Ezra Furman
Perpetual Motion People
Bella Union/[PIAS] Coop/Rough Trade
Wenn Shoop-Shoop-Songs auf Punk treffen: Ezra Furman inszeniert sich auf Album Nummer sechs als wunderlichster Ziervogel des US-Pop seit Jonathan Richman.
Amerika bevorratet sie gar nicht so intensiv, die Songwriter, die jenseits des Sorgenvoller-Typ-mit-Gitarre-und-Bart-Klischees stattfinden, die nicht nur über gebrochene Herzen singen, sondern über die Dinge, die noch einen Zacken mehr schmerzen. Vor allem gibt es wenige, die es schaffen, Bilanzierungen womöglicher Seelen- und Lebensnotstände zusätzlich mit Humor anzureichern und – das ist wichtig – die im Indie doch recht traditionell abgesteckten Gesellschaftsbilder und Geschlechterrollen infrage zu stellen.
Vorhang auf für Ezra Furman: Der 28-Jährige mit seiner Vorliebe für Lippenstift und Crossdressing ist spätestens seit MYSTERIOUS POWER (2011) Garant für derlei Kunst, hat sich aber von ohnehin hohem Niveau kommend beständig weiterentwickelt und dabei das Konzept des Indie-Hits, das er mit seiner ersten Band Harpoons pflegte („Take Off Your Sunglasses“), zugunsten eines geschlossenen Gesamtsounds hinter sich gelassen. PERPETUAL MOTION PEOPLE, das sechste Album in seiner zehn Jahre andauernden Laufbahn, ist nun das Großwerk, das man schon immer leise erwartete. Der Amerikaner schreibt Popsongs, die mal an die Violent Femmes zu THE BLIND LEADING THE NAKED-Zeiten erinnern – wie gut ist eigentlich „ Restless Year“? – mal mit dem Doo-Wop der 50er-Jahre kokettieren („ Lousy Connection“) und mal hervorragendes Störfeuer aus der Garage bieten („Tip Of A Match“).
Gemein ist ihnen bei aller stilistischer Vielfalt Wortwitz und Dringlichkeit: Furman-Texte bevorraten Textzeilen, die man je nach Sendungsbewusstsein an Hauswände oder ins Internet schmieren sollte. Doch trotz aller Claims, diese Stücke sind nichts für nebenbei, die erwarten aktive Teilnahme an Inhalt und Form, die erzählen genau jene Geschichten, die er bei Konzerten gerne zwischen den einzelnen Songs platziert, auch wenn sie manchmal geschickt versteckt werden. Ja, Furman singt ausführlich darüber, wie er ein Frühstücksei in die Pfanne schlägt und darüber, wie er um zwei Uhr in der Nacht in seinen Wagen steigt und einfach losfährt, ohne jedes Ziel. Aber das ist wichtig, es geht eben darum, was das alles mit ihm und den Geistern in seinem Kopf zu tun hat, denen, die dafür sorgen, dass man sich manchmal wirklich Sorgen macht um diesen Kerl: „If the turntable still starts, you can teach me how to waltz. I teach you how to feel really really bad“, schlägt er in „Hour Of Deepest Need“ vor. Dazu knarzt der Bass und spritzt das Klavier so windschiefe Töne in den Raum, als wäre es zuletzt 1923 gestimmt worden.
Generell gilt: „Wird schon wieder“-Mutmacher, Schulter- oder Schenkelklopfer hat Furman auch auf dieser Platte sicher nicht im Angebot, eher sind seine Songs kleine Taschenlampen, mit denen man die eigenen Angstzustände kurz ausleuchten kann und die einem entsprechend nahe kommen und gehen, näher, als man das von Popmusik gewohnt ist. Gut möglich, dass diese Platte aus Furman einen Star macht. Wahrscheinlicher ist indes, dass viele Hörer so viel Nähe gar nicht aushalten. „Can I Sleep In Your Brain“ heißt passenderweise einer der Songs, Furman verspricht: „I won’t make too much noise while I stay here“. Das ist gelogen, nach einer Weile zieht das Tempo an, wird aus der recht feierlichen Kammerpop-Ballade doch wieder Rock’n’Roll. Die Gitarre sägt, das Saxofon dreht durch, Furman springt quasi aus dem Bett und rumpelt einem das ganze Gehirn mit all seinen Botenstoffen hoffnungslos durcheinander. Doch diese Lüge ist ebenso wunderschön wie das ganze Album.