James Blake :: Atlas/A&M/Polydor/Universal
Post-Dubstep: Der 22-jährige Londoner mit einer neuen Art organischer Minimal Music. Das erste in einer Reihe sehnsüchtig erwarteter Alben des Jahrgangs 2011.
Es gibt zumindest ein handfestes Indiz dafür, dass der Hype um James Blake und um dieses mit Spannung erwartete Debütalbum – das erste große des Elektronikjahrgangs 2011 – in den kommenden Monaten seine Rechtfertigung in der entsprechenden Resonanz des Mainstreams finden wird. Und dieses Indiz heißt „Limit To Your Love“. Blakes Ende 2010 ohne großes Tamtam veröffentlichte Single, die zu einem Major-Hit in den Social Networks geworden ist. Auch mithilfe von Menschen, die nicht unbedingt im Verdacht stehen, dem heißen Scheiß von übermorgen hinterherzurennen, und denen nicht zwangsläufig klar gewesen ist, dass „Limit To Your Love“ die Coverversion eines Songs vom Feist-Album The Reminder ist. 1,7 Millionen YouTube-User können nicht irren. Nicht, dass die Legitimation des Mainstreams notwendig wäre, um Musik zu guter Musik zu machen, aber es ist doch manchmal schön zu sehen, dass musikalische Qualität und Publikumszuspruch nicht zwangsläufig einen Widerspruch darstellen müssen.
James Blake, 22-jähriger Londoner, ausgebildeter klassischer Pianist, Absolvent des Goldsmiths College, hat innerhalb eines Jahres – von Herbst 2009 bis Herbst 2010 – vier EPs veröffentlicht, von denen CMYK und Klavierwerke in ihrer stilistischen Unterschiedlichkeit sehr viel über ihren Urheber aussagen. Die eine mit dekonstruiertem Soul, die andere mit introspektiven Tracks, die durch Manipulationen seiner eigenen Stimme und seines Klavierspiels entstanden sind. Auf der Basis von dubbig collagierten Mikrosamples arbeitet Blake, ähnlich seiner Freunde von Mount Kimbie, an einer neuen Art organischer Minimal Music, die in ihrer kurzen Evolutionsgeschichte die Spuren zurück zu ihrem gemeinsamen Vorfahren Dubstep ziemlich gut verwischt hat.
Wer seine EPs kennt, wird James Blake auf dem Album zwar wiedererkennen, aber auch erkennen, dass dieser Künstler nicht am Status quo interessiert ist, sondern an der ständigen Weiterentwicklung seiner Kunst. Neu ist, dass sich Blake auf dem Album stärker als früher als Sänger inszeniert – freilich ohne sich damit der in einschlägigen Kreisen als Vorwurf geltenden Poppigkeit hinzugeben. Ja, Blake verfügt über eine hervorragende Gesangsstimme, die er bisher unter den gemorphten Samples versteckt hat. Vor allem aber ist der Londoner ein großartiger Soundarchitekt, der die neoromantischen Tendenzen in der zeitgenössischen elektronischen Musik mit ein paar geschickt eingestreuten Ungeradheiten im Zaum hält.
Blake spielt mit den Erwartungen des Hörers an den Pop. Es ist dieses ständige Herein- und Herausfahren von ausgefransten Sounds und ungeraden Beats, die Pausen, die Stille, die diese Tracks so unvergleichlich machen, dieser permanente Fluss aus Atonalitäten, der in der Summe eine ungehörte Tonalität ergibt. Dazu Blakes Stimme, die dem Klackern und Schaben in nichts nachsteht, weil sie immer am Wegkippen zu sein scheint und damit ein Antony-Gefühl erzeugt. James Blake bewegt sich in seiner eigenen hermetisch abgeriegelten künstlerischen Blase. Die Miniatur „Give Me My Month“ ist eben nicht nur eine Pianoballade mit Gesang, sondern Blakes ganz eigene Phantasie über eine Pianoballade mit Gesang. Mit ein bisschen Interpretationsspielraum können „Lindesfarne I“ und „Lindesfarne II“ als Kommentare zum Autotune-Wahnsinn der Nullerjahre gewertet werden. Ansonsten war’s das schon mit den Referenzen.
Dieser ruhige Minimalismus ist nicht unbedingt eine Reaktion auf den rockenden Techno der Nuller, die Tatsache, dass er gehört und wie er aufgenommen wird, dagegen schon. Auf dem Album kommt kaum ein Track über 80 bpm hinaus, wenn überhaupt so etwas wie ein Beat erkennbar wird. Es geht darum, zu zeigen, dass die Palette der Emotionen auch über ein unteres Ende verfügt, dass das Vollgas der Nullerjahre nicht die einzig mögliche Geschwindigkeit ist, mit der man durch Elektronikland fahren kann. Blake selber ist eher an der Aufarbeitung von Vintage-Soul interessiert und an The XX. Die haben mehr mit minimalistischer Elektronik zu tun als mit dem Indie-Rock des vergangenen Jahrzehnts, und damit ein neues Hörbewusstsein geschaffen. Bald werden alle wieder vom „quiet is the new loud“ reden, sagen wir lieber: Langsam ist das neue Schnell.
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