Hell feat. Bryan Ferry :: U Can Dance – The Single

Mick Jagger zum Beispiel: Zwischen dem wahren Alter und dem dargestellten vieler ältlicher Protagonisten in Pop liegen oft Jahre. Um in Würde zu altern, nützt es halt nichts, sich einfach nur die dünner werdenden Haare färben zu lassen und den Berufsjugendlichen zu geben, man muss schon Benjamin-Button-ähnlich das Pferd von hinten aufzäumen: alt anfangen und sich im Lauf der Zeit dem schon immer gefühlten höheren Alter annähern.

So wie Bryan Ferry. Als der 1974 für das Coverfoto seines zweiten Soloalbums ANOTHER TIME, ANOTHER PLACE posierte, war er gerade mal 28 Jahre alt. Ein geleckter Dandy im weißen Dinnerjacket, alterslos. 38? 48? 64? Auf keinen Fall 28. Auch DJ Hell wirkt in seiner Dandyhaftigkeit noch eine Spur zu jung, so dass man ihn wahrscheinlich in 20 Jahren, wenn er mit 67 im Anzug hinter dem DJ-Pult steht, nicht der Berufsjugendlichkeit bezichtigen wird. Eine Zusammenarbeit zwischen Hell und Bryan Ferry erscheint naheliegend.

„U Can Dance“ (International Deejay Gigolo Recordings/Rough Trade), die dritte Single aus Hells letztjährigem Meister- und TEUFELSWERK, die unter dem Namen Hell Featuring Bryan Ferry veröffentlicht wird, entstand aus Zufall. Der DJ sollte einen alten Roxy-Music-Song remixen. Bei den Vorgesprächen über das Remix-Projekt, das nie zustande gekommen ist, erinnerte sich Ferrv in seinem Londoner Studio an „U Can Dance“, einen nie veröffentlichten Song aus den 90er-Jahren, den er damals mit Dave Stewart aufgenommen hatte.

„U Can Dance“ in seiner Urform bedeutete: ein Band mit 64 vollgestopften Aufnahmespuren in der furchtbaren, scheinmodernen Soundästhetik des Mainstreams der 80er- und 90er-Jahre, die ja von Dave Stewart entscheidend mitgeprägt wurde. Ferry gab Hell die Gesangsspur und den Auftrag, „was daraus zu machen“. Das tat er dann zusammen mit Peter Kruder in Wien. Um Bryan Ferrys ätherischen Gesang – thematisch ums alte „Love Is The Drug“-Thema kreisend, unelegant ausgedrückt: den nächtlichen Wunsch, Frauen flachzulegen – bauten Kruder und Hell einen fast zehn Minuten langen, funkelnden Neodisco-Song, der zum Schlüsseltrack von Hells TEUFELSWERK wurde.

Die Remixer, die Hell für „U Can Dance“ beauftragt hat, zeugen von seinem Selbstverständnis als DJ, der der Tradition genauso verpflichtet ist wie der Moderne: Detroit-Techno-Veteran Carl Craig, Tim Goldsworthy (The DFA) und Simian Mobile Disco. Craig verlagert in seinen beiden Neubearbeitungen den Track in Richtung Techno, einmal discoid, einmal leicht bollernd. Der Remix von Goldsworthy: düster, gebremst, jenseits von Discopunk. Und Simian Mobile Disco reinterpretieren „U Can Dance“ als semiabstrakten, flirrenden Electrorocker.

Bemerkenswert, dass es keiner der Remixer gewagt hat, Bryan Ferrys Gesang anzutasten. Natürlich aus Respekt und vielleicht aber auch deshalb, weil „U Can Dance“ exemplarisch zeigt, um was es im Pop geht: darum, die Pose als Natürlichkeit erscheinen zu lassen. Hell und Ferry verbindet ihre Dandyhaftigkeit, ihre Anti-Rock’n’Roll-Haltung, die sie zu Außenseitern im Hauptstrom ihrer jeweiligen Betätigungsfelder macht. Ein DJ hat gefälligst keine Anzüge zu tragen, eine Rockbund hat sich gefälligst nicht so tuntenhaft zu präsentieren wie die frühen Roxy Music. Und Hell und Ferry verbindet ein Frauenbild, das trotz deutlichen sexuellen Konnotationen von Respekt geprägt ist und nichts zu tun haben will mit dem Machismo im Rock.

Im Video zu „U Can Dance“, in dem sich Hell erstaunlicherweise vornehm zurückhält, gibt es ein paar zeitlos-klassische Schönheiten zu bewundern, die an die Frauen auf den Albumcovern von Roxy Music erinnern. Die waren immer schon dermaßen weit voraus in ihrem Styling und Outfit, dass sie heute noch als Avantgarde durchgehen.