immer beherrschen, und genau das war es dann auch: die perfekte Inszenierung einstiger Großtaten. Damit jene 19 982 000, die nicht dabei sein konnten, auch was davon haben, gibt’s nach angemessener Schamfrist die DVD. Und die Blu-ray. Und das Album. Last orders please! Denn Robert Plant hat angekündigt, für eine Fortsetzung nicht mehr zur Verfügung zu stehen.
**** Uwe Schleifenbaum
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