Ja, Panik
Libertatia
Staatsakt/Rough Trade (VÖ: 31.1.)
The Beauty nach dem Beast: Ja, Panik installieren auf ihrem fünften Album LIBERTATIA eskapistisch schwebenden Pop mit gelegentlicher Blue-Eyed-Soul-Kante.
Es gab vorab einige Gerüchte über die Beschaffenheit des fünften Ja-Panik-Albums. Manche sagten, es würde unverschämt funky werden, andere sprachen von einem Doppelalbum, wiederum andere davon, dass es so beginnen würde, wie der Vorgänger DMD KIU LIDT endete, also mit einem 14-minütigen Brett. All das gehörte immer noch zur Spätrezeption des wuchtigen Vorgängers, die Wahrheit ist: Die Berliner haben zusammen mit Tobias Levin ein Album aufgenommen, das sich mit unter 40 Minuten Spielzeit knapp hält, eher Pop als Rock ist und gelegentlich an Aztec Camera, Lloyd Cole, Blurs „Beetlebum“ und Tocotronic zu TOCOTRONIC-Zeiten erinnert.
Man kann das also frei von diskursiven Rezeptionsrastern anhören, besitzt aber durchaus auch die Möglichkeit, auf ein anderes, ein inhaltlicheres Level zu wechseln. In aller Kürze: LIBERTATIA ist ein Ort in Madagaskar, der im bisweilen dem Schriftsteller Daniel Defoe zugeschriebenen Buch „A General History Of The Robberies And Murders Of The Most Notorious Pyrates“ aus dem frühen 18. Jahrhundert geschildert wird und über dessen tatsächliche Existenz es verschiedene Meinungen gibt. Er funktioniert aber gut als Utopie und Projektionsfläche in einer Zeit, in der sowohl die gemeinschaftliche Abschottung, die Abgrenzung nach außen, als auch die Renaissance der Nation zu den zentralen Ideologien Europas zu gehören scheinen.
Das große Verdienst von Ja, Panik auf dieser Platte liegt darin, damit einen Überbau gezimmert zu haben. Dieser aber drückt nie ins Geschehen, sondern schwebt vermeintlich schwerelos darüber, vielleicht ein bisschen wie das Dach über dem Münchner Olympiastadion. Es schafft ein großes Ganzes, das die einzelnen Bestandteile der Platte eint und vor dem Wetter schützt, ohne dabei die Artikulationsmöglichkeiten zu limitieren. Wir begegnen alten Bekannten, vor allem natürlich Sänger Andreas Spechtl selbst, der sich hier aber, erwähntem Überbau folgend, quasi auflöst, um als „Andrès, Andris, Andrè, Ondràsek“ wiederzukehren, was gleichermaßen an eine Figur aus einem Eric-Ambler-Roman wie an Jesus Christus erinnert. Wir nehmen an Autofahrten teil, am Tabakgenuss, beinahe an Schlägereien. Wir sehen die Kids vorm Spätkauf kiffen, wir beobachten „klandestine Birthdayrunden“ (der beste Song des Albums: „Eigentlich wissen es alle“), wir sind einige Male in Love. Vor allem sind wir aber meistens in der Stadt, die Bühne ist für diverse Sehnsüchte und damit verbundene Auflösungsprozesse und Flüchtigkeiten.
Das passt gut zur Musik, die ebenfalls oft im Ungefähren bleibt. Hier ein zärtliches Saxofonsolo, das alsbald im Nebel verschwindet. Dort ein Keyboard, das gefühlt einige Kilometer hinter dem Geschehen steht. Hier ein paar flirrende Klaviertöne. Dort ein Rumpelbass. Hier eine Rückwärtsgitarre. Und immer wieder dieser Hall auf Andreas Spechtls Stimme, der sie so klingen lässt, als würde sie tatsächlich aus einer anderen Stadt, einem anderen Leben stammen.
Man braucht eine Weile, bis man das alles begreift und auch erkennt, dass die Wut, die Ja, Panik immer auch ausmacht, auf dieser Platte stattfindet, nur eben hinter Dämmmaterial versteckt. Die Pflege des guten, alten Querverweises Richtung Philosophie und Pop (diesmal huschen Ahnungen von John Zorn, Per Olov Enquist und Irving Berlin durchs Bild), und die des Claims im bereits bekannten Ja-Panik-Denglisch ist, das wird schon in der ersten Strophe des Titelsongs klar, immer noch die bevorzugte Artikulationsweise. Gut so. Und: so gut.